1 | Eröffnet die örtliche und zeitliche Flexibilität digitaler |
2 | Arbeit einerseits positiv zu bewertende |
3 | Gestaltungsoptionen, so kann sie andererseits auch mit |
4 | Belastungen und – sofern diese auf Dauer wirken und |
5 | ausreichende Ressourcen zu deren Bewältigung nicht |
6 | verfügbar sind – gesundheitsschädlichen Beanspruchungen |
7 | verbunden sein. Hier sind vorrangig zwei Aspekte von |
8 | Belang: Zum einen die Ausdehnung von Erreichbarkeits- und |
9 | Verfügbarkeitserwartungen über übliche Arbeitszeiten |
10 | hinaus, zum anderen eine vor allem bei mobiler Arbeit |
11 | außerhalb von Betriebsstätten oft suboptimale ergonomische |
12 | Beschaffenheit von Arbeitsmitteln und Arbeitsumgebungen. |
13 | [FN: Vgl. zum folgenden Abschnitt Schwemmle / Wedde 2012 |
14 | mit weiteren Nachweisen.] |
15 | |
16 | Vor allem die an eine zunehmende Anzahl von Erwerbstätigen |
17 | gerichteten Ansprüche einer ständigen Erreichbarkeit und |
18 | Verfügbarkeit haben es zu einer erheblichen medialen |
19 | Prominenz gebracht, die allein schon durch die quantitative |
20 | Dimension des Problems gerechtfertigt scheint: Einer |
21 | Befragung des Bundesverbands der Betriebskrankenkassen aus |
22 | dem Jahr 2010 (BKK 2010, S. 2) zufolge sind 84% der in |
23 | Deutschland Berufstätigen außerhalb ihrer regulären |
24 | Arbeitszeiten in beruflichen Angelegenheiten erreichbar, |
25 | davon über ein Viertel (26%) über ein vom Arbeitgeber |
26 | gestelltes Gerät. [FN: Eine BITKOM-Umfrage aus dem Jahr |
27 | 2011 hat einen noch höheren und im Zeitverlauf steigenden |
28 | Anteil beruflich erreichbarer Erwerbstätiger ergeben: „Die |
29 | Grenzen zwischen Job und Privatleben verschwimmen mit der |
30 | steigenden Verbreitung moderner Kommunikationsmedien immer |
31 | mehr. So sind 88 Prozent der Berufstätigen auch außerhalb |
32 | ihrer regulären Arbeitszeiten für Kunden, Kollegen oder |
33 | Vorgesetzte per Internet oder Handy erreichbar. [...] Zum |
34 | Vergleich: Vor zwei Jahren gaben erst 73 Prozent der |
35 | Berufstätigen an, nach Arbeitsschluss erreichbar zu sein.“ |
36 | (BITKOM 2011)] Für 51% der Befragten gilt sogar, dass sie |
37 | jederzeit – also auch am Abend oder an Wochenende – |
38 | erreichbar sind, für 27% ist dies nur ausnahmsweise und für |
39 | weitere 5% nur zu festgelegten Zeiten der Fall. Während |
40 | knapp zwei Drittel (65%) der beruflich Erreichbaren |
41 | angaben, sich hierzu freiwillig bereitzufinden, wird dies |
42 | bei 26% seitens ihres Arbeitgebers, ihrer Kollegen oder |
43 | Kunden erwartet. Beide Gruppen differieren auffällig in der |
44 | Beurteilung dieses Sachverhalts: 66% der „freiwillig |
45 | Erreichbaren“ fühlen sich dadurch nicht oder nur sehr wenig |
46 | gestört – bei den zur Erreichbarkeit mehr oder weniger |
47 | gezwungenen Beschäftigten liegt dieser Anteil mit 41% |
48 | deutlich niedriger. |
49 | |
50 | Unabhängig von der unmittelbaren Veranlassung und der |
51 | subjektiven Beurteilung geht die erweiterte Verfügbarkeit |
52 | für arbeitsbezogene Belange auch jenseits der Arbeitszeit |
53 | mit einer zunehmenden Entgrenzung von Arbeit und |
54 | Privatleben einher. „Studien zeigen, dass fehlende private |
55 | Abgrenzung aufgrund permanenter digitaler Erreichbarkeit |
56 | die Work-Life-Balance und somit die Gesundheit und Leistung |
57 | von Mitarbeitern beeinträchtigen“ (Stock-Homburg 2011, S. |
58 | 6). Negative Folgewirkungen können u.a. Schlafstörungen und |
59 | das Gefühl sein, nicht mehr „abschalten“ und zur Ruhe |
60 | kommen zu können. Zwar liegen über die langfristigen |
61 | Effekte dieser Entwicklung noch keine stabilen empirischen |
62 | Befunde vor, doch lässt sich plausiblerweise vermuten, dass |
63 | sie – sofern auf Dauer gestellt – die Lebensqualität der |
64 | Betroffenen stark beeinträchtigen und den nachhaltigen |
65 | Erhalt ihres Arbeitsvermögens erheblich gefährden dürfte. |
66 | |
67 | Zusätzlich belastend können die ungünstigen ergonomischen |
68 | Bedingungen wirken, unter denen gerade mobile digitale |
69 | Arbeit außerhalb herkömmlicher Betriebsstätten nicht selten |
70 | verrichtet wird. Häufig sind die hier zum Einsatz |
71 | gelangenden Arbeitsmittel nicht – wie das etwa bei |
72 | stationären Rechnern und Monitoren an festen |
73 | Büroarbeitsplätzen überwiegend der Fall ist – im Blick auf |
74 | eine gesundheitsverträgliche Dauernutzung optimiert, |
75 | sondern nach anderen Maßstäben gestaltet. Smartphones etwa, |
76 | die zu einem wichtigen Tool vieler mobiler Beschäftigter |
77 | geworden sind, werden weit mehr auf Portabilität und |
78 | „stylishes“ Erscheinungsbild hin konzipiert denn auf |
79 | ergonomische Funktionalität. Erschwerend kommt hinzu, dass |
80 | solche ergonomisch suboptimalen Arbeitsmittel vielfach in |
81 | wechselnden Umgebungen genutzt, die – aus der Perspektive |
82 | des Arbeits- und Gesundheitsschutzes – oft gleichfalls |
83 | suboptimal beschaffen sind. Hinsichtlich des Mobiliars, der |
84 | Lichtverhältnisse, der Geräuscheinwirkungen und weiterer |
85 | Umgebungsfaktoren sind Züge, Autos, Hotelzimmer, |
86 | Gaststätten, Wartebereiche in Bahnhöfen und Flughäfen sin |
87 | der Regel weit ungünstigere Arbeitsorte als das klassische |
88 | Büro. |
89 | |
90 | Ergonomische Defizite ortsflexibler digitaler Arbeit |
91 | resultieren nicht zuletzt auch aus dem Umstand, dass |
92 | wichtige Normen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes, wie |
93 | sie für ortsfeste Arbeitsplätze gelten, hier nicht zur |
94 | Anwendung gelangen. Dies trifft beispielsweise auf die |
95 | Arbeitsstättenverordnung und die |
96 | Bildschirmarbeitsverordnung zu. Letztere hat ausweislich |
97 | ihres § 1 Abs. 2 ausdrücklich keine Geltung „für die Arbeit |
98 | an Bildschirmgeräten für den ortsveränderlichen Gebrauch, |
99 | sofern sie nicht regelmäßig an einem Arbeitsplatz |
100 | eingesetzt werden“. Zu diesem Problem fehlender |
101 | Schutznormen tritt zusätzlich eine strukturelle |
102 | Kontrolllücke bei „entbetrieblichter“ Mobilarbeit: Anders |
103 | als gängige kollektive Regulierungen lassen sich |
104 | gestaltende Rahmensetzungen hier vielfach nicht mehr auf |
105 | klar definierte, stabile Örtlichkeiten und daran gekoppelte |
106 | Verantwortlichkeiten – z.B. von Vorgesetzten, |
107 | Betriebsräten, Arbeits-, Gesundheits- und Datenschützern – |
108 | im Rahmen betrieblich-arbeitsteiliger Strukturen beziehen. |
109 | Solche Arbeitsformen liegen damit zwar nicht außerhalb des |
110 | Zuständigkeits-, aber doch außerhalb des klassischen |
111 | „Zugriffsbereichs“ der genannten Akteure. Die Einhaltung |
112 | von Regulierungsvorgaben – etwa zur Arbeitszeit oder zur |
113 | ergonomischen Gestaltung des Arbeitsplatzumfelds – kann |
114 | deshalb hier meist nicht durch Kopräsenz oder |
115 | Inaugenscheinnahme überprüft werden. |
116 | |
117 | Auf diese Weise kann digitale Arbeit mit steigendem |
118 | Mobilitätsgrad tendenziell aus dem Anwendungsbereich |
119 | vorhandener Schutzvorschriften herausfallen, ohne |
120 | gleichzeitig in ein den Spezifika ortsveränderlichen |
121 | Arbeitens adäquates Regulierungsumfeld zu treten. Der sich |
122 | aus dieser Konstellation ergebende Handlungsbedarf in |
123 | puncto Arbeits- und Gesundheitsschutz ist evident und |
124 | dringlich. |
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3.3.4 Gesundes Arbeiten (Originalversion)
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3.3.4 Gesundes Arbeiten (Originalversion)
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