Papier: 3.3.2 Internationalisierung
Originalversion
1 | Die digitale Vernetzung hat – im Zusammenwirken mit weiteren |
2 | Faktoren wie der Liberalisierung des Welthandels und der |
3 | Herausbildung großer regionaler Wirtschaftsblöcke –in den |
4 | zurückliegenden Jahren eine enorme Schubkraft für den |
5 | weiteren Fortschritt der ökonomischen Internationalisierung |
6 | entfaltet, indem sie nicht nur die zunehmend engere |
7 | Verflechtung ehemals national abgeschotteter Märkte |
8 | forcierte, sondern insbesondere auch die standortverteilte |
9 | Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung im globalen |
10 | Maßstab ermöglichte. Aufgrund der Verbesserung und |
11 | Verbilligung netzbasierter Kommunikations- und |
12 | Kooperationstools wurde zum einen die Bedeutung |
13 | geografischer Entfernungen als traditionelle Hemmnisse für |
14 | großräumige wirtschaftliche Aktivitäten stark relativiert – |
15 | ein Trend, für den schlagwortartig die These vom „death of |
16 | distance“ [FN: Cairncross, Frances: The death of distance. |
17 | How the communication revolution is changing our lives. |
18 | 1997, Seite folgt] steht. Zum anderen lassen die neuen |
19 | digitalen Techniken eine zweite große „Entbündelung“ |
20 | ökonomischer Prozesse zu [FN: Vgl. Baldwin, Richard: |
21 | Globalisation: the great unbundling(s). 2006.]: Hatte |
22 | bereits die erste Entbündelung – die räumliche Trennung von |
23 | Produktion und Konsumtion, ermöglicht durch eine massive |
24 | Senkung der Transportkosten seit dem 19. Jahrhundert – den |
25 | weltweiten Handel beflügelt, weil so die Beförderung von |
26 | Gütern auch über weite Distanzen wirtschaftlich darstellbar |
27 | wurde, so erlaubt die digital gestützte zweite Entbündelung |
28 | nun eine Aufspaltung und räumliche Trennung einzelner |
29 | Wertschöpfungsstufen voneinander über die Grenzen von |
30 | Staaten, Zeitzonen und Kontinenten hinweg. |
31 | |
32 | In den entgrenzten Raum-Zeit-Konstellationen digital |
33 | vernetzter Produktion erweitern sich auf diese Weise die |
34 | organisatorischen Gestaltungsoptionen von Unternehmen nicht |
35 | nur im betrieblichen, regionalen und nationalen Kontext, |
36 | sondern im globalen Maßstab: Vor allem dann, „wenn der |
37 | Arbeitsgegenstand digitalisierbar ist, werden die weltweiten |
38 | Informationsnetze zur Infrastruktur eines neuen, |
39 | eigenständigen ‚Raums der Produktion‘“, der „eine |
40 | Kooperation in bestimmten Arbeitsprozessen über räumliche |
41 | Distanzen und ohne zeitliche Verzögerungen ermöglicht.“ [FN: |
42 | Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: Global verteilte Kopfarbeit. |
43 | Offshoring und der Wandel der Arbeitsbeziehungen. 2011, S. |
44 | 62.] Die digitale Vernetzung bildet damit die „Basis einer |
45 | Globalisierung 2.0“ [FN: Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: Global |
46 | verteilte Kopfarbeit. Offshoring und der Wandel der |
47 | Arbeitsbeziehungen. 2011, S. 59.] und bahnt einer neuen |
48 | Geografie der Arbeit den Weg, die vorrangig durch drei |
49 | Entwicklungen charakterisiert ist: |
50 | |
51 | eine zunehmende internationale Beweglichkeit digital |
52 | vernetzter Arbeit, |
53 | |
54 | eine Herausbildung tendenziell globaler |
55 | Wettbewerbsverhältnisse auf (Teil-) Arbeitsmärkten und |
56 | |
57 | eine Einbindung von Erwerbstätigen in transnationale |
58 | Organisations- und Arbeitszusammenhänge. |
59 | |
60 | |
61 | |
62 | Internationale Beweglichkeit digital vernetzter Arbeit |
63 | |
64 | Zum ersten wird digitale Arbeit zunehmend weltweit beweglich |
65 | und mit vergleichsweise geringem Aufwand verlagerbar – das |
66 | gängige Stichwort lautet hier „Offshoring“. [FN: Vgl. |
67 | ausführlich zur Definition des Begriffs „Offshoring“ u. a. |
68 | Boes, Andreas/Schwemmle, Michael: Was ist Offshoring?. 2005, |
69 | S. 9-12 und OECD: Offshoring and Employment: Trends and |
70 | Impacts.2007, S. 15 ff.] Stand dabei zunächst vor allem die |
71 | Software-Produktion oder die Wartung von IT-Systemen im |
72 | Zentrum, so hat sich die Bandbreite global dislozierter |
73 | Tätigkeiten mittlerweile über den IT-Sektor hinaus deutlich |
74 | vergrößert und umfasst heute insbesondere eine Vielzahl von |
75 | „Business Process Services“ aus Bereichen wie Buchhaltung, |
76 | Kundenbetreuung, Reisekostenabrechnung oder |
77 | Finanzdienstleistungen, aber auch Arbeiten in Forschung und |
78 | Entwicklung. Obwohl die Motive entsprechender Aktivitäten |
79 | vielfältiger Art sind und sich etwa auch auf den |
80 | erleichterten Zugang zu Auslandsmärkten oder knappen |
81 | Humanressourcen erstrecken, so dominiert doch nach wie vor |
82 | das Ziel, auf diesem Weg Kostensenkungen zu erreichen. [FN: |
83 | „In the case of production of goods and services, the |
84 | primary motivation emerging from opinion surveys is to cut |
85 | costs, but not labour costs alone.“ OECD: Offshoring and |
86 | Employment: Trends and Impacts. 2007, S. 7. Auch eine 2010 |
87 | durchgeführte Unternehmensbefragung von Steria Mummert und |
88 | Consulting in Deutschland kommt zu dem Schluss, dass „nach |
89 | wie vor das Ziel, Kosten zu senken, ganz oben (steht)“ |
90 | (Pütter, Christiane: Offshoring ja, aber bitte auf Deutsch. |
91 | 2010. Abrufbar unter: |
92 | http://www.cio.de/knowledgecenter/outsourcing/2254078 ] |
93 | Offshoring wird deshalb vor allem dann zur erwägenswerten |
94 | Option für Unternehmen, „wenn ein etablierter |
95 | Produktionsstandort in einem westlichen Industrieland |
96 | ungünstigere Kostenstrukturen aufweist als etwa ein |
97 | alternativer Standort in einem weit entfernten |
98 | Schwellenland“. [FN: Schrader, Klaus/Laaser, |
99 | Claus-Friedrich: Globalisierung in der Wirtschaftskrise: Wie |
100 | sicher sind die Jobs in Deutschland?. 2009, S. 3.] |
101 | |
102 | Die quantitative Dimension der internationalen |
103 | „Delokalisierung“ von Arbeit ist – nicht zuletzt aufgrund |
104 | von Messproblemen und einer unzulänglichen Datenlage [FN: |
105 | Vgl. zu den Problemen der Messung OECD: Offshoring and |
106 | Employment: Trends and Impacts. 2007, S. 41ff. Die |
107 | unbefriedigende Datenlage dürfte nicht zuletzt auch auf eine |
108 | mangelnde Auskunftsbereitschaft der Beteiligten |
109 | zurückzuführen sein: So führt „die Suche nach deutschen |
110 | Offshoring-Kunden […] bei den großen indischen |
111 | Dienstleistern und bei vielen deutschen Anbietern meist ins |
112 | Leere: Die Scheu, offen über Offshoring zu kommunizieren, |
113 | ist nach wie vor groß.“ Hoffmann, Daniela: Heimlicher Run |
114 | aufs Offshoring. 2011. Abrufbar unter: |
115 | http://www.computerwoche.de/management/it-services/2351512 ] |
116 | – bislang schwer zu taxieren. Marktforschungen von |
117 | Technology Business Research (TBR) zufolge weisen etwa in |
118 | Deutschland tätige IT-Dienstleister eine durchaus relevante |
119 | Offshoring-Quote aus – definiert als „Anteil der Prozesse, |
120 | die in Ländern erledigt werden, in denen billigere Löhne |
121 | gezahlt werden als auf dem Heimatmarkt“. Sie soll für IBM |
122 | bei 51 Prozent, für Accenture bei 44 Prozent, bei Cap Gemini |
123 | bei 36 Prozent und bei T-Systems, einer Sparte der Deutschen |
124 | Telekom, bei 21 Prozent liegen. [FN: Vgl. Handelsblatt vom |
125 | 12. Januar 2012: T-Systems verlagert Arbeit ins Ausland. |
126 | Unter Verweis auf diese im Vergleich niedrige |
127 | Offshoring-Quote kündigte T-Systems im Januar 2012 an, „im |
128 | Rahmen eines Kostensenkungsplans mehr Arbeit ins Ausland |
129 | verlagern“ zu wollen. Handelsblatt, ebd.] |
130 | |
131 | Auf Datennetzen prinzipiell verlagerbar dürften insbesondere |
132 | solche Tätigkeiten sein, die einer OECD-Analyse zufolge [FN: |
133 | Vgl. OECD: Potential Offshoring of ICT-intensive using |
134 | Occupations. 2005, S. 12.] nachfolgende Kriterien aufweisen: |
135 | intensive IT-Nutzung, |
136 | telekommunikative Übermittelbarkeit der Arbeitsergebnisse, |
137 | hohe Anteile an kodifiziertem Wissen bei niedrigen |
138 | Anteilen an implizitem oder Erfahrungswissen, |
139 | fehlende beziehungsweise geringe Erfordernis von |
140 | Face-to-Face-Kontakten. |
141 | |
142 | Darauf basierend schätzten OECD-Experten den Anteil |
143 | potenziell dislozierbarer Jobs in den EU15-Ländern, den USA, |
144 | Kanada und Australien für das Jahr 2003 auf annähernd 20 |
145 | Prozent aller Beschäftigten. [FN: Vgl. OECD: Potential |
146 | Offshoring of ICT-intensive using Occupations. 2005, S. 22.] |
147 | Für Deutschland machen die Ergebnisse einer zu einem |
148 | späteren Zeitpunkt durchgeführten Studie des Kieler |
149 | Instituts für Weltwirtschaft über die „Offshorability“ |
150 | hiesiger Arbeitsplätze ein noch größeres Potenzial deutlich: |
151 | Nach Maßgabe der Kriterien der (Nicht-)Ortsgebundenheit und |
152 | der (Nicht-)Notwendigkeit eines persönlichen Kundenkontakts |
153 | bei der jeweils erforderlichen Leistungserstellung kommt |
154 | diese zu dem Schluss, dass insgesamt rund 42 Prozent der |
155 | Jobs von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ins |
156 | Ausland verlagerbar seien, darin eingeschlossen sind 11 |
157 | Prozent, die sogar als „leicht verlagerbar“ zu gelten |
158 | hätten. [FN: Vgl. Schrader, Klaus/Laaser, Claus-Friedrich: |
159 | Globalisierung in der Wirtschaftskrise: Wie sicher sind die |
160 | Jobs in Deutschland?. 2009, S. 8.] Auch wenn diese Daten nur |
161 | eine theoretische Größenordnung beschreiben mögen, so lassen |
162 | sie doch den erheblichen Spielraum erkennen, über den |
163 | Unternehmen hier prinzipiell verfügen könnten. |
164 | |
165 | Einer neueren Prognose der Hackett Group [FN: Vgl. Hackett |
166 | Group: New Hackett Research Forecasts Offshoring of 750.000 |
167 | more Jobs in Finance, IT, other Key Business Services Areas |
168 | by 2016. 2012. Abrufbar unter: |
169 | http://www.thehackettgroup.com/about/research-alerts-press-r |
170 | eleases/2012/03272012-hackett-research-forecasts-offshoring. |
171 | jsp] zufolge, die auf der Befragung von 4.700 europäischen |
172 | und US-amerikanischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von |
173 | über einer Milliarde US-Dollar basierte, werden bis zum Jahr |
174 | 2016 – ausgehend von 2001 – insgesamt rund 2,3 Millionen |
175 | Jobs aus den Bereichen IT, Finanzdienstleistungen, |
176 | Beschaffungs- und Personalwesen in Niedriglohnländer |
177 | verlagert worden sein. Dies entspreche einem Anteil von rund |
178 | einem Drittel der Gesamtbeschäftigung in diesen |
179 | Tätigkeitsfeldern. Ab 2014 könne sich der Offshoring-Trend |
180 | jedoch verlangsamen und innerhalb von acht bis zehn Jahren |
181 | seinen Einfluss als Hauptursache für den Abbau von |
182 | Dienstleistungsarbeitsplätzen in den Industrieländern |
183 | einbüßen – vor allem deshalb, weil dann keine |
184 | verlagerungsgeeigneten Jobs mehr übrig seien. |
185 | |
186 | |
187 | |
188 | |
189 | Globale Wettbewerbsverhältnisse auf (Teil-)Arbeitsmärkten |
190 | |
191 | Zum zweiten entstehen im Zuge der digitalen Transformation |
192 | tendenziell globale Wettbewerbsverhältnisse auf |
193 | (Teil-)Arbeitsmärkten – und dies sowohl nachfrage- wie |
194 | angebotsseitig: Ist die Option der Verlagerbarkeit von |
195 | Tätigkeiten real gegeben, so wird das hierfür jeweils |
196 | verfügbare Arbeitskräftepotenzial größer und „im |
197 | ‚entfernungslosen’ Raum informationstechnologisch |
198 | herstellbarer Nähe konkurrieren von nun an potenziell alle |
199 | mit allen Orten der Welt um […] entsprechende Arbeitsplätze“ |
200 | [FN: Beck, Ulrich: Wie wird Demokratie im Zeitalter der |
201 | Globalisierung möglich? Eine Einleitung. 1998, S. 21. |
202 | ]. Da dieser Wettbewerb im weltweiten Maßstab noch immer von |
203 | zum Teil ausgeprägten Asymmetrien geprägt ist – etwa was |
204 | Lohnniveau, arbeitsrechtliche Normen oder gewerkschaftliche |
205 | Organisationsmacht anbetrifft –, können die in den |
206 | westlichen Industrieländern erreichten Standards auf diesem |
207 | Weg unter erheblichen Druck geraten. Die Erweiterung des |
208 | Standortrepertoires der Unternehmensleitungen verschafft |
209 | diesen zusätzliche „Exit-Optionen“ und verbessert damit |
210 | deren Verhandlungsposition, da ihre „transnationale |
211 | Entzugsmacht [...] der Organisationsmacht von Staaten und |
212 | Gewerkschaften überlegen (ist), weil sie nicht mehr, wie |
213 | diese, territorial gebunden ist“ [FN: Beck, Ulrich: Wie wird |
214 | Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich? Eine |
215 | Einleitung. 1998, S. 18. |
216 | ]. Auch im relativ hoch entwickelten deutschen |
217 | Mitbestimmungssystem verfügen betriebliche |
218 | Interessenvertretungen bei Konflikten um die Verlagerung von |
219 | Arbeitsplätzen gegenwärtig nur über sehr begrenzte |
220 | Einflussmöglichkeiten, mit denen sie letztlich „weder den |
221 | Übergang des Betriebes noch den Verlust des Arbeitsplatzes |
222 | verhindern, sondern allenfalls nachteilige Folgen für den |
223 | Arbeitnehmer abschwächen“ können [FN: Pesch, Benjamin: |
224 | Offshoring – Welche arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen hat ein |
225 | grenzüberschreitender Betriebsübergang?. 2012, S. 121.]. |
226 | |
227 | Arbeitgeber wissen weltweit von diesem strategischen Vorteil |
228 | Gebrauch zu machen: Einer Einschätzung des bei der OECD |
229 | angesiedelten Trade Union Advisory Committee zufolge ist der |
230 | Rückgriff auf die Exit-Drohung in Verhandlungen und |
231 | Konfliktsituationen international längst zum gängigen |
232 | unternehmerischen Druckmittel geworden. [FN: „The threat of |
233 | relocation to an offshore site is now the standard ploy in |
234 | negotiations or in anti-union campaigns [...]” TUAC: Trade, |
235 | Offshoring of Jobs and Structural Adjustment – The Need for |
236 | a Policy Response. 2004, S. 3.] Ob diese Karte letztlich |
237 | real ausgespielt wird, ist dabei oft noch nicht einmal von |
238 | ausschlaggebender Bedeutung. Häufig zeitigt allein schon die |
239 | bloße „Wirklichkeit der Möglichkeit“ [FN: Beck, Ulrich: Wie |
240 | wird Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich? |
241 | Eine Einleitung. 1998, S. 23.] von Jobverlagerungen reale |
242 | Effekte, indem sie „mäßigend“ auf Beschäftigte, Betriebsräte |
243 | und Gewerkschaften wirkt. Auf diesen Tatbestand und seine |
244 | Konsequenzen hat u. a. eine von der Deutschen |
245 | Bischofskonferenz beauftragte Wissenschaftlergruppe |
246 | nachdrücklich aufmerksam gemacht: „Neben den positiven und |
247 | negativen Effekten auf die Zahl der Arbeitsplätze ist davon |
248 | auszugehen, dass sich das Offshoring – insbesondere die |
249 | Drohung mit ihm – auch auf die Arbeitsbedingungen in den |
250 | Industrieländern auswirkt. Die Option, Arbeitsplätze ins |
251 | Ausland zu verlagern, stärkt offensichtlich die Position der |
252 | Unternehmensführungen in ihren Verhandlungen mit den |
253 | Arbeitnehmervertretern der bereits bestehenden Büros und |
254 | Betriebsstätten ganz erheblich. Letztere sehen sich durch |
255 | die Offshoring-Pläne der Vorstände immer wieder vor die Wahl |
256 | zwischen zwei Übeln gestellt: zwischen dem Übel des |
257 | Verlustes vieler Arbeitsplätze und dem Übel, |
258 | Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen, insbesondere |
259 | Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen hinzunehmen. |
260 | Selbst dann, wenn ein Industrieland vermutlich bisher kaum |
261 | Arbeitsplätze durch Verlagerungen in Entwicklungs- oder |
262 | Transformationsländern verloren hat, bedeutet dies also |
263 | nicht, dass das Offshoring-Phänomen die wirtschaftliche und |
264 | soziale Entwicklung dieses Industrielandes nicht stark |
265 | beeinflusst hätte.“ [FN: Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für |
266 | weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz |
267 | (Hrsg.): Verlagerung von Arbeitsplätzen – |
268 | Entwicklungschancen und Menschenwürde. Sozialethische |
269 | Überlegungen. 2008, S. 40.] |
270 | |
271 | |
272 | |
273 | |
274 | Transnationale Organisations- und Arbeitszusammenhänge |
275 | |
276 | Ein dritter, sich auf der Basis digitaler Vernetzung |
277 | herausbildender Veränderungstrend ist die verstärkte |
278 | Einbindung von Erwerbstätigen in grenzüberschreitende |
279 | Wertschöpfungsverbünde und transnationale Organisations- und |
280 | Arbeitszusammenhänge. Als besonders avanciert und prominent |
281 | kann hier vor allem die globale Softwareentwicklung durch |
282 | weltweit verteilte Teams gelten. Weitere Erscheinungsformen |
283 | sind Kooperationen zwischen standortverteilten |
284 | Funktionseinheiten von Konzernen, die etwa ihre Buchhaltung |
285 | oder andere „shared services“ im Ausland angesiedelt haben. |
286 | Solche Konstellationen verbinden sich nicht nur mit |
287 | koordinativen Herausforderungen für das jeweilige |
288 | Management, sondern auch mit neuen Problemstellungen für die |
289 | betroffenen Beschäftigten, die vor allem deren |
290 | Qualifikation, Arbeitszeiten und arbeitsrechtliche Situation |
291 | berühren: |
292 | |
293 | Qualifikation: Mit der Arbeit in globalen Bezügen |
294 | verändern sich grundlegende Anforderungen an die beruflichen |
295 | Kompetenzen, die sich primär auf häufig neu zu erwerbende |
296 | sprachliche, interkulturelle und technische Fähigkeiten |
297 | beziehen. Es geht dabei aber auch im weiteren Sinne „um eine |
298 | echte strategische Neueinstellung: die Mitarbeiter sehr |
299 | grundlegend zu befähigen, sich auf die neue Phase der |
300 | Globalisierung einzulassen; sie in die Lage zu versetzen, |
301 | sich produktiv und ‚in erster Person‘ in die Umbruchprozesse |
302 | einzubringen“. [FN: Boes, Andreas/Baukrowitz, Andrea/Kämpf, |
303 | Tobias/Marrs, Kira: Eine global vernetzte Ökonomie braucht |
304 | die Menschen. Strategische Herausforderungen für Arbeit und |
305 | Qualifikation. 2011, S. 17. Abrufbar unter: |
306 | http://www.isf-muenchen.de/pdf/2011-boes-baukrowitz-kaempf-m |
307 | arrs-eine-global-vernetzte-oekonomie.pdf ] |
308 | |
309 | Arbeitszeiten: Häufig wird in internationalen |
310 | Arbeitszusammenhängen über Zeitzonen hinweg und nicht selten |
311 | sogar in rund um die Uhr laufenden |
312 | „Follow-the-sun-workflows“ kooperiert. Beschäftigte sehen |
313 | sich unter diesen Voraussetzungen häufig mit der |
314 | Notwendigkeit ungewöhnlicher Arbeits- und Präsenzzeiten – |
315 | spät in der Nacht, früh am Morgen – und mit zeitlich |
316 | zunehmend ausgedehnten Verfügbarkeitserwartungen |
317 | konfrontiert. Die daraus resultierenden Beanspruchungen |
318 | können auf längere Sicht zu einer Gefährdung der Gesundheit |
319 | und einer Beeinträchtigung der Work-Life-Balance der |
320 | Betroffenen führen. [FN: Vgl. hierzu ausführlich im |
321 | Abschnitt 3.3.4 Gesundes Arbeiten.] |
322 | |
323 | Arbeitsrechtliche Situation: Viele Gestaltungsvarianten |
324 | international vernetzter Wertschöpfung zeichnen sich auf der |
325 | rechtlichen Ebene dadurch aus, dass die in Deutschland |
326 | Beschäftigten sowie ihre Betriebsräte mit Arbeitssituationen |
327 | konfrontiert werden, die durch betriebswirtschaftlich |
328 | optimale Konzepte der Arbeitserbringung geprägt sind, nicht |
329 | jedoch durch das national geltende Arbeitsrecht. Dies führt |
330 | beispielsweise dazu, dass Beschäftigte ihre Arbeitsaufträge |
331 | von Personen oder Stellen erhalten, die organisatorisch |
332 | außerhalb ihres Betriebs oder Unternehmens angesiedelt sind |
333 | und geografisch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland |
334 | beziehungsweise der Europäischen Union. In einer steigenden |
335 | Zahl von Fällen lässt sich in solchen Strukturen keine klare |
336 | zivilrechtliche Beziehung zwischen Arbeitnehmern und ihren |
337 | funktionalen Vorgesetzten mehr erkennen. Dies verweist auf |
338 | das generelle Problem, dass das arbeitsrechtliche Modell |
339 | durch das Territorialitätsprinzip auf das Hoheitsgebiet der |
340 | Bundesrepublik Deutschland begrenzt ist. Grenzüberschreitend |
341 | kommen einzelne nationale Gesetzesvorschriften nur |
342 | ausnahmsweise zur Anwendung, beispielsweise dann, wenn auf |
343 | der Basis von Arbeitsverträgen nach deutschem Recht |
344 | beschäftigte Personen im Ausland tätig werden. Die begrenzte |
345 | Reichweite des deutschen Arbeitsrechts wird schon im |
346 | europäischen Rechtsraum nicht durch adäquate EU-Regelungen |
347 | substituiert. Im weltweiten Rahmen gibt es flächendeckend |
348 | keine arbeitsrechtlichen Vorgaben, die den deutschen |
349 | Rechtsstandard adäquat abbilden. |
350 | |
351 | Die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung, wie |
352 | sie auf der Basis globaler digitaler Vernetzung in neuer |
353 | Qualität möglich geworden ist, kann per Saldo zu bedeutsamen |
354 | Wohlfahrtsgewinnen – sowohl in den entwickelten |
355 | Industrieländern als auch in Schwellen- und |
356 | Entwicklungsländern – führen. Zugleich resultieren aus |
357 | dieser Entwicklung Herausforderungen auf Handlungsfeldern |
358 | wie dem Arbeitsrecht, den internationalen Arbeits- und |
359 | Sozialstandards, der Qualifizierung oder auch der |
360 | Arbeitsgestaltung, die es politisch anzugehen gilt, um |
361 | Ängste und Verunsicherungen von Beschäftigten glaubwürdig |
362 | eindämmen und die fortschreitende Globalisierung nachhaltig |
363 | auf einen möglichst breiten Konsens stützen zu können. |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Die digitale Vernetzung hat – im Zusammenwirken mit weiteren |
2 | Faktoren wie der Liberalisierung des Welthandels und der |
3 | Herausbildung großer regionaler Wirtschaftsblöcke –in den |
4 | zurückliegenden Jahren eine enorme Schubkraft für den |
5 | weiteren Fortschritt der ökonomischen Internationalisierung |
6 | entfaltet, indem sie nicht nur die zunehmend engere |
7 | Verflechtung ehemals national abgeschotteter Märkte |
8 | forcierte, sondern insbesondere auch die standortverteilte |
9 | Organisation arbeitsteiliger Wertschöpfung im globalen |
10 | Maßstab ermöglichte. Aufgrund der Verbesserung und |
11 | Verbilligung netzbasierter Kommunikations- und |
12 | Kooperationstools wurde zum einen die Bedeutung |
13 | geografischer Entfernungen als traditionelle Hemmnisse für |
14 | großräumige wirtschaftliche Aktivitäten stark relativiert – |
15 | ein Trend, für den schlagwortartig die These vom „death of |
16 | distance“ [FN: Cairncross, Frances: The death of distance. |
17 | How the communication revolution is changing our lives. |
18 | 1997, Seite folgt] steht. Zum anderen lassen die neuen |
19 | digitalen Techniken eine zweite große „Entbündelung“ |
20 | ökonomischer Prozesse zu [FN: Vgl. Baldwin, Richard: |
21 | Globalisation: the great unbundling(s). 2006.]: Hatte |
22 | bereits die erste Entbündelung – die räumliche Trennung von |
23 | Produktion und Konsumtion, ermöglicht durch eine massive |
24 | Senkung der Transportkosten seit dem 19. Jahrhundert – den |
25 | weltweiten Handel beflügelt, weil so die Beförderung von |
26 | Gütern auch über weite Distanzen wirtschaftlich darstellbar |
27 | wurde, so erlaubt die digital gestützte zweite Entbündelung |
28 | nun eine Aufspaltung und räumliche Trennung einzelner |
29 | Wertschöpfungsstufen voneinander über die Grenzen von |
30 | Staaten, Zeitzonen und Kontinenten hinweg. |
31 | |
32 | In den entgrenzten Raum-Zeit-Konstellationen digital |
33 | vernetzter Produktion erweitern sich auf diese Weise die |
34 | organisatorischen Gestaltungsoptionen von Unternehmen nicht |
35 | nur im betrieblichen, regionalen und nationalen Kontext, |
36 | sondern im globalen Maßstab: Vor allem dann, „wenn der |
37 | Arbeitsgegenstand digitalisierbar ist, werden die weltweiten |
38 | Informationsnetze zur Infrastruktur eines neuen, |
39 | eigenständigen ‚Raums der Produktion‘“, der „eine |
40 | Kooperation in bestimmten Arbeitsprozessen über räumliche |
41 | Distanzen und ohne zeitliche Verzögerungen ermöglicht.“ [FN: |
42 | Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: Global verteilte Kopfarbeit. |
43 | Offshoring und der Wandel der Arbeitsbeziehungen. 2011, S. |
44 | 62.] Die digitale Vernetzung bildet damit die „Basis einer |
45 | Globalisierung 2.0“ [FN: Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: Global |
46 | verteilte Kopfarbeit. Offshoring und der Wandel der |
47 | Arbeitsbeziehungen. 2011, S. 59.] und bahnt einer neuen |
48 | Geografie der Arbeit den Weg, die vorrangig durch drei |
49 | Entwicklungen charakterisiert ist: |
50 | |
51 | eine zunehmende internationale Beweglichkeit digital |
52 | vernetzter Arbeit, |
53 | |
54 | eine Herausbildung tendenziell globaler |
55 | Wettbewerbsverhältnisse auf (Teil-) Arbeitsmärkten und |
56 | |
57 | eine Einbindung von Erwerbstätigen in transnationale |
58 | Organisations- und Arbeitszusammenhänge. |
59 | |
60 | |
61 | |
62 | Internationale Beweglichkeit digital vernetzter Arbeit |
63 | |
64 | Zum ersten wird digitale Arbeit zunehmend weltweit beweglich |
65 | und mit vergleichsweise geringem Aufwand verlagerbar – das |
66 | gängige Stichwort lautet hier „Offshoring“. [FN: Vgl. |
67 | ausführlich zur Definition des Begriffs „Offshoring“ u. a. |
68 | Boes, Andreas/Schwemmle, Michael: Was ist Offshoring?. 2005, |
69 | S. 9-12 und OECD: Offshoring and Employment: Trends and |
70 | Impacts.2007, S. 15 ff.] Stand dabei zunächst vor allem die |
71 | Software-Produktion oder die Wartung von IT-Systemen im |
72 | Zentrum, so hat sich die Bandbreite global dislozierter |
73 | Tätigkeiten mittlerweile über den IT-Sektor hinaus deutlich |
74 | vergrößert und umfasst heute insbesondere eine Vielzahl von |
75 | „Business Process Services“ aus Bereichen wie Buchhaltung, |
76 | Kundenbetreuung, Reisekostenabrechnung oder |
77 | Finanzdienstleistungen, aber auch Arbeiten in Forschung und |
78 | Entwicklung. Obwohl die Motive entsprechender Aktivitäten |
79 | vielfältiger Art sind und sich etwa auch auf den |
80 | erleichterten Zugang zu Auslandsmärkten oder knappen |
81 | Humanressourcen erstrecken, so dominiert doch nach wie vor |
82 | das Ziel, auf diesem Weg Kostensenkungen zu erreichen. [FN: |
83 | „In the case of production of goods and services, the |
84 | primary motivation emerging from opinion surveys is to cut |
85 | costs, but not labour costs alone.“ OECD: Offshoring and |
86 | Employment: Trends and Impacts. 2007, S. 7. Auch eine 2010 |
87 | durchgeführte Unternehmensbefragung von Steria Mummert und |
88 | Consulting in Deutschland kommt zu dem Schluss, dass „nach |
89 | wie vor das Ziel, Kosten zu senken, ganz oben (steht)“ |
90 | (Pütter, Christiane: Offshoring ja, aber bitte auf Deutsch. |
91 | 2010. Abrufbar unter: |
92 | http://www.cio.de/knowledgecenter/outsourcing/2254078 ] |
93 | Offshoring wird deshalb vor allem dann zur erwägenswerten |
94 | Option für Unternehmen, „wenn ein etablierter |
95 | Produktionsstandort in einem westlichen Industrieland |
96 | ungünstigere Kostenstrukturen aufweist als etwa ein |
97 | alternativer Standort in einem weit entfernten |
98 | Schwellenland“. [FN: Schrader, Klaus/Laaser, |
99 | Claus-Friedrich: Globalisierung in der Wirtschaftskrise: Wie |
100 | sicher sind die Jobs in Deutschland?. 2009, S. 3.] |
101 | |
102 | Die quantitative Dimension der internationalen |
103 | „Delokalisierung“ von Arbeit ist – nicht zuletzt aufgrund |
104 | von Messproblemen und einer unzulänglichen Datenlage [FN: |
105 | Vgl. zu den Problemen der Messung OECD: Offshoring and |
106 | Employment: Trends and Impacts. 2007, S. 41ff. Die |
107 | unbefriedigende Datenlage dürfte nicht zuletzt auch auf eine |
108 | mangelnde Auskunftsbereitschaft der Beteiligten |
109 | zurückzuführen sein: So führt „die Suche nach deutschen |
110 | Offshoring-Kunden […] bei den großen indischen |
111 | Dienstleistern und bei vielen deutschen Anbietern meist ins |
112 | Leere: Die Scheu, offen über Offshoring zu kommunizieren, |
113 | ist nach wie vor groß.“ Hoffmann, Daniela: Heimlicher Run |
114 | aufs Offshoring. 2011. Abrufbar unter: |
115 | http://www.computerwoche.de/management/it-services/2351512 ] |
116 | – bislang schwer zu taxieren. Marktforschungen von |
117 | Technology Business Research (TBR) zufolge weisen etwa in |
118 | Deutschland tätige IT-Dienstleister eine durchaus relevante |
119 | Offshoring-Quote aus – definiert als „Anteil der Prozesse, |
120 | die in Ländern erledigt werden, in denen billigere Löhne |
121 | gezahlt werden als auf dem Heimatmarkt“. Sie soll für IBM |
122 | bei 51 Prozent, für Accenture bei 44 Prozent, bei Cap Gemini |
123 | bei 36 Prozent und bei T-Systems, einer Sparte der Deutschen |
124 | Telekom, bei 21 Prozent liegen. [FN: Vgl. Handelsblatt vom |
125 | 12. Januar 2012: T-Systems verlagert Arbeit ins Ausland. |
126 | Unter Verweis auf diese im Vergleich niedrige |
127 | Offshoring-Quote kündigte T-Systems im Januar 2012 an, „im |
128 | Rahmen eines Kostensenkungsplans mehr Arbeit ins Ausland |
129 | verlagern“ zu wollen. Handelsblatt, ebd.] |
130 | |
131 | Auf Datennetzen prinzipiell verlagerbar dürften insbesondere |
132 | solche Tätigkeiten sein, die einer OECD-Analyse zufolge [FN: |
133 | Vgl. OECD: Potential Offshoring of ICT-intensive using |
134 | Occupations. 2005, S. 12.] nachfolgende Kriterien aufweisen: |
135 | intensive IT-Nutzung, |
136 | telekommunikative Übermittelbarkeit der Arbeitsergebnisse, |
137 | hohe Anteile an kodifiziertem Wissen bei niedrigen |
138 | Anteilen an implizitem oder Erfahrungswissen, |
139 | fehlende beziehungsweise geringe Erfordernis von |
140 | Face-to-Face-Kontakten. |
141 | |
142 | Darauf basierend schätzten OECD-Experten den Anteil |
143 | potenziell dislozierbarer Jobs in den EU15-Ländern, den USA, |
144 | Kanada und Australien für das Jahr 2003 auf annähernd 20 |
145 | Prozent aller Beschäftigten. [FN: Vgl. OECD: Potential |
146 | Offshoring of ICT-intensive using Occupations. 2005, S. 22.] |
147 | Für Deutschland machen die Ergebnisse einer zu einem |
148 | späteren Zeitpunkt durchgeführten Studie des Kieler |
149 | Instituts für Weltwirtschaft über die „Offshorability“ |
150 | hiesiger Arbeitsplätze ein noch größeres Potenzial deutlich: |
151 | Nach Maßgabe der Kriterien der (Nicht-)Ortsgebundenheit und |
152 | der (Nicht-)Notwendigkeit eines persönlichen Kundenkontakts |
153 | bei der jeweils erforderlichen Leistungserstellung kommt |
154 | diese zu dem Schluss, dass insgesamt rund 42 Prozent der |
155 | Jobs von sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ins |
156 | Ausland verlagerbar seien, darin eingeschlossen sind 11 |
157 | Prozent, die sogar als „leicht verlagerbar“ zu gelten |
158 | hätten. [FN: Vgl. Schrader, Klaus/Laaser, Claus-Friedrich: |
159 | Globalisierung in der Wirtschaftskrise: Wie sicher sind die |
160 | Jobs in Deutschland?. 2009, S. 8.] Auch wenn diese Daten nur |
161 | eine theoretische Größenordnung beschreiben mögen, so lassen |
162 | sie doch den erheblichen Spielraum erkennen, über den |
163 | Unternehmen hier prinzipiell verfügen könnten. |
164 | |
165 | Einer neueren Prognose der Hackett Group [FN: Vgl. Hackett |
166 | Group: New Hackett Research Forecasts Offshoring of 750.000 |
167 | more Jobs in Finance, IT, other Key Business Services Areas |
168 | by 2016. 2012. Abrufbar unter: |
169 | http://www.thehackettgroup.com/about/research-alerts-press-r |
170 | eleases/2012/03272012-hackett-research-forecasts-offshoring. |
171 | jsp] zufolge, die auf der Befragung von 4.700 europäischen |
172 | und US-amerikanischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von |
173 | über einer Milliarde US-Dollar basierte, werden bis zum Jahr |
174 | 2016 – ausgehend von 2001 – insgesamt rund 2,3 Millionen |
175 | Jobs aus den Bereichen IT, Finanzdienstleistungen, |
176 | Beschaffungs- und Personalwesen in Niedriglohnländer |
177 | verlagert worden sein. Dies entspreche einem Anteil von rund |
178 | einem Drittel der Gesamtbeschäftigung in diesen |
179 | Tätigkeitsfeldern. Ab 2014 könne sich der Offshoring-Trend |
180 | jedoch verlangsamen und innerhalb von acht bis zehn Jahren |
181 | seinen Einfluss als Hauptursache für den Abbau von |
182 | Dienstleistungsarbeitsplätzen in den Industrieländern |
183 | einbüßen – vor allem deshalb, weil dann keine |
184 | verlagerungsgeeigneten Jobs mehr übrig seien. |
185 | |
186 | |
187 | |
188 | |
189 | Globale Wettbewerbsverhältnisse auf (Teil-)Arbeitsmärkten |
190 | |
191 | Zum zweiten entstehen im Zuge der digitalen Transformation |
192 | tendenziell globale Wettbewerbsverhältnisse auf |
193 | (Teil-)Arbeitsmärkten – und dies sowohl nachfrage- wie |
194 | angebotsseitig: Ist die Option der Verlagerbarkeit von |
195 | Tätigkeiten real gegeben, so wird das hierfür jeweils |
196 | verfügbare Arbeitskräftepotenzial größer und „im |
197 | ‚entfernungslosen’ Raum informationstechnologisch |
198 | herstellbarer Nähe konkurrieren von nun an potenziell alle |
199 | mit allen Orten der Welt um […] entsprechende Arbeitsplätze“ |
200 | [FN: Beck, Ulrich: Wie wird Demokratie im Zeitalter der |
201 | Globalisierung möglich? Eine Einleitung. 1998, S. 21. |
202 | ]. Da dieser Wettbewerb im weltweiten Maßstab noch immer von |
203 | zum Teil ausgeprägten Asymmetrien geprägt ist – etwa was |
204 | Lohnniveau, arbeitsrechtliche Normen oder gewerkschaftliche |
205 | Organisationsmacht anbetrifft –, können die in den |
206 | westlichen Industrieländern erreichten Standards auf diesem |
207 | Weg unter erheblichen Druck geraten. Die Erweiterung des |
208 | Standortrepertoires der Unternehmensleitungen verschafft |
209 | diesen zusätzliche „Exit-Optionen“ und verbessert damit |
210 | deren Verhandlungsposition, da ihre „transnationale |
211 | Entzugsmacht [...] der Organisationsmacht von Staaten und |
212 | Gewerkschaften überlegen (ist), weil sie nicht mehr, wie |
213 | diese, territorial gebunden ist“ [FN: Beck, Ulrich: Wie wird |
214 | Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich? Eine |
215 | Einleitung. 1998, S. 18. |
216 | ]. Auch im relativ hoch entwickelten deutschen |
217 | Mitbestimmungssystem verfügen betriebliche |
218 | Interessenvertretungen bei Konflikten um die Verlagerung von |
219 | Arbeitsplätzen gegenwärtig nur über sehr begrenzte |
220 | Einflussmöglichkeiten, mit denen sie letztlich „weder den |
221 | Übergang des Betriebes noch den Verlust des Arbeitsplatzes |
222 | verhindern, sondern allenfalls nachteilige Folgen für den |
223 | Arbeitnehmer abschwächen“ können [FN: Pesch, Benjamin: |
224 | Offshoring – Welche arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen hat ein |
225 | grenzüberschreitender Betriebsübergang?. 2012, S. 121.]. |
226 | |
227 | Arbeitgeber wissen weltweit von diesem strategischen Vorteil |
228 | Gebrauch zu machen: Einer Einschätzung des bei der OECD |
229 | angesiedelten Trade Union Advisory Committee zufolge ist der |
230 | Rückgriff auf die Exit-Drohung in Verhandlungen und |
231 | Konfliktsituationen international längst zum gängigen |
232 | unternehmerischen Druckmittel geworden. [FN: „The threat of |
233 | relocation to an offshore site is now the standard ploy in |
234 | negotiations or in anti-union campaigns [...]” TUAC: Trade, |
235 | Offshoring of Jobs and Structural Adjustment – The Need for |
236 | a Policy Response. 2004, S. 3.] Ob diese Karte letztlich |
237 | real ausgespielt wird, ist dabei oft noch nicht einmal von |
238 | ausschlaggebender Bedeutung. Häufig zeitigt allein schon die |
239 | bloße „Wirklichkeit der Möglichkeit“ [FN: Beck, Ulrich: Wie |
240 | wird Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich? |
241 | Eine Einleitung. 1998, S. 23.] von Jobverlagerungen reale |
242 | Effekte, indem sie „mäßigend“ auf Beschäftigte, Betriebsräte |
243 | und Gewerkschaften wirkt. Auf diesen Tatbestand und seine |
244 | Konsequenzen hat u. a. eine von der Deutschen |
245 | Bischofskonferenz beauftragte Wissenschaftlergruppe |
246 | nachdrücklich aufmerksam gemacht: „Neben den positiven und |
247 | negativen Effekten auf die Zahl der Arbeitsplätze ist davon |
248 | auszugehen, dass sich das Offshoring – insbesondere die |
249 | Drohung mit ihm – auch auf die Arbeitsbedingungen in den |
250 | Industrieländern auswirkt. Die Option, Arbeitsplätze ins |
251 | Ausland zu verlagern, stärkt offensichtlich die Position der |
252 | Unternehmensführungen in ihren Verhandlungen mit den |
253 | Arbeitnehmervertretern der bereits bestehenden Büros und |
254 | Betriebsstätten ganz erheblich. Letztere sehen sich durch |
255 | die Offshoring-Pläne der Vorstände immer wieder vor die Wahl |
256 | zwischen zwei Übeln gestellt: zwischen dem Übel des |
257 | Verlustes vieler Arbeitsplätze und dem Übel, |
258 | Verschlechterungen bei den Arbeitsbedingungen, insbesondere |
259 | Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen hinzunehmen. |
260 | Selbst dann, wenn ein Industrieland vermutlich bisher kaum |
261 | Arbeitsplätze durch Verlagerungen in Entwicklungs- oder |
262 | Transformationsländern verloren hat, bedeutet dies also |
263 | nicht, dass das Offshoring-Phänomen die wirtschaftliche und |
264 | soziale Entwicklung dieses Industrielandes nicht stark |
265 | beeinflusst hätte.“ [FN: Wissenschaftliche Arbeitsgruppe für |
266 | weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz |
267 | (Hrsg.): Verlagerung von Arbeitsplätzen – |
268 | Entwicklungschancen und Menschenwürde. Sozialethische |
269 | Überlegungen. 2008, S. 40.] |
270 | |
271 | |
272 | |
273 | |
274 | Transnationale Organisations- und Arbeitszusammenhänge |
275 | |
276 | Ein dritter, sich auf der Basis digitaler Vernetzung |
277 | herausbildender Veränderungstrend ist die verstärkte |
278 | Einbindung von Erwerbstätigen in grenzüberschreitende |
279 | Wertschöpfungsverbünde und transnationale Organisations- und |
280 | Arbeitszusammenhänge. Als besonders avanciert und prominent |
281 | kann hier vor allem die globale Softwareentwicklung durch |
282 | weltweit verteilte Teams gelten. Weitere Erscheinungsformen |
283 | sind Kooperationen zwischen standortverteilten |
284 | Funktionseinheiten von Konzernen, die etwa ihre Buchhaltung |
285 | oder andere „shared services“ im Ausland angesiedelt haben. |
286 | Solche Konstellationen verbinden sich nicht nur mit |
287 | koordinativen Herausforderungen für das jeweilige |
288 | Management, sondern auch mit neuen Problemstellungen für die |
289 | betroffenen Beschäftigten, die vor allem deren |
290 | Qualifikation, Arbeitszeiten und arbeitsrechtliche Situation |
291 | berühren: |
292 | |
293 | Qualifikation: Mit der Arbeit in globalen Bezügen |
294 | verändern sich grundlegende Anforderungen an die beruflichen |
295 | Kompetenzen, die sich primär auf häufig neu zu erwerbende |
296 | sprachliche, interkulturelle und technische Fähigkeiten |
297 | beziehen. Es geht dabei aber auch im weiteren Sinne „um eine |
298 | echte strategische Neueinstellung: die Mitarbeiter sehr |
299 | grundlegend zu befähigen, sich auf die neue Phase der |
300 | Globalisierung einzulassen; sie in die Lage zu versetzen, |
301 | sich produktiv und ‚in erster Person‘ in die Umbruchprozesse |
302 | einzubringen“. [FN: Boes, Andreas/Baukrowitz, Andrea/Kämpf, |
303 | Tobias/Marrs, Kira: Eine global vernetzte Ökonomie braucht |
304 | die Menschen. Strategische Herausforderungen für Arbeit und |
305 | Qualifikation. 2011, S. 17. Abrufbar unter: |
306 | http://www.isf-muenchen.de/pdf/2011-boes-baukrowitz-kaempf-m |
307 | arrs-eine-global-vernetzte-oekonomie.pdf ] |
308 | |
309 | Arbeitszeiten: Häufig wird in internationalen |
310 | Arbeitszusammenhängen über Zeitzonen hinweg und nicht selten |
311 | sogar in rund um die Uhr laufenden |
312 | „Follow-the-sun-workflows“ kooperiert. Beschäftigte sehen |
313 | sich unter diesen Voraussetzungen häufig mit der |
314 | Notwendigkeit ungewöhnlicher Arbeits- und Präsenzzeiten – |
315 | spät in der Nacht, früh am Morgen – und mit zeitlich |
316 | zunehmend ausgedehnten Verfügbarkeitserwartungen |
317 | konfrontiert. Die daraus resultierenden Beanspruchungen |
318 | können auf längere Sicht zu einer Gefährdung der Gesundheit |
319 | und einer Beeinträchtigung der Work-Life-Balance der |
320 | Betroffenen führen. [FN: Vgl. hierzu ausführlich im |
321 | Abschnitt 3.3.4 Gesundes Arbeiten.] |
322 | |
323 | Arbeitsrechtliche Situation: Viele Gestaltungsvarianten |
324 | international vernetzter Wertschöpfung zeichnen sich auf der |
325 | rechtlichen Ebene dadurch aus, dass die in Deutschland |
326 | Beschäftigten sowie ihre Betriebsräte mit Arbeitssituationen |
327 | konfrontiert werden, die durch betriebswirtschaftlich |
328 | optimale Konzepte der Arbeitserbringung geprägt sind, nicht |
329 | jedoch durch das national geltende Arbeitsrecht. Dies führt |
330 | beispielsweise dazu, dass Beschäftigte ihre Arbeitsaufträge |
331 | von Personen oder Stellen erhalten, die organisatorisch |
332 | außerhalb ihres Betriebs oder Unternehmens angesiedelt sind |
333 | und geografisch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland |
334 | beziehungsweise der Europäischen Union. In einer steigenden |
335 | Zahl von Fällen lässt sich in solchen Strukturen keine klare |
336 | zivilrechtliche Beziehung zwischen Arbeitnehmern und ihren |
337 | funktionalen Vorgesetzten mehr erkennen. Dies verweist auf |
338 | das generelle Problem, dass das arbeitsrechtliche Modell |
339 | durch das Territorialitätsprinzip auf das Hoheitsgebiet der |
340 | Bundesrepublik Deutschland begrenzt ist. Grenzüberschreitend |
341 | kommen einzelne nationale Gesetzesvorschriften nur |
342 | ausnahmsweise zur Anwendung, beispielsweise dann, wenn auf |
343 | der Basis von Arbeitsverträgen nach deutschem Recht |
344 | beschäftigte Personen im Ausland tätig werden. Die begrenzte |
345 | Reichweite des deutschen Arbeitsrechts wird schon im |
346 | europäischen Rechtsraum nicht durch adäquate EU-Regelungen |
347 | substituiert. Im weltweiten Rahmen gibt es flächendeckend |
348 | keine arbeitsrechtlichen Vorgaben, die den deutschen |
349 | Rechtsstandard adäquat abbilden. |
350 | |
351 | Die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung, wie |
352 | sie auf der Basis globaler digitaler Vernetzung in neuer |
353 | Qualität möglich geworden ist, kann per Saldo zu bedeutsamen |
354 | Wohlfahrtsgewinnen – sowohl in den entwickelten |
355 | Industrieländern als auch in Schwellen- und |
356 | Entwicklungsländern – führen. Zugleich resultieren aus |
357 | dieser Entwicklung Herausforderungen auf Handlungsfeldern |
358 | wie dem Arbeitsrecht, den internationalen Arbeits- und |
359 | Sozialstandards, der Qualifizierung oder auch der |
360 | Arbeitsgestaltung, die es politisch anzugehen gilt, um |
361 | Ängste und Verunsicherungen von Beschäftigten glaubwürdig |
362 | eindämmen und die fortschreitende Globalisierung nachhaltig |
363 | auf einen möglichst breiten Konsens stützen zu können. |
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