Papier: 3.3.4 Gesundes Arbeiten

Originalversion

1 Eröffnet die örtliche und zeitliche Flexibilität digitaler
2 Arbeit einerseits positiv zu bewertende Gestaltungsoptionen,
3 so kann sie andererseits auch mit Belastungen und – sofern
4 diese auf Dauer wirken und ausreichende Ressourcen zu deren
5 Bewältigung nicht verfügbar sind – gesundheitsschädlichen
6 Beanspruchungen verbunden sein. Hier sind vorrangig zwei
7 Aspekte von Belang: Zum einen die Ausdehnung von
8 Erreichbarkeits- und Verfügbarkeitserwartungen über übliche
9 Arbeitszeiten hinaus, zum anderen eine vor allem bei mobiler
10 Arbeit außerhalb von Betriebsstätten oft suboptimale
11 ergonomische Beschaffenheit von Arbeitsmitteln und
12 Arbeitsumgebungen. [FN: Vgl. zum folgenden Abschnitt
13 Schwemmle / Wedde 2012 mit weiteren Nachweisen.]
14
15 Vor allem die an eine zunehmende Anzahl von Erwerbstätigen
16 gerichteten Ansprüche einer ständigen Erreichbarkeit und
17 Verfügbarkeit haben es zu einer erheblichen medialen
18 Prominenz gebracht, die allein schon durch die quantitative
19 Dimension des Problems gerechtfertigt scheint: Einer
20 Befragung des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen aus
21 dem Jahr 2010 (BKK 2010, S. 2) zufolge sind 84% der in
22 Deutschland Berufstätigen außerhalb ihrer regulären
23 Arbeitszeiten in beruflichen Angelegenheiten erreichbar,
24 davon über ein Viertel (26%) über ein vom Arbeitgeber
25 gestelltes Gerät. [FN: Eine BITKOM-Umfrage aus dem Jahr 2011
26 hat einen noch höheren und im Zeitverlauf steigenden Anteil
27 beruflich erreichbarer Erwerbstätiger ergeben: „Die Grenzen
28 zwischen Job und Privatleben verschwimmen mit der steigenden
29 Verbreitung moderner Kommunikationsmedien immer mehr. So
30 sind 88 Prozent der Berufstätigen auch außerhalb ihrer
31 regulären Arbeitszeiten für Kunden, Kollegen oder
32 Vorgesetzte per Internet oder Handy erreichbar. […] Zum
33 Vergleich: Vor zwei Jahren gaben erst 73 Prozent der
34 Berufstätigen an, nach Arbeitsschluss erreichbar zu sein.“
35 (BITKOM 2011)] Für 51% der Befragten gilt sogar, dass sie
36 jederzeit – also auch am Abend oder an Wochenende –
37 erreichbar sind, für 27% ist dies nur ausnahmsweise und für
38 weitere 5% nur zu festgelegten Zeiten der Fall. Während
39 knapp zwei Drittel (65%) der beruflich Erreichbaren angaben,
40 sich hierzu freiwillig bereitzufinden, wird dies bei 26%
41 seitens ihres Arbeitgebers, ihrer Kollegen oder Kunden
42 erwartet. Beide Gruppen differieren auffällig in der
43 Beurteilung dieses Sachverhalts: 66% der „freiwillig
44 Erreichbaren“ fühlen sich dadurch nicht oder nur sehr wenig
45 gestört – bei den zur Erreichbarkeit mehr oder weniger
46 gezwungenen Beschäftigten liegt dieser Anteil mit 41%
47 deutlich niedriger.
48
49 Unabhängig von der unmittelbaren Veranlassung und der
50 subjektiven Beurteilung geht die erweiterte Verfügbarkeit
51 für arbeitsbezogene Belange auch jenseits der Arbeitszeit
52 mit einer zunehmenden Entgrenzung von Arbeit und Privatleben
53 einher. „Studien zeigen, dass fehlende private Abgrenzung
54 aufgrund permanenter digitaler Erreichbarkeit die
55 Work-Life-Balance und somit die Gesundheit und Leistung von
56 Mitarbeitern beeinträchtigen“ (Stock-Homburg 2011, S. 6).
57 Negative Folgewirkungen können u.a. Schlafstörungen und das
58 Gefühl sein, nicht mehr „abschalten“ und zur Ruhe kommen zu
59 können. Zwar liegen über die langfristigen Effekte dieser
60 Entwicklung noch keine stabilen empirischen Befunde vor,
61 doch lässt sich plausiblerweise vermuten, dass sie – sofern
62 auf Dauer gestellt – die Lebensqualität der Betroffenen
63 stark beeinträchtigen und den nachhaltigen Erhalt ihres
64 Arbeitsvermögens erheblich gefährden dürfte.
65
66 Zusätzlich belastend können die ungünstigen ergonomischen
67 Bedingungen wirken, unter denen gerade mobile digitale
68 Arbeit außerhalb herkömmlicher Betriebsstätten nicht selten
69 verrichtet wird. Häufig sind die hier zum Einsatz
70 gelangenden Arbeitsmittel nicht – wie das etwa bei
71 stationären Rechnern und Monitoren an festen
72 Büroarbeitsplätzen überwiegend der Fall ist – im Blick auf
73 eine gesundheitsverträgliche Dauernutzung optimiert, sondern
74 nach anderen Maßstäben gestaltet. Smartphones etwa, die zu
75 einem wichtigen Tool vieler mobiler Beschäftigter geworden
76 sind, werden weit mehr auf Portabilität und „stylishes“
77 Erscheinungsbild hin konzipiert denn auf ergonomische
78 Funktionalität. Erschwerend kommt hinzu, dass solche
79 ergonomisch suboptimalen Arbeitsmittel vielfach in
80 wechselnden Umgebungen genutzt, die – aus der Perspektive
81 des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – oft gleichfalls
82 suboptimal beschaffen sind. Hinsichtlich des Mobiliars, der
83 Lichtverhältnisse, der Geräuscheinwirkungen und weiterer
84 Umgebungsfaktoren sind Züge, Autos, Hotelzimmer,
85 Gaststätten, Wartebereiche in Bahnhöfen und Flughäfen sin
86 der Regel weit ungünstigere Arbeitsorte als das klassische
87 Büro.
88
89 Ergonomische Defizite ortsflexibler digitaler Arbeit
90 resultieren nicht zuletzt auch aus dem Umstand, dass
91 wichtige Normen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, wie
92 sie für ortsfeste Arbeitsplätze gelten, hier nicht zur
93 Anwendung gelangen. Dies trifft beispielsweise auf die
94 Arbeitsstättenverordnung und die Bildschirmarbeitsverordnung
95 zu. Letztere hat ausweislich ihres § 1 Abs. 2 ausdrücklich
96 keine Geltung „für die Arbeit an Bildschirmgeräten für den
97 ortsveränderlichen Gebrauch, sofern sie nicht regelmäßig an
98 einem Arbeitsplatz eingesetzt werden“. Zu diesem Problem
99 fehlender Schutznormen tritt zusätzlich eine strukturelle
100 Kontrolllücke bei „entbetrieblichter“ Mobilarbeit: Anders
101 als gängige kollektive Regulierungen lassen sich gestaltende
102 Rahmensetzungen hier vielfach nicht mehr auf klar
103 definierte, stabile Örtlichkeiten und daran gekoppelte
104 Verantwortlichkeiten – z.B. von Vorgesetzten, Betriebsräten,
105 Arbeits-, Gesundheits- und Datenschützern – im Rahmen
106 betrieblich-arbeitsteiliger Strukturen beziehen. Solche
107 Arbeitsformen liegen damit zwar nicht außerhalb des
108 Zuständigkeits-, aber doch außerhalb des klassischen
109 „Zugriffsbereichs“ der genannten Akteure. Die Einhaltung von
110 Regulierungsvorgaben – etwa zur Arbeitszeit oder zur
111 ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzumfelds – kann
112 deshalb hier meist nicht durch Kopräsenz oder
113 Inaugenscheinnahme überprüft werden.
114
115 Auf diese Weise kann digitale Arbeit mit steigendem
116 Mobilitätsgrad tendenziell aus dem Anwendungsbereich
117 vorhandener Schutzvorschriften herausfallen, ohne
118 gleichzeitig in ein den Spezifika ortsveränderlichen
119 Arbeitens adäquates Regulierungsumfeld zu treten. Der sich
120 aus dieser Konstellation ergebende Handlungsbedarf in puncto
121 Arbeits- und Gesundheitsschutz ist evident und dringlich.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Eröffnet die örtliche und zeitliche Flexibilität digitaler
2 Arbeit einerseits positiv zu bewertende Gestaltungsoptionen,
3 so kann sie andererseits auch mit Belastungen und – sofern
4 diese auf Dauer wirken und ausreichende Ressourcen zu deren
5 Bewältigung nicht verfügbar sind – gesundheitsschädlichen
6 Beanspruchungen verbunden sein. Hier sind vorrangig zwei
7 Aspekte von Belang: Zum einen die Ausdehnung von
8 Erreichbarkeits- und Verfügbarkeitserwartungen über übliche
9 Arbeitszeiten hinaus, zum anderen eine vor allem bei mobiler
10 Arbeit außerhalb von Betriebsstätten oft suboptimale
11 ergonomische Beschaffenheit von Arbeitsmitteln und
12 Arbeitsumgebungen. [FN: Vgl. zum folgenden Abschnitt
13 Schwemmle / Wedde 2012 mit weiteren Nachweisen.]
14
15 Vor allem die an eine zunehmende Anzahl von Erwerbstätigen
16 gerichteten Ansprüche einer ständigen Erreichbarkeit und
17 Verfügbarkeit haben es zu einer erheblichen medialen
18 Prominenz gebracht, die allein schon durch die quantitative
19 Dimension des Problems gerechtfertigt scheint: Einer
20 Befragung des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen aus
21 dem Jahr 2010 (BKK 2010, S. 2) zufolge sind 84% der in
22 Deutschland Berufstätigen außerhalb ihrer regulären
23 Arbeitszeiten in beruflichen Angelegenheiten erreichbar,
24 davon über ein Viertel (26%) über ein vom Arbeitgeber
25 gestelltes Gerät. [FN: Eine BITKOM-Umfrage aus dem Jahr 2011
26 hat einen noch höheren und im Zeitverlauf steigenden Anteil
27 beruflich erreichbarer Erwerbstätiger ergeben: „Die Grenzen
28 zwischen Job und Privatleben verschwimmen mit der steigenden
29 Verbreitung moderner Kommunikationsmedien immer mehr. So
30 sind 88 Prozent der Berufstätigen auch außerhalb ihrer
31 regulären Arbeitszeiten für Kunden, Kollegen oder
32 Vorgesetzte per Internet oder Handy erreichbar. […] Zum
33 Vergleich: Vor zwei Jahren gaben erst 73 Prozent der
34 Berufstätigen an, nach Arbeitsschluss erreichbar zu sein.“
35 (BITKOM 2011)] Für 51% der Befragten gilt sogar, dass sie
36 jederzeit – also auch am Abend oder an Wochenende –
37 erreichbar sind, für 27% ist dies nur ausnahmsweise und für
38 weitere 5% nur zu festgelegten Zeiten der Fall. Während
39 knapp zwei Drittel (65%) der beruflich Erreichbaren angaben,
40 sich hierzu freiwillig bereitzufinden, wird dies bei 26%
41 seitens ihres Arbeitgebers, ihrer Kollegen oder Kunden
42 erwartet. Beide Gruppen differieren auffällig in der
43 Beurteilung dieses Sachverhalts: 66% der „freiwillig
44 Erreichbaren“ fühlen sich dadurch nicht oder nur sehr wenig
45 gestört – bei den zur Erreichbarkeit mehr oder weniger
46 gezwungenen Beschäftigten liegt dieser Anteil mit 41%
47 deutlich niedriger.
48
49 Unabhängig von der unmittelbaren Veranlassung und der
50 subjektiven Beurteilung geht die erweiterte Verfügbarkeit
51 für arbeitsbezogene Belange auch jenseits der Arbeitszeit
52 mit einer zunehmenden Entgrenzung von Arbeit und Privatleben
53 einher. „Studien zeigen, dass fehlende private Abgrenzung
54 aufgrund permanenter digitaler Erreichbarkeit die
55 Work-Life-Balance und somit die Gesundheit und Leistung von
56 Mitarbeitern beeinträchtigen“ (Stock-Homburg 2011, S. 6).
57 Negative Folgewirkungen können u.a. Schlafstörungen und das
58 Gefühl sein, nicht mehr „abschalten“ und zur Ruhe kommen zu
59 können. Zwar liegen über die langfristigen Effekte dieser
60 Entwicklung noch keine stabilen empirischen Befunde vor,
61 doch lässt sich plausiblerweise vermuten, dass sie – sofern
62 auf Dauer gestellt – die Lebensqualität der Betroffenen
63 stark beeinträchtigen und den nachhaltigen Erhalt ihres
64 Arbeitsvermögens erheblich gefährden dürfte.
65
66 Zusätzlich belastend können die ungünstigen ergonomischen
67 Bedingungen wirken, unter denen gerade mobile digitale
68 Arbeit außerhalb herkömmlicher Betriebsstätten nicht selten
69 verrichtet wird. Häufig sind die hier zum Einsatz
70 gelangenden Arbeitsmittel nicht – wie das etwa bei
71 stationären Rechnern und Monitoren an festen
72 Büroarbeitsplätzen überwiegend der Fall ist – im Blick auf
73 eine gesundheitsverträgliche Dauernutzung optimiert, sondern
74 nach anderen Maßstäben gestaltet. Smartphones etwa, die zu
75 einem wichtigen Tool vieler mobiler Beschäftigter geworden
76 sind, werden weit mehr auf Portabilität und „stylishes“
77 Erscheinungsbild hin konzipiert denn auf ergonomische
78 Funktionalität. Erschwerend kommt hinzu, dass solche
79 ergonomisch suboptimalen Arbeitsmittel vielfach in
80 wechselnden Umgebungen genutzt, die – aus der Perspektive
81 des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – oft gleichfalls
82 suboptimal beschaffen sind. Hinsichtlich des Mobiliars, der
83 Lichtverhältnisse, der Geräuscheinwirkungen und weiterer
84 Umgebungsfaktoren sind Züge, Autos, Hotelzimmer,
85 Gaststätten, Wartebereiche in Bahnhöfen und Flughäfen sin
86 der Regel weit ungünstigere Arbeitsorte als das klassische
87 Büro.
88
89 Ergonomische Defizite ortsflexibler digitaler Arbeit
90 resultieren nicht zuletzt auch aus dem Umstand, dass
91 wichtige Normen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, wie
92 sie für ortsfeste Arbeitsplätze gelten, hier nicht zur
93 Anwendung gelangen. Dies trifft beispielsweise auf die
94 Arbeitsstättenverordnung und die Bildschirmarbeitsverordnung
95 zu. Letztere hat ausweislich ihres § 1 Abs. 2 ausdrücklich
96 keine Geltung „für die Arbeit an Bildschirmgeräten für den
97 ortsveränderlichen Gebrauch, sofern sie nicht regelmäßig an
98 einem Arbeitsplatz eingesetzt werden“. Zu diesem Problem
99 fehlender Schutznormen tritt zusätzlich eine strukturelle
100 Kontrolllücke bei „entbetrieblichter“ Mobilarbeit: Anders
101 als gängige kollektive Regulierungen lassen sich gestaltende
102 Rahmensetzungen hier vielfach nicht mehr auf klar
103 definierte, stabile Örtlichkeiten und daran gekoppelte
104 Verantwortlichkeiten – z.B. von Vorgesetzten, Betriebsräten,
105 Arbeits-, Gesundheits- und Datenschützern – im Rahmen
106 betrieblich-arbeitsteiliger Strukturen beziehen. Solche
107 Arbeitsformen liegen damit zwar nicht außerhalb des
108 Zuständigkeits-, aber doch außerhalb des klassischen
109 „Zugriffsbereichs“ der genannten Akteure. Die Einhaltung von
110 Regulierungsvorgaben – etwa zur Arbeitszeit oder zur
111 ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzumfelds – kann
112 deshalb hier meist nicht durch Kopräsenz oder
113 Inaugenscheinnahme überprüft werden.
114
115 Auf diese Weise kann digitale Arbeit mit steigendem
116 Mobilitätsgrad tendenziell aus dem Anwendungsbereich
117 vorhandener Schutzvorschriften herausfallen, ohne
118 gleichzeitig in ein den Spezifika ortsveränderlichen
119 Arbeitens adäquates Regulierungsumfeld zu treten. Der sich
120 aus dieser Konstellation ergebende Handlungsbedarf in puncto
121 Arbeits- und Gesundheitsschutz ist evident und dringlich.

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