1 | Die digitale Vernetzung hat – im Zusammenwirken mit |
2 | weiteren Faktoren wie der Liberalisierung des Welthandels |
3 | und der Herausbildung großer regionaler Wirtschaftsblöcke |
4 | –in den zurückliegenden Jahren eine enorme Schubkraft für |
5 | den weiteren Fortschritt der ökonomischen |
6 | Internationalisierung entfaltet, indem sie nicht nur die |
7 | zunehmend engere Verflechtung ehemals national |
8 | abgeschotteter Märkte forcierte, sondern insbesondere auch |
9 | die standortverteilte Organisation arbeitsteiliger |
10 | Wertschöpfung im globalen Maßstab ermöglichte. Aufgrund der |
11 | Verbesserung und Verbilligung netzbasierter Kommunikations- |
12 | und Kooperationstools wurde zum einen die Bedeutung |
13 | geografischer Entfernungen als traditionelle Hemmnisse für |
14 | großräumige wirtschaftliche Aktivitäten stark relativiert – |
15 | ein Trend, für den schlagwortartig die These vom „death of |
16 | distance“ [FN: Cairncross, Frances: The death of distance. |
17 | How the communication revolution is changing our lives. |
18 | 1997, Seite folgt] steht. Zum anderen lassen die neuen |
19 | digitalen Techniken eine zweite große „Entbündelung“ |
20 | ökonomischer Prozesse zu [FN: Vgl. Baldwin, Richard: |
21 | Globalisation: the great unbundling(s). 2006.]: Hatte |
22 | bereits die erste Entbündelung – die räumliche Trennung von |
23 | Produktion und Konsumtion, ermöglicht durch eine massive |
24 | Senkung der Transportkosten seit dem 19. Jahrhundert – den |
25 | weltweiten Handel beflügelt, weil so die Beförderung von |
26 | Gütern auch über weite Distanzen wirtschaftlich darstellbar |
27 | wurde, so erlaubt die digital gestützte zweite Entbündelung |
28 | nun eine Aufspaltung und räumliche Trennung einzelner |
29 | Wertschöpfungsstufen voneinander über die Grenzen von |
30 | Staaten, Zeitzonen und Kontinenten hinweg. |
31 | |
32 | In den entgrenzten Raum-Zeit-Konstellationen digital |
33 | vernetzter Produktion erweitern sich auf diese Weise die |
34 | organisatorischen Gestaltungsoptionen von Unternehmen nicht |
35 | nur im betrieblichen, regionalen und nationalen Kontext, |
36 | sondern im globalen Maßstab: Vor allem dann, „wenn der |
37 | Arbeitsgegenstand digitalisierbar ist, werden die |
38 | weltweiten Informationsnetze zur Infrastruktur eines neuen, |
39 | eigenständigen ‚Raums der Produktion‘“, der „eine |
40 | Kooperation in bestimmten Arbeitsprozessen über räumliche |
41 | Distanzen und ohne zeitliche Verzögerungen ermöglicht.“ |
42 | [FN: Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: Global verteilte |
43 | Kopfarbeit. Offshoring und der Wandel der |
44 | Arbeitsbeziehungen. 2011, S. 62.] Die digitale Vernetzung |
45 | bildet damit die „Basis einer Globalisierung 2.0“ [FN: |
46 | Boes, Andreas/Kämpf, Tobias: Global verteilte Kopfarbeit. |
47 | Offshoring und der Wandel der Arbeitsbeziehungen. 2011, S. |
48 | 59.] und bahnt einer neuen Geografie der Arbeit den Weg, |
49 | die vorrangig durch drei Entwicklungen charakterisiert ist: |
50 | |
51 | eine zunehmende internationale Beweglichkeit digital |
52 | vernetzter Arbeit, |
53 | |
54 | eine Herausbildung tendenziell globaler |
55 | Wettbewerbsverhältnisse auf (Teil-) Arbeitsmärkten und |
56 | |
57 | eine Einbindung von Erwerbstätigen in transnationale |
58 | Organisations- und Arbeitszusammenhänge. |
59 | |
60 | |
61 | |
62 | Internationale Beweglichkeit digital vernetzter Arbeit |
63 | |
64 | Zum ersten wird digitale Arbeit zunehmend weltweit |
65 | beweglich und mit vergleichsweise geringem Aufwand |
66 | verlagerbar – das gängige Stichwort lautet hier |
67 | „Offshoring“. [FN: Vgl. ausführlich zur Definition des |
68 | Begriffs „Offshoring“ u. a. Boes, Andreas/Schwemmle, |
69 | Michael: Was ist Offshoring?. 2005, S. 9-12 und OECD: |
70 | Offshoring and Employment: Trends and Impacts.2007, S. 15 |
71 | ff.] Stand dabei zunächst vor allem die Software-Produktion |
72 | oder die Wartung von IT-Systemen im Zentrum, so hat sich |
73 | die Bandbreite global dislozierter Tätigkeiten mittlerweile |
74 | über den IT-Sektor hinaus deutlich vergrößert und umfasst |
75 | heute insbesondere eine Vielzahl von „Business Process |
76 | Services“ aus Bereichen wie Buchhaltung, Kundenbetreuung, |
77 | Reisekostenabrechnung oder Finanzdienstleistungen, aber |
78 | auch Arbeiten in Forschung und Entwicklung. Obwohl die |
79 | Motive entsprechender Aktivitäten vielfältiger Art sind und |
80 | sich etwa auch auf den erleichterten Zugang zu |
81 | Auslandsmärkten oder knappen Humanressourcen erstrecken, so |
82 | dominiert doch nach wie vor das Ziel, auf diesem Weg |
83 | Kostensenkungen zu erreichen. [FN: „In the case of |
84 | production of goods and services, the primary motivation |
85 | emerging from opinion surveys is to cut costs, but not |
86 | labour costs alone.“ OECD: Offshoring and Employment: |
87 | Trends and Impacts. 2007, S. 7. Auch eine 2010 |
88 | durchgeführte Unternehmensbefragung von Steria Mummert und |
89 | Consulting in Deutschland kommt zu dem Schluss, dass „nach |
90 | wie vor das Ziel, Kosten zu senken, ganz oben (steht)“ |
91 | (Pütter, Christiane: Offshoring ja, aber bitte auf Deutsch. |
92 | 2010. Abrufbar unter: |
93 | http://www.cio.de/knowledgecenter/outsourcing/2254078 ] |
94 | Offshoring wird deshalb vor allem dann zur erwägenswerten |
95 | Option für Unternehmen, „wenn ein etablierter |
96 | Produktionsstandort in einem westlichen Industrieland |
97 | ungünstigere Kostenstrukturen aufweist als etwa ein |
98 | alternativer Standort in einem weit entfernten |
99 | Schwellenland“. [FN: Schrader, Klaus/Laaser, |
100 | Claus-Friedrich: Globalisierung in der Wirtschaftskrise: |
101 | Wie sicher sind die Jobs in Deutschland?. 2009, S. 3.] |
102 | |
103 | Die quantitative Dimension der internationalen |
104 | „Delokalisierung“ von Arbeit ist – nicht zuletzt aufgrund |
105 | von Messproblemen und einer unzulänglichen Datenlage [FN: |
106 | Vgl. zu den Problemen der Messung OECD: Offshoring and |
107 | Employment: Trends and Impacts. 2007, S. 41ff. Die |
108 | unbefriedigende Datenlage dürfte nicht zuletzt auch auf |
109 | eine mangelnde Auskunftsbereitschaft der Beteiligten |
110 | zurückzuführen sein: So führt „die Suche nach deutschen |
111 | Offshoring-Kunden [...] bei den großen indischen |
112 | Dienstleistern und bei vielen deutschen Anbietern meist ins |
113 | Leere: Die Scheu, offen über Offshoring zu kommunizieren, |
114 | ist nach wie vor groß.“ Hoffmann, Daniela: Heimlicher Run |
115 | aufs Offshoring. 2011. Abrufbar unter: |
116 | http://www.computerwoche.de/management/it-services/2351512 |
117 | ] – bislang schwer zu taxieren. Marktforschungen von |
118 | Technology Business Research (TBR) zufolge weisen etwa in |
119 | Deutschland tätige IT-Dienstleister eine durchaus relevante |
120 | Offshoring-Quote aus – definiert als „Anteil der Prozesse, |
121 | die in Ländern erledigt werden, in denen billigere Löhne |
122 | gezahlt werden als auf dem Heimatmarkt“. Sie soll für IBM |
123 | bei 51 Prozent, für Accenture bei 44 Prozent, bei Cap |
124 | Gemini bei 36 Prozent und bei T-Systems, einer Sparte der |
125 | Deutschen Telekom, bei 21 Prozent liegen. [FN: Vgl. |
126 | Handelsblatt vom 12. Januar 2012: T-Systems verlagert |
127 | Arbeit ins Ausland. |
128 | Unter Verweis auf diese im Vergleich niedrige |
129 | Offshoring-Quote kündigte T-Systems im Januar 2012 an, „im |
130 | Rahmen eines Kostensenkungsplans mehr Arbeit ins Ausland |
131 | verlagern“ zu wollen. Handelsblatt, ebd.] |
132 | |
133 | Auf Datennetzen prinzipiell verlagerbar dürften |
134 | insbesondere solche Tätigkeiten sein, die einer |
135 | OECD-Analyse zufolge [FN: Vgl. OECD: Potential Offshoring |
136 | of ICT-intensive using Occupations. 2005, S. 12.] |
137 | nachfolgende Kriterien aufweisen: |
138 | intensive IT-Nutzung, |
139 | telekommunikative Übermittelbarkeit der Arbeitsergebnisse, |
140 | hohe Anteile an kodifiziertem Wissen bei niedrigen |
141 | Anteilen an implizitem oder Erfahrungswissen, |
142 | fehlende beziehungsweise geringe Erfordernis von |
143 | Face-to-Face-Kontakten. |
144 | |
145 | Darauf basierend schätzten OECD-Experten den Anteil |
146 | potenziell dislozierbarer Jobs in den EU15-Ländern, den |
147 | USA, Kanada und Australien für das Jahr 2003 auf annähernd |
148 | 20 Prozent aller Beschäftigten. [FN: Vgl. OECD: Potential |
149 | Offshoring of ICT-intensive using Occupations. 2005, S. |
150 | 22.] Für Deutschland machen die Ergebnisse einer zu einem |
151 | späteren Zeitpunkt durchgeführten Studie des Kieler |
152 | Instituts für Weltwirtschaft über die „Offshorability“ |
153 | hiesiger Arbeitsplätze ein noch größeres Potenzial |
154 | deutlich: Nach Maßgabe der Kriterien der |
155 | (Nicht-)Ortsgebundenheit und der (Nicht-)Notwendigkeit |
156 | eines persönlichen Kundenkontakts bei der jeweils |
157 | erforderlichen Leistungserstellung kommt diese zu dem |
158 | Schluss, dass insgesamt rund 42 Prozent der Jobs von |
159 | sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ins Ausland |
160 | verlagerbar seien, darin eingeschlossen sind 11 Prozent, |
161 | die sogar als „leicht verlagerbar“ zu gelten hätten. [FN: |
162 | Vgl. Schrader, Klaus/Laaser, Claus-Friedrich: |
163 | Globalisierung in der Wirtschaftskrise: Wie sicher sind die |
164 | Jobs in Deutschland?. 2009, S. 8.] Auch wenn diese Daten |
165 | nur eine theoretische Größenordnung beschreiben mögen, so |
166 | lassen sie doch den erheblichen Spielraum erkennen, über |
167 | den Unternehmen hier prinzipiell verfügen könnten. |
168 | |
169 | Einer neueren Prognose der Hackett Group [FN: Vgl. Hackett |
170 | Group: New Hackett Research Forecasts Offshoring of 750.000 |
171 | more Jobs in Finance, IT, other Key Business Services Areas |
172 | by 2016. 2012. Abrufbar unter: |
173 | http://www.thehackettgroup.com/about/research-alerts-press-r |
174 | eleases/2012/03272012-hackett-research-forecasts-offshoring. |
175 | jsp] zufolge, die auf der Befragung von 4.700 europäischen |
176 | und US-amerikanischen Unternehmen mit einem Jahresumsatz |
177 | von über einer Milliarde US-Dollar basierte, werden bis zum |
178 | Jahr 2016 – ausgehend von 2001 – insgesamt rund 2,3 |
179 | Millionen Jobs aus den Bereichen IT, |
180 | Finanzdienstleistungen, Beschaffungs- und Personalwesen in |
181 | Niedriglohnländer verlagert worden sein. Dies entspreche |
182 | einem Anteil von rund einem Drittel der Gesamtbeschäftigung |
183 | in diesen Tätigkeitsfeldern. Ab 2014 könne sich der |
184 | Offshoring-Trend jedoch verlangsamen und innerhalb von acht |
185 | bis zehn Jahren seinen Einfluss als Hauptursache für den |
186 | Abbau von Dienstleistungsarbeitsplätzen in den |
187 | Industrieländern einbüßen – vor allem deshalb, weil dann |
188 | keine verlagerungsgeeigneten Jobs mehr übrig seien. |
189 | |
190 | |
191 | |
192 | |
193 | Globale Wettbewerbsverhältnisse auf (Teil-)Arbeitsmärkten |
194 | |
195 | Zum zweiten entstehen im Zuge der digitalen Transformation |
196 | tendenziell globale Wettbewerbsverhältnisse auf |
197 | (Teil-)Arbeitsmärkten – und dies sowohl nachfrage- wie |
198 | angebotsseitig: Ist die Option der Verlagerbarkeit von |
199 | Tätigkeiten real gegeben, so wird das hierfür jeweils |
200 | verfügbare Arbeitskräftepotenzial größer und „im |
201 | ‚entfernungslosen’ Raum informationstechnologisch |
202 | herstellbarer Nähe konkurrieren von nun an potenziell alle |
203 | mit allen Orten der Welt um [...] entsprechende |
204 | Arbeitsplätze“ [FN: Beck, Ulrich: Wie wird Demokratie im |
205 | Zeitalter der Globalisierung möglich? Eine Einleitung. |
206 | 1998, S. 21. |
207 | ]. Da dieser Wettbewerb im weltweiten Maßstab noch immer |
208 | von zum Teil ausgeprägten Asymmetrien geprägt ist – etwa |
209 | was Lohnniveau, arbeitsrechtliche Normen oder |
210 | gewerkschaftliche Organisationsmacht anbetrifft –, können |
211 | die in den westlichen Industrieländern erreichten Standards |
212 | auf diesem Weg unter erheblichen Druck geraten. Die |
213 | Erweiterung des Standortrepertoires der |
214 | Unternehmensleitungen verschafft diesen zusätzliche |
215 | „Exit-Optionen“ und verbessert damit deren |
216 | Verhandlungsposition, da ihre „transnationale Entzugsmacht |
217 | [...] der Organisationsmacht von Staaten und Gewerkschaften |
218 | überlegen (ist), weil sie nicht mehr, wie diese, |
219 | territorial gebunden ist“ [FN: Beck, Ulrich: Wie wird |
220 | Demokratie im Zeitalter der Globalisierung möglich? Eine |
221 | Einleitung. 1998, S. 18. |
222 | ]. Auch im relativ hoch entwickelten deutschen |
223 | Mitbestimmungssystem verfügen betriebliche |
224 | Interessenvertretungen bei Konflikten um die Verlagerung |
225 | von Arbeitsplätzen gegenwärtig nur über sehr begrenzte |
226 | Einflussmöglichkeiten, mit denen sie letztlich „weder den |
227 | Übergang des Betriebes noch den Verlust des Arbeitsplatzes |
228 | verhindern, sondern allenfalls nachteilige Folgen für den |
229 | Arbeitnehmer abschwächen“ können [FN: Pesch, Benjamin: |
230 | Offshoring – Welche arbeitsrechtlichen Rechtsfolgen hat ein |
231 | grenzüberschreitender Betriebsübergang?. 2012, S. 121.]. |
232 | |
233 | Arbeitgeber wissen weltweit von diesem strategischen |
234 | Vorteil Gebrauch zu machen: Einer Einschätzung des bei der |
235 | OECD angesiedelten Trade Union Advisory Committee zufolge |
236 | ist der Rückgriff auf die Exit-Drohung in Verhandlungen und |
237 | Konfliktsituationen international längst zum gängigen |
238 | unternehmerischen Druckmittel geworden. [FN: „The threat of |
239 | relocation to an offshore site is now the standard ploy in |
240 | negotiations or in anti-union campaigns [...]” TUAC: Trade, |
241 | Offshoring of Jobs and Structural Adjustment – The Need for |
242 | a Policy Response. 2004, S. 3.] Ob diese Karte letztlich |
243 | real ausgespielt wird, ist dabei oft noch nicht einmal von |
244 | ausschlaggebender Bedeutung. Häufig zeitigt allein schon |
245 | die bloße „Wirklichkeit der Möglichkeit“ [FN: Beck, Ulrich: |
246 | Wie wird Demokratie im Zeitalter der Globalisierung |
247 | möglich? Eine Einleitung. 1998, S. 23.] von |
248 | Jobverlagerungen reale Effekte, indem sie „mäßigend“ auf |
249 | Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaften wirkt. Auf |
250 | diesen Tatbestand und seine Konsequenzen hat u. a. eine von |
251 | der Deutschen Bischofskonferenz beauftragte |
252 | Wissenschaftlergruppe nachdrücklich aufmerksam gemacht: |
253 | „Neben den positiven und negativen Effekten auf die Zahl |
254 | der Arbeitsplätze ist davon auszugehen, dass sich das |
255 | Offshoring – insbesondere die Drohung mit ihm – auch auf |
256 | die Arbeitsbedingungen in den Industrieländern auswirkt. |
257 | Die Option, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, stärkt |
258 | offensichtlich die Position der Unternehmensführungen in |
259 | ihren Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern der |
260 | bereits bestehenden Büros und Betriebsstätten ganz |
261 | erheblich. Letztere sehen sich durch die Offshoring-Pläne |
262 | der Vorstände immer wieder vor die Wahl zwischen zwei Übeln |
263 | gestellt: zwischen dem Übel des Verlustes vieler |
264 | Arbeitsplätze und dem Übel, Verschlechterungen bei den |
265 | Arbeitsbedingungen, insbesondere Lohnkürzungen und |
266 | Arbeitszeitverlängerungen hinzunehmen. Selbst dann, wenn |
267 | ein Industrieland vermutlich bisher kaum Arbeitsplätze |
268 | durch Verlagerungen in Entwicklungs- oder |
269 | Transformationsländern verloren hat, bedeutet dies also |
270 | nicht, dass das Offshoring-Phänomen die wirtschaftliche und |
271 | soziale Entwicklung dieses Industrielandes nicht stark |
272 | beeinflusst hätte.“ [FN: Wissenschaftliche Arbeitsgruppe |
273 | für weltkirchliche Aufgaben der Deutschen Bischofskonferenz |
274 | (Hrsg.): Verlagerung von Arbeitsplätzen – |
275 | Entwicklungschancen und Menschenwürde. Sozialethische |
276 | Überlegungen. 2008, S. 40.] |
277 | |
278 | |
279 | |
280 | |
281 | Transnationale Organisations- und Arbeitszusammenhänge |
282 | |
283 | Ein dritter, sich auf der Basis digitaler Vernetzung |
284 | herausbildender Veränderungstrend ist die verstärkte |
285 | Einbindung von Erwerbstätigen in grenzüberschreitende |
286 | Wertschöpfungsverbünde und transnationale Organisations- |
287 | und Arbeitszusammenhänge. Als besonders avanciert und |
288 | prominent kann hier vor allem die globale |
289 | Softwareentwicklung durch weltweit verteilte Teams gelten. |
290 | Weitere Erscheinungsformen sind Kooperationen zwischen |
291 | standortverteilten Funktionseinheiten von Konzernen, die |
292 | etwa ihre Buchhaltung oder andere „shared services“ im |
293 | Ausland angesiedelt haben. Solche Konstellationen verbinden |
294 | sich nicht nur mit koordinativen Herausforderungen für das |
295 | jeweilige Management, sondern auch mit neuen |
296 | Problemstellungen für die betroffenen Beschäftigten, die |
297 | vor allem deren Qualifikation, Arbeitszeiten und |
298 | arbeitsrechtliche Situation berühren: |
299 | |
300 | Qualifikation: Mit der Arbeit in globalen Bezügen |
301 | verändern sich grundlegende Anforderungen an die |
302 | beruflichen Kompetenzen, die sich primär auf häufig neu zu |
303 | erwerbende sprachliche, interkulturelle und technische |
304 | Fähigkeiten beziehen. Es geht dabei aber auch im weiteren |
305 | Sinne „um eine echte strategische Neueinstellung: die |
306 | Mitarbeiter sehr grundlegend zu befähigen, sich auf die |
307 | neue Phase der Globalisierung einzulassen; sie in die Lage |
308 | zu versetzen, sich produktiv und ‚in erster Person‘ in die |
309 | Umbruchprozesse einzubringen“. [FN: Boes, |
310 | Andreas/Baukrowitz, Andrea/Kämpf, Tobias/Marrs, Kira: Eine |
311 | global vernetzte Ökonomie braucht die Menschen. |
312 | Strategische Herausforderungen für Arbeit und |
313 | Qualifikation. 2011, S. 17. Abrufbar unter: |
314 | http://www.isf-muenchen.de/pdf/2011-boes-baukrowitz-kaempf-m |
315 | arrs-eine-global-vernetzte-oekonomie.pdf ] |
316 | |
317 | Arbeitszeiten: Häufig wird in internationalen |
318 | Arbeitszusammenhängen über Zeitzonen hinweg und nicht |
319 | selten sogar in rund um die Uhr laufenden |
320 | „Follow-the-sun-workflows“ kooperiert. Beschäftigte sehen |
321 | sich unter diesen Voraussetzungen häufig mit der |
322 | Notwendigkeit ungewöhnlicher Arbeits- und Präsenzzeiten – |
323 | spät in der Nacht, früh am Morgen – und mit zeitlich |
324 | zunehmend ausgedehnten Verfügbarkeitserwartungen |
325 | konfrontiert. Die daraus resultierenden Beanspruchungen |
326 | können auf längere Sicht zu einer Gefährdung der Gesundheit |
327 | und einer Beeinträchtigung der Work-Life-Balance der |
328 | Betroffenen führen. [FN: Vgl. hierzu ausführlich im |
329 | Abschnitt 3.3.4 Gesundes Arbeiten.] |
330 | |
331 | Arbeitsrechtliche Situation: Viele Gestaltungsvarianten |
332 | international vernetzter Wertschöpfung zeichnen sich auf |
333 | der rechtlichen Ebene dadurch aus, dass die in Deutschland |
334 | Beschäftigten sowie ihre Betriebsräte mit |
335 | Arbeitssituationen konfrontiert werden, die durch |
336 | betriebswirtschaftlich optimale Konzepte der |
337 | Arbeitserbringung geprägt sind, nicht jedoch durch das |
338 | national geltende Arbeitsrecht. Dies führt beispielsweise |
339 | dazu, dass Beschäftigte ihre Arbeitsaufträge von Personen |
340 | oder Stellen erhalten, die organisatorisch außerhalb ihres |
341 | Betriebs oder Unternehmens angesiedelt sind und geografisch |
342 | außerhalb der Bundesrepublik Deutschland beziehungsweise |
343 | der Europäischen Union. In einer steigenden Zahl von Fällen |
344 | lässt sich in solchen Strukturen keine klare |
345 | zivilrechtliche Beziehung zwischen Arbeitnehmern und ihren |
346 | funktionalen Vorgesetzten mehr erkennen. Dies verweist auf |
347 | das generelle Problem, dass das arbeitsrechtliche Modell |
348 | durch das Territorialitätsprinzip auf das Hoheitsgebiet der |
349 | Bundesrepublik Deutschland begrenzt ist. |
350 | Grenzüberschreitend kommen einzelne nationale |
351 | Gesetzesvorschriften nur ausnahmsweise zur Anwendung, |
352 | beispielsweise dann, wenn auf der Basis von |
353 | Arbeitsverträgen nach deutschem Recht beschäftigte Personen |
354 | im Ausland tätig werden. Die begrenzte Reichweite des |
355 | deutschen Arbeitsrechts wird schon im europäischen |
356 | Rechtsraum nicht durch adäquate EU-Regelungen substituiert. |
357 | Im weltweiten Rahmen gibt es flächendeckend keine |
358 | arbeitsrechtlichen Vorgaben, die den deutschen |
359 | Rechtsstandard adäquat abbilden. |
360 | |
361 | Die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung, wie |
362 | sie auf der Basis globaler digitaler Vernetzung in neuer |
363 | Qualität möglich geworden ist, kann per Saldo zu |
364 | bedeutsamen Wohlfahrtsgewinnen – sowohl in den entwickelten |
365 | Industrieländern als auch in Schwellen- und |
366 | Entwicklungsländern – führen. Zugleich resultieren aus |
367 | dieser Entwicklung Herausforderungen auf Handlungsfeldern |
368 | wie dem Arbeitsrecht, den internationalen Arbeits- und |
369 | Sozialstandards, der Qualifizierung oder auch der |
370 | Arbeitsgestaltung, die es politisch anzugehen gilt, um |
371 | Ängste und Verunsicherungen von Beschäftigten glaubwürdig |
372 | eindämmen und die fortschreitende Globalisierung nachhaltig |
373 | auf einen möglichst breiten Konsens stützen zu können. |
374 | |
375 |
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3.3.2 Internationalisierung (Originalversion)
von EnqueteBuero, angelegtDiese Version hat keinen Text. -
3.3.2 Internationalisierung (Originalversion)
von EnqueteSekretariat, angelegt