Papier: 3.3.3.2 Autonomie bei digitaler Arbeit

Originalversion

1 Anders stellt sich die Entwicklung digital vernetzter Arbeit
2 dagegen bei komplexeren Aufgaben dar, deren Erledigung sich
3 nicht präzise vorstrukturieren lässt und die deshalb den
4 Arbeitenden mehr Eigenverantwortlichkeit und
5 Entscheidungskompetenzen abverlangen: Hier können die neuen
6 Techniken die Basis für Formen der Arbeitsorganisation
7 bilden, die von den Erwerbstätigen in deutlich höherem Maße
8 beeinflussbar sind und „Freiheitsgrade eröffnen, indem sie
9 als Medium für Kommunikations- und Wissensarbeit dienen.“
10 [FN: Kleemann, Frank/Matuschek, Ingo: Informalisierung als
11 Komplement der Informatisierung von Arbeit. 2008, S. 47.]
12 Steuerung erfolgt in diesen Fällen nicht über die
13 informationstechnische Vorgabe von Tätigkeitsschritten,
14 sondern in eher indirekter Form mittels einer Festschreibung
15 von Zielgrößen, beispielsweise in der Form von „Benchmarks“.
16 Im Rahmen dieser Prämissen verfügen die entsprechenden
17 Beschäftigten nicht selten über ein Maß an Autonomie, das in
18 tayloristisch geprägten Strukturen nicht vorstellbar ist.
19 [FN: Dem Kriterium Autonomie kommt insbesondere in der
20 Debatte um die Bedingungen nachhaltig produktiver und
21 attraktiver Wissensarbeit herausragende Bedeutung zu. Die
22 Maxime, Wissensarbeitern tunlichst weitreichende
23 Gestaltungsspielräume einzuräumen, ihnen
24 eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen und
25 Selbstmanagement abzuverlangen, kann hier seit Peter
26 Druckers entsprechender Feststellung als weitgehend
27 konsensfähig gelten: „Knowledge Workers have to manage
28 themselves. They have to have autonomy.“ Drucker, Peter:
29 Knowledge-Worker Productivity: The Biggest Challenge. 1999,
30 S. 84. (Hervorhebungen im Original).
31 Autonomie – wörtlich übersetzt: „Selbstgesetzgebung“ – lässt
32 sich unterteilen in Handlungs- und Verhandlungsautonomie.
33 Handlungsautonomie („job control“) bezieht sich auf
34 „Selbstbestimmung in der Arbeit: Eigene Ziele und Teilziele
35 bestimmen, eigene Zeiteinteilung treffen, Belastungen
36 vermeiden, soziale Kommunikation herstellen [...]“.
37 Verhandlungsautonomie („workers control“) hat den „Einfluss
38 auf die Kontextbedingungen der Arbeit“ zum Gegenstand:
39 „Lohn-/Leistungsregulation regulieren, [...],
40 Zeitsouveränität: Arbeit und Freizeit / Familie vereinbaren
41 können [...]“. Moldaschl, Manfred: Herrschaft durch
42 Autonomie – Dezentralisierung und widersprüchliche
43 Arbeitsanforderungen. 2001, S. 136.] Solcherlei Autonomie zu
44 ermöglichen beziehungsweise zu praktizieren ist dabei nicht
45 nur eine aus den Spezifika komplexer und wissensintensiver
46 Erwerbstätigkeiten resultierende Notwendigkeit, sondern
47 entspricht – so die in der Literatur vorherrschende
48 Sichtweise – durchaus auch den Wünschen der Arbeitenden: „
49 [...] bei den normativen Ansprüchen, die Wissensarbeiter mit
50 ihrem Job verbinden, steht ‚Autonomie’ an erster Stelle. Sie
51 ist für ihr Selbstwertgefühl konstitutiv. Autonomie meint
52 zum einen: Raum für Selbstständigkeit in der Arbeit, darüber
53 hinaus aber auch die Möglichkeit, durch eigene Leistung,
54 eigene Beiträge die Geschicke der Firma mitbestimmen zu
55 können.“ [FN: Kalkowski, Peter: Der Kontrakt der Arbeit bei
56 wissensintensiven Dienstleistungen. 2004, S. 256.]
57
58 Allerdings haben zahlreiche Beiträge der neueren
59 Arbeitsforschung den Sachverhalt thematisiert, dass
60 Autonomie und ihre Realisierung im Arbeitsalltag höchst
61 voraussetzungsvoll und nicht selten mit problematischen
62 Konsequenzen verbunden ist. Die Formel, auf die sich
63 einschlägige Analysen bringen lassen, lautet: „Belastung als
64 Preis der Autonomie“ [FN: Moldaschl, Manfred: Herrschaft
65 durch Autonomie – Dezentralisierung und widersprüchliche
66 Arbeitsanforderungen. 2001, S. 133.]. Sie beruht auf der
67 Erkenntnis, dass „kaum ein Befund [...] so häufig
68 beschrieben und bestätigt worden [ist] wie die trotz hoher
69 Autonomie bestehenden hohen psychischen Belastungen und
70 Erfahrungen der Überforderung bei hoch qualifizierten
71 Angestellten“ [FN: Brödner, Peter: Flexibilität,
72 Arbeitsbelastung und nachhaltige Arbeitsgestaltung. 2002, S.
73 499.]. Inwieweit digitale Wissensarbeiter von ihrer
74 Autonomie in oft projektförmig organisierten
75 Arbeitszusammenhängen real zu profitieren und mit den daraus
76 resultierenden Anforderungen, Belastungen und Unsicherheiten
77 umzugehen vermögen, hängt – eine Feststellung, die ähnlich
78 bereits im Blick auf die erweiterten raum-zeitlichen
79 Gestaltungsoptionen getroffen wurde [FN: Vgl. Abschnitt
80 3.3.1. ] – „in hohem Maße davon ab, welche personalen und
81 sozialen Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen (etwa
82 Handlungskompetenzen, kooperatives Arbeitsklima, Einfluss)
83 im Projekt selbst und in Bezug auf dessen Rahmenbedingungen
84 verfügbar gemacht werden können“ [FN: Brödner, Peter:
85 Flexibilität, Arbeitsbelastung und nachhaltige
86 Arbeitsgestaltung. 2002, S. 502.]. Beispielsweise setzen
87 größere Tätigkeitsspielräume mit erweiterter Entscheidungs-
88 und Zeitsouveränität die Fähigkeit zu eigenständiger
89 Arbeitsplanung und -durchführung voraus und verlangen von
90 den Betroffenen Kompetenzen zur Selbstorganisation und
91 Selbstregulation, die nicht von vornherein als gegeben
92 betrachtet werden können. Vor allem aber kommt den
93 Verhandlungsspielräumen bei der Bestimmung von Ziel- und
94 Leistungsvorgaben und der Kriterien zur Leistungsmessung in
95 diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. Nicht selten werden
96 „autonome“ Beschäftigte, statt in reale
97 Zielvereinbarungsprozesse einbezogen zu werden, mit rigiden
98 Zieldiktaten konfrontiert – und damit mit
99 Kontextbedingungen, unter denen Autonomie kaum nachhaltig
100 produktiv realisiert werden kann. Arbeitsgestaltung, die auf
101 die Reduzierung psychischer Belastungen abzielt, wird nicht
102 zuletzt an diesen Punkten anzusetzen haben.
103
104 Neben der Frage der Autonomie bei der Arbeit stellt sich für
105 Arbeitende heute zunehmend auch die Frage der Autonomie der
106 Arbeit. Damit Arbeit effektiv bewältigt werden kann, ist
107 eine weitgehende Autonomie der Beschäftigten heute
108 Voraussetzung. Dies hat damit zu tun, dass die
109 Arbeitsprozesse komplexer werden und die Wertschöpfung
110 zunehmend weniger von der investierten Arbeitszeit abhängig
111 ist als vom Engagement, dem Wissen und der Kreativität der
112 Mitarbeiter. Mit den entsprechend wachsenden Ansprüchen der
113 Arbeitgeber an den Einsatz ihrer Beschäftigten eröffnet sich
114 für diese aber zugleich die Möglichkeit, gerade jene
115 Kompetenzen, auf denen die Wertschöpfung des Unternehmens
116 wesentlich beruht, dessen Kontrolle zu entziehen. Die
117 Versuchung dazu wird umso größer, je weniger die Mitarbeiter
118 in der Lage sind, über den Zweck der Produktion
119 mitzubestimmen. Je selbstverständlicher es wird, autonom zu
120 arbeiten, desto mehr drängt sich Mitarbeitern auch die
121 Perspektive auf, von dieser Autonomie zu anderen als den von
122 ihren Arbeits- oder Auftragsgebern vorgesehenen Zwecken
123 Gebrauch zu machen. Die neueren Ansätze eines „Social
124 Entrepreneurship“ setzen hier an, insofern sie darauf
125 abzielen, Unternehmensgewinne zu generieren, gleichzeitig
126 jedoch soziale oder gesellschaftliche Aufgaben zu lösen, die
127 nicht unmittelbar und allein mit dem Interessen des
128 Unternehmens zu tun haben. Auch „Social Entrepreneurship“
129 gerät allerdings dort an seine Grenzen, wo tatsächliche
130 Autonomie als freie Selbstbestimmtheit von Subjekten
131 anfängt.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Anders stellt sich die Entwicklung digital vernetzter Arbeit
2 dagegen bei komplexeren Aufgaben dar, deren Erledigung sich
3 nicht präzise vorstrukturieren lässt und die deshalb den
4 Arbeitenden mehr Eigenverantwortlichkeit und
5 Entscheidungskompetenzen abverlangen: Hier können die neuen
6 Techniken die Basis für Formen der Arbeitsorganisation
7 bilden, die von den Erwerbstätigen in deutlich höherem Maße
8 beeinflussbar sind und „Freiheitsgrade eröffnen, indem sie
9 als Medium für Kommunikations- und Wissensarbeit dienen.“
10 [FN: Kleemann, Frank/Matuschek, Ingo: Informalisierung als
11 Komplement der Informatisierung von Arbeit. 2008, S. 47.]
12 Steuerung erfolgt in diesen Fällen nicht über die
13 informationstechnische Vorgabe von Tätigkeitsschritten,
14 sondern in eher indirekter Form mittels einer Festschreibung
15 von Zielgrößen, beispielsweise in der Form von „Benchmarks“.
16 Im Rahmen dieser Prämissen verfügen die entsprechenden
17 Beschäftigten nicht selten über ein Maß an Autonomie, das in
18 tayloristisch geprägten Strukturen nicht vorstellbar ist.
19 [FN: Dem Kriterium Autonomie kommt insbesondere in der
20 Debatte um die Bedingungen nachhaltig produktiver und
21 attraktiver Wissensarbeit herausragende Bedeutung zu. Die
22 Maxime, Wissensarbeitern tunlichst weitreichende
23 Gestaltungsspielräume einzuräumen, ihnen
24 eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen und
25 Selbstmanagement abzuverlangen, kann hier seit Peter
26 Druckers entsprechender Feststellung als weitgehend
27 konsensfähig gelten: „Knowledge Workers have to manage
28 themselves. They have to have autonomy.“ Drucker, Peter:
29 Knowledge-Worker Productivity: The Biggest Challenge. 1999,
30 S. 84. (Hervorhebungen im Original).
31 Autonomie – wörtlich übersetzt: „Selbstgesetzgebung“ – lässt
32 sich unterteilen in Handlungs- und Verhandlungsautonomie.
33 Handlungsautonomie („job control“) bezieht sich auf
34 „Selbstbestimmung in der Arbeit: Eigene Ziele und Teilziele
35 bestimmen, eigene Zeiteinteilung treffen, Belastungen
36 vermeiden, soziale Kommunikation herstellen [...]“.
37 Verhandlungsautonomie („workers control“) hat den „Einfluss
38 auf die Kontextbedingungen der Arbeit“ zum Gegenstand:
39 „Lohn-/Leistungsregulation regulieren, [...],
40 Zeitsouveränität: Arbeit und Freizeit / Familie vereinbaren
41 können [...]“. Moldaschl, Manfred: Herrschaft durch
42 Autonomie – Dezentralisierung und widersprüchliche
43 Arbeitsanforderungen. 2001, S. 136.] Solcherlei Autonomie zu
44 ermöglichen beziehungsweise zu praktizieren ist dabei nicht
45 nur eine aus den Spezifika komplexer und wissensintensiver
46 Erwerbstätigkeiten resultierende Notwendigkeit, sondern
47 entspricht – so die in der Literatur vorherrschende
48 Sichtweise – durchaus auch den Wünschen der Arbeitenden: „
49 [...] bei den normativen Ansprüchen, die Wissensarbeiter mit
50 ihrem Job verbinden, steht ‚Autonomie’ an erster Stelle. Sie
51 ist für ihr Selbstwertgefühl konstitutiv. Autonomie meint
52 zum einen: Raum für Selbstständigkeit in der Arbeit, darüber
53 hinaus aber auch die Möglichkeit, durch eigene Leistung,
54 eigene Beiträge die Geschicke der Firma mitbestimmen zu
55 können.“ [FN: Kalkowski, Peter: Der Kontrakt der Arbeit bei
56 wissensintensiven Dienstleistungen. 2004, S. 256.]
57
58 Allerdings haben zahlreiche Beiträge der neueren
59 Arbeitsforschung den Sachverhalt thematisiert, dass
60 Autonomie und ihre Realisierung im Arbeitsalltag höchst
61 voraussetzungsvoll und nicht selten mit problematischen
62 Konsequenzen verbunden ist. Die Formel, auf die sich
63 einschlägige Analysen bringen lassen, lautet: „Belastung als
64 Preis der Autonomie“ [FN: Moldaschl, Manfred: Herrschaft
65 durch Autonomie – Dezentralisierung und widersprüchliche
66 Arbeitsanforderungen. 2001, S. 133.]. Sie beruht auf der
67 Erkenntnis, dass „kaum ein Befund [...] so häufig
68 beschrieben und bestätigt worden [ist] wie die trotz hoher
69 Autonomie bestehenden hohen psychischen Belastungen und
70 Erfahrungen der Überforderung bei hoch qualifizierten
71 Angestellten“ [FN: Brödner, Peter: Flexibilität,
72 Arbeitsbelastung und nachhaltige Arbeitsgestaltung. 2002, S.
73 499.]. Inwieweit digitale Wissensarbeiter von ihrer
74 Autonomie in oft projektförmig organisierten
75 Arbeitszusammenhängen real zu profitieren und mit den daraus
76 resultierenden Anforderungen, Belastungen und Unsicherheiten
77 umzugehen vermögen, hängt – eine Feststellung, die ähnlich
78 bereits im Blick auf die erweiterten raum-zeitlichen
79 Gestaltungsoptionen getroffen wurde [FN: Vgl. Abschnitt
80 3.3.1. ] – „in hohem Maße davon ab, welche personalen und
81 sozialen Handlungsmöglichkeiten und Ressourcen (etwa
82 Handlungskompetenzen, kooperatives Arbeitsklima, Einfluss)
83 im Projekt selbst und in Bezug auf dessen Rahmenbedingungen
84 verfügbar gemacht werden können“ [FN: Brödner, Peter:
85 Flexibilität, Arbeitsbelastung und nachhaltige
86 Arbeitsgestaltung. 2002, S. 502.]. Beispielsweise setzen
87 größere Tätigkeitsspielräume mit erweiterter Entscheidungs-
88 und Zeitsouveränität die Fähigkeit zu eigenständiger
89 Arbeitsplanung und -durchführung voraus und verlangen von
90 den Betroffenen Kompetenzen zur Selbstorganisation und
91 Selbstregulation, die nicht von vornherein als gegeben
92 betrachtet werden können. Vor allem aber kommt den
93 Verhandlungsspielräumen bei der Bestimmung von Ziel- und
94 Leistungsvorgaben und der Kriterien zur Leistungsmessung in
95 diesem Zusammenhang große Bedeutung zu. Nicht selten werden
96 „autonome“ Beschäftigte, statt in reale
97 Zielvereinbarungsprozesse einbezogen zu werden, mit rigiden
98 Zieldiktaten konfrontiert – und damit mit
99 Kontextbedingungen, unter denen Autonomie kaum nachhaltig
100 produktiv realisiert werden kann. Arbeitsgestaltung, die auf
101 die Reduzierung psychischer Belastungen abzielt, wird nicht
102 zuletzt an diesen Punkten anzusetzen haben.
103
104 Neben der Frage der Autonomie bei der Arbeit stellt sich für
105 Arbeitende heute zunehmend auch die Frage der Autonomie der
106 Arbeit. Damit Arbeit effektiv bewältigt werden kann, ist
107 eine weitgehende Autonomie der Beschäftigten heute
108 Voraussetzung. Dies hat damit zu tun, dass die
109 Arbeitsprozesse komplexer werden und die Wertschöpfung
110 zunehmend weniger von der investierten Arbeitszeit abhängig
111 ist als vom Engagement, dem Wissen und der Kreativität der
112 Mitarbeiter. Mit den entsprechend wachsenden Ansprüchen der
113 Arbeitgeber an den Einsatz ihrer Beschäftigten eröffnet sich
114 für diese aber zugleich die Möglichkeit, gerade jene
115 Kompetenzen, auf denen die Wertschöpfung des Unternehmens
116 wesentlich beruht, dessen Kontrolle zu entziehen. Die
117 Versuchung dazu wird umso größer, je weniger die Mitarbeiter
118 in der Lage sind, über den Zweck der Produktion
119 mitzubestimmen. Je selbstverständlicher es wird, autonom zu
120 arbeiten, desto mehr drängt sich Mitarbeitern auch die
121 Perspektive auf, von dieser Autonomie zu anderen als den von
122 ihren Arbeits- oder Auftragsgebern vorgesehenen Zwecken
123 Gebrauch zu machen. Die neueren Ansätze eines „Social
124 Entrepreneurship“ setzen hier an, insofern sie darauf
125 abzielen, Unternehmensgewinne zu generieren, gleichzeitig
126 jedoch soziale oder gesellschaftliche Aufgaben zu lösen, die
127 nicht unmittelbar und allein mit dem Interessen des
128 Unternehmens zu tun haben. Auch „Social Entrepreneurship“
129 gerät allerdings dort an seine Grenzen, wo tatsächliche
130 Autonomie als freie Selbstbestimmtheit von Subjekten
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