Papier: 3.3.1 Veränderung von Arbeitsprozessen und –bedingungen

Originalversion

1 Industriell geprägte Erwerbstätigkeit basierte
2 klassischerweise „vor allem auf drei Faktoren: 1. Arbeit
3 hatte ihren Ort. 2. Arbeit hatte ihre Zeit. 3. Arbeit hatte
4 normativ die Standardform des Normalarbeitsverhältnisses“
5 (Schröter / Scherer 2010, S. 89). Diese Grundpfeiler der
6 Arbeitswelt sind im Zuge der digitalen Vernetzung unter
7 erheblichen Veränderungsdruck geraten. [FN: Vgl. zum
8 folgenden Abschnitt ausführlich Schwemmle / Wedde 2012 mit
9 weiteren Nachweisen.] Das herausragende, die neue Qualität
10 digitaler Vernetzung seit den 1990er Jahren bestimmende
11 Charakteristikum ist der mit dem Internet entstandene
12 globale Informationsraum, welcher sich über traditionelle
13 Trennungslinien zwischen Betrieben, Unternehmen, Branchen
14 und Volkswirtschaften hinweg erstreckt, aber auch die
15 überkommenen Schranken zwischen Arbeits- und Lebenswelt und
16 zwischen Produktions- und Konsumtionssphäre überschreitet.
17 In diesem zunehmend entgrenzten Handlungsfeld sind nicht nur
18 Kommunikationsvorgänge mit hoher Geschwindigkeit, großer
19 Reichweite und multimedialer Qualität möglich, sondern auch
20 komplexe Kooperationsprozesse, der Vertrieb digitaler Güter
21 und weitere ökonomisch bedeutsame Operationen. „Als
22 ‚sozialer Handlungsraum‘ bildet der Informationsraum […]
23 einen neuartigen Möglichkeitsraum, um sämtliche Tätigkeiten,
24 deren Arbeitsgegenstand und -mittel digitalisierbare
25 Informationen und Informationssysteme sind, in einem ‚neuen
26 Raum der Produktion‘ zu integrieren. […] Unabhängig von
27 ihrem konkreten Arbeitsort können Menschen in Echtzeit im
28 Arbeitsprozess kooperieren, da ihr Arbeitsgegenstand (z.B.
29 eine Software-Applikation) im Informationsraum selbst zur
30 Verfügung steht und auch die arbeitsbegleitende
31 Kommunikation über netzbasierte IT-Systeme erfolgen kann.“
32 (Boes / Kämpf 2011, S. 62)
33
34 Digital vernetzte Arbeit verliert in dieser neu
35 erschlossenen Sphäre ihre traditionelle Fixierung an einen
36 festen Ort („Arbeitsplatz“) und ist im Grundsatz überall
37 dort möglich, wo ein Rechner bedient werden kann und ein
38 Netzanschluss mit ausreichender Bandbreite zur Verfügung
39 steht. Entscheidend für diese neue Beweglichkeit von Arbeit
40 ist in erster Linie die Mobilität und ubiquitäre
41 Zugänglichkeit der Arbeitsinhalte und -gegenstände. Diese
42 sind nicht mehr allein im Büro und nur dort „greifbar“,
43 sondern können „in der Cloud“ bzw. im Firmennetzwerk
44 abgerufen, wo auch immer genutzt und bearbeitet und dann an
45 Kooperationspartner oder Kunden weitergeleitet werden. Ein
46 zweiter, die Ortsunabhängigkeit digitaler Arbeit
47 ermöglichender Faktor ist die erleichterte Portabilität und
48 höhere Leistungsfähigkeit digitaler Arbeitsmittel –
49 letzteres sowohl hardwareseitig (Notebooks, Tablets,
50 Smartphones) wie auch in puncto mobiler Betriebssysteme und
51 Anwendungen, drahtloser Netzzugänge und breitbandiger
52 Übertragungswege. Dies ermöglicht die persönliche Mobilität
53 der Arbeitenden selbst, die nicht mehr an ihre Schreibtische
54 in der Firma gebunden sind, sondern ihr „Überall-Büro“ stets
55 mit sich führen können. Neue digitale Beweglichkeit von
56 Arbeit umfasst somit die Mobilität der Arbeitsgegenstände,
57 der Arbeitsmittel und der arbeitenden Personen.
58
59 Digital vernetzte Arbeit ist auch insofern örtlich
60 ungebunden, als sie im Falle kooperativer Prozesse nicht
61 mehr die gemeinsame physische Anwesenheit der Akteure
62 („Kopräsenz“) erfordert, sondern eine – auch asynchrone –
63 Zusammenarbeit standortverteilter Personen und Teams
64 zulässt. Diese ist nicht mehr zwingend zu fixen Zeiten zu
65 leisten, sondern wird auch außerhalb des traditionellen
66 „Nine-to-Five“-Schemas und über Zeitzonen hinweg
67 organisierbar: „Immer leistungsfähigere informations- und
68 kommunikationstechnische Infrastrukturen erlauben es,
69 weltweit fast ohne Zeitverzögerung, zu geringen Kosten und
70 in stetig verbesserter Qualität zu kommunizieren und
71 arbeitsteilige Leistungsprozesse zu koordinieren. Wenn
72 Koordination […] zu beliebigen Zeiten von beliebigen
73 Standorten aus erfolgen kann, dann verlieren Arbeitsplätze
74 zunehmend ihre räumliche Bindung. Das schafft neue
75 Gestaltungsfreiräume für Konzepte verteilter Arbeit und
76 erlaubt eine Verlagerung von Arbeitsplätzen bis in den
77 häuslichen Bereich.“ (Reichwald et al. 1998, S. 1)
78
79 Qua Digitalisierung beweglich gewordenes Arbeiten eröffnet
80 so für viele Erwerbstätige unter bestimmten Bedingungen neue
81 Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie in der industriell
82 geprägten Arbeitswelt faktisch nicht vorhanden waren. Diese
83 beziehen sich auf den Ort, an dem gearbeitet wird, ebenso
84 wie auf die entsprechenden Zeiten. „Die wuchtige Wirkung der
85 digitalen Technologie auf die Handlungsspielräume des
86 Einzelnen“ (Friebe / Lobo 2008, S. 13) lässt für einen Teil
87 der Beschäftigten eine erweiterte Autonomie bei der
88 Gestaltung wichtiger Arbeitsbedingungen denkbar werden,
89 insbesondere die Chance, ihre beruflichen Aufgaben zumindest
90 partiell dort zu erledigen, wo sie wollen, dann, wann sie
91 wollen – und dies unter Rahmenbedingungen, die sie als
92 angemessen empfinden. Der Wunsch nach solchen
93 raum-zeitlichen Gestaltungsoptionen, mit denen sich
94 Potenziale für flexible Arbeitszeitmodelle und eine
95 Verbesserung der Work-Life-Balance verbinden, ist weit
96 verbreitet. So wollten etwa einer vom BITKOM in Auftrag
97 gegebenen Repräsentativerhebung zufolge im Jahr 2010 20 %
98 der befragten Erwerbstätigen in Deutschland gerne täglich
99 von zu Hause aus arbeiten, weitere 37 % würden es zumindest
100 an einigen Tagen der Woche bevorzugen, zur Arbeit nicht ins
101 Büro gehen zu müssen, und zusätzliche 10 % gaben an, bereits
102 jetzt gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten (BITKOM
103 2010a). In eine ähnliche Richtung deuten Ergebnisse des
104 Cisco Connected World Report, einer weltweiten Befragung bei
105 mehr als 2.600 Beschäftigten und Entscheidern: Diesen
106 zufolge würden 72 Prozent der deutschen Teilnehmer die
107 Möglichkeit zu selbstbestimmter Telearbeit als ein wichtiges
108 Privileg empfinden (Cisco 2010).
109
110 Allerdings verwirklichen sich die durch das technische
111 Potenzial erschließbaren höheren Freiheitsgrade bei orts-
112 und zeitflexibler digitaler Arbeit offensichtlich nicht im
113 Selbstlauf: Weder kommen alle Beschäftigten, für die eine
114 größere Beweglichkeit ihrer Arbeit im Raum möglich wäre,
115 auch tatsächlich in den Genuss, diese Option für sich nutzen
116 zu können, noch ist mobile Arbeit, so sie denn praktiziert
117 wird, stets mit real erweiterten
118 Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Betroffenen verbunden –
119 und selbst wenn solche vorhanden sein sollten, so werden
120 diese nicht immer und ausschließlich als befreiend
121 empfunden. Mobile Arbeit etwa, deren Orte und Zeiten
122 ausschließlich von den Dispositionen des Arbeit- oder
123 Auftraggebers diktiert sind, dürfte mit Vorstellungen von
124 mehr Freiheit ebenso schwerlich in Einklang zu bringen sein
125 wie die Erledigung der elektronischen Post, die nach einem
126 langen Bürotag aufgrund eines anderweitig nicht zu
127 bewältigenden Arbeitsquantums am Abend per Notebook zuhause
128 stattfindet. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem
129 Zusammenhang, „dass die Vorteile flexibler bzw. mobiler
130 Arbeitsmöglichkeiten sich nur dann realisieren lassen, wenn
131 sie zwecks Verlagerung von Arbeitszeit und -ort herangezogen
132 werden. Werden diese Maßnahmen allerdings eingeführt, um –
133 mehr oder weniger explizit – die Arbeitszeiten der
134 Beschäftigten zu verlängern, sind diese als negativ oder als
135 problematisch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Arbeit
136 und Privatleben einzuordnen.“ (Stock-Homburg 2011, S. 3f.;
137 Hervorhebung im Original)
138
139 Generell gilt damit auch im Blick auf die bei digitaler
140 Arbeit prinzipiell ermöglichten raum-zeitlichen
141 Gestaltungschancen, dass Autonomie „niemals für sich,
142 sondern immer nur zusammen mit den Bedingungen zu denken
143 (ist), unter denen sie existiert und praktiziert wird. Stets
144 reicht ein Handlungsspielraum in der Arbeit nur so weit wie
145 der Verhandlungsspielraum, den die Arbeitspersonen
146 individuell oder kollektiv über die Kontextbedingungen der
147 Arbeit tatsächlich besitzen ...“ (Brödner 2002, S. 524). Ob
148 Beschäftigte die mit der digitalen Technik verbundenen
149 höheren Freiheitsgrade auch tatsächlich zu ihrem eigenen
150 Nutzen realisieren können, hängt insoweit stark davon ab,
151 über welche Rechte und Ressourcen sie verfügen und in
152 welchem Ausmaß sie eigenständige Entscheidungen gegen
153 Zielvorgaben und Leistungs- und Präsenzforderungen von
154 Vorgesetzten oder Auftraggebern durchzusetzen vermögen. Sind
155 diese Voraussetzungen hingegen gegeben, so könnten aus der
156 Digitalisierung der Arbeit wichtige Impulse zu ihrer
157 Humanisierung entstehen. Derzeit überwiegt jedoch noch der
158 Eindruck, dass die vorhandenen Spielräume für besseres und
159 selbstbestimmteres Arbeiten im Netz bislang nur für einen
160 relativ kleinen Teil der Erwerbstätigen Realität geworden
161 ist.
162
163 Die entgrenzenden Effekte digitaler Vernetzung lassen die im
164 industriegesellschaftlichen Alltag selbstverständlich
165 gewordene Separierung von beruflicher und privater Sphäre
166 zunehmend brüchig werden. Auch diese Entwicklung ist
167 zwischenzeitlich zum Massenphänomen geworden: „Durch
168 Internet und Handy sind für viele Menschen die Grenzen
169 zwischen ihrer Arbeit und ihrem Privatleben gefallen. Das
170 bestätigt fast jeder zweite Berufstätige in Deutschland (43
171 Prozent), wie aus einer Studie des BITKOM hervorgeht. Für
172 31 Prozent von ihnen überwiegen dabei die positiven Seiten,
173 16 Prozent bewerten die Entwicklung eher negativ. Der Rest,
174 also 53 Prozent, betont gleichermaßen gute wie schlechte
175 Seiten.“ (BITKOM 2010b) Da Grenzen einerseits einengen,
176 andererseits aber auch Schutz geben und Stabilität
177 garantieren, wirkt Entgrenzung in ambivalenter Weise sowohl
178 befreiend als auch herausfordernd. Sollen die neuen
179 Freiheiten orts- und zeitflexibler Erwerbstätigkeit nicht zu
180 neuen Belastungen führen, weil die Arbeit zunehmend das
181 Privatleben überschattet und ein „Abschalten“ schwer fällt,
182 so müssen die Beschäftigten über Kompetenzen und
183 Möglichkeiten verfügen, neue Grenzen zu ziehen. Gefragt ist
184 hier insbesondere „die Fähigkeit zur Selbstorganisation […],
185 um den Arbeitsalltag in räumlicher und zeitlicher Hinsicht
186 zu strukturieren und um die eigene Erwerbstätigkeit in ein
187 individuell passendes Verhältnis zur häuslichen Privatsphäre
188 zu setzen. Ist diese Fähigkeit nicht vorhanden, wird die
189 freie Zeiteinteilung nicht als Handlungsspielraum, sondern
190 als anstrengend und die Arbeitssituation als unbefriedigend
191 empfunden.“ (von Streit 2011, S. 239) Die Bewältigung dieser
192 Herausforderung wird den Betroffenen nicht abgenommen werden
193 können – wohl aber ist es eine arbeitspolitische Aufgabe,
194 sie durch adäquate Qualifikationsangebote beim Aufbau
195 entsprechender Ressourcen zu unterstützen und nötigenfalls
196 auch regulatorische sowie technische Flankierungen für
197 belastungsreduzierende Grenzziehungen bereitzustellen.
198
199
200
201
202 Veränderung von Arbeitsprozessen und –bedingungen:
203 Gruppenarbeit auf Online-Plattformen von Drittanbietern, wem
204 gehört das dort erarbeitete Wissen?
205
206 Das Internet hat Formen kollaborativen Arbeitens ermöglicht,
207 die es in der analogen Welt so noch nicht gab. So ist es
208 beispielsweise möglich geworden, dass mehrere Personen
209 zusammen online an ein und demselben Text arbeiten, indem
210 sie Wikis, Etherpads oder ähnliche Dienste nutzen. Während
211 Wikis asynchron editiert werden, erlauben Etherpads sogar
212 ein synchrones Arbeiten am Text. So wird ein raum- und
213 zeitübergreifendes Arbeiten möglich, aber beispielsweise
214 auch die gezielte Einbindung von externem Fachwissen.
215
216 Sofern Unternehmen und Organisationen bei der Nutzung
217 solcher Technik jedoch externe Dienstleistungsangebote in
218 Anspruch nehmen, gewinnt die Frage an Bedeutung, wem das auf
219 diese Weise gemeinsam erstellte Werk gehört. Den unmittelbar
220 Beteiligten? Oder dem Plattformanbieter? Letztlich ist dies
221 eine urheberrechtliche Frage.
222
223 Grundsätzlich spielen dabei die allgemeinen
224 Geschäftsbedingungen (AGB) des Anbieters eine große Rolle.
225 So lassen sich Diensteanbieter in der Regel umfangreiche
226 Lizenzen zur Verwendung des auf ihren Plattformen
227 bearbeiteten Materials einräumen. Einerseits benötigen sie
228 solche Rechte, um die Dienste überhaupt anbieten zu können.
229 Ohne die urheberrechtlichen Nutzungsrechte wäre es
230 beispielsweise nicht legal, Kopien von nutzergenerierten
231 Inhalten auf den eigenen Servern zu speichern. Andererseits
232 gehen die konkreten Formulierungen entsprechender AGB meist
233 weit über diesen Zweck hinaus. Dasselbe gilt für zumeist
234 ausgesprochen weit formulierte Haftungsfreistellungen und
235 für Sanktionen, die sich Diensteanbieter für den Fall
236 vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtsverstöße ihrer
237 Nutzer vorbehalten. Verständlicherweise haben die
238 Diensteanbieter ein Interesse daran, sich für den Fall von
239 Rechtsstreitigkeiten abzusichern, also beispielsweise für
240 Urheberrechtsverletzungen oder andere Verstöße gegen
241 geltendes Recht nicht haftbar gemacht zu werden. Zugleich
242 können solche AGB die Freiheit der Nutzer im Umgang mit den
243 eigenen Inhalten beträchtlich einschränken. Daher erscheint
244 fraglich, inwiefern die genannten AGB in dieser Form
245 rechtlich zulässig sind.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Industriell geprägte Erwerbstätigkeit basierte
2 klassischerweise „vor allem auf drei Faktoren: 1. Arbeit
3 hatte ihren Ort. 2. Arbeit hatte ihre Zeit. 3. Arbeit hatte
4 normativ die Standardform des Normalarbeitsverhältnisses“
5 (Schröter / Scherer 2010, S. 89). Diese Grundpfeiler der
6 Arbeitswelt sind im Zuge der digitalen Vernetzung unter
7 erheblichen Veränderungsdruck geraten. [FN: Vgl. zum
8 folgenden Abschnitt ausführlich Schwemmle / Wedde 2012 mit
9 weiteren Nachweisen.] Das herausragende, die neue Qualität
10 digitaler Vernetzung seit den 1990er Jahren bestimmende
11 Charakteristikum ist der mit dem Internet entstandene
12 globale Informationsraum, welcher sich über traditionelle
13 Trennungslinien zwischen Betrieben, Unternehmen, Branchen
14 und Volkswirtschaften hinweg erstreckt, aber auch die
15 überkommenen Schranken zwischen Arbeits- und Lebenswelt und
16 zwischen Produktions- und Konsumtionssphäre überschreitet.
17 In diesem zunehmend entgrenzten Handlungsfeld sind nicht nur
18 Kommunikationsvorgänge mit hoher Geschwindigkeit, großer
19 Reichweite und multimedialer Qualität möglich, sondern auch
20 komplexe Kooperationsprozesse, der Vertrieb digitaler Güter
21 und weitere ökonomisch bedeutsame Operationen. „Als
22 ‚sozialer Handlungsraum‘ bildet der Informationsraum […]
23 einen neuartigen Möglichkeitsraum, um sämtliche Tätigkeiten,
24 deren Arbeitsgegenstand und -mittel digitalisierbare
25 Informationen und Informationssysteme sind, in einem ‚neuen
26 Raum der Produktion‘ zu integrieren. […] Unabhängig von
27 ihrem konkreten Arbeitsort können Menschen in Echtzeit im
28 Arbeitsprozess kooperieren, da ihr Arbeitsgegenstand (z.B.
29 eine Software-Applikation) im Informationsraum selbst zur
30 Verfügung steht und auch die arbeitsbegleitende
31 Kommunikation über netzbasierte IT-Systeme erfolgen kann.“
32 (Boes / Kämpf 2011, S. 62)
33
34 Digital vernetzte Arbeit verliert in dieser neu
35 erschlossenen Sphäre ihre traditionelle Fixierung an einen
36 festen Ort („Arbeitsplatz“) und ist im Grundsatz überall
37 dort möglich, wo ein Rechner bedient werden kann und ein
38 Netzanschluss mit ausreichender Bandbreite zur Verfügung
39 steht. Entscheidend für diese neue Beweglichkeit von Arbeit
40 ist in erster Linie die Mobilität und ubiquitäre
41 Zugänglichkeit der Arbeitsinhalte und -gegenstände. Diese
42 sind nicht mehr allein im Büro und nur dort „greifbar“,
43 sondern können „in der Cloud“ bzw. im Firmennetzwerk
44 abgerufen, wo auch immer genutzt und bearbeitet und dann an
45 Kooperationspartner oder Kunden weitergeleitet werden. Ein
46 zweiter, die Ortsunabhängigkeit digitaler Arbeit
47 ermöglichender Faktor ist die erleichterte Portabilität und
48 höhere Leistungsfähigkeit digitaler Arbeitsmittel –
49 letzteres sowohl hardwareseitig (Notebooks, Tablets,
50 Smartphones) wie auch in puncto mobiler Betriebssysteme und
51 Anwendungen, drahtloser Netzzugänge und breitbandiger
52 Übertragungswege. Dies ermöglicht die persönliche Mobilität
53 der Arbeitenden selbst, die nicht mehr an ihre Schreibtische
54 in der Firma gebunden sind, sondern ihr „Überall-Büro“ stets
55 mit sich führen können. Neue digitale Beweglichkeit von
56 Arbeit umfasst somit die Mobilität der Arbeitsgegenstände,
57 der Arbeitsmittel und der arbeitenden Personen.
58
59 Digital vernetzte Arbeit ist auch insofern örtlich
60 ungebunden, als sie im Falle kooperativer Prozesse nicht
61 mehr die gemeinsame physische Anwesenheit der Akteure
62 („Kopräsenz“) erfordert, sondern eine – auch asynchrone –
63 Zusammenarbeit standortverteilter Personen und Teams
64 zulässt. Diese ist nicht mehr zwingend zu fixen Zeiten zu
65 leisten, sondern wird auch außerhalb des traditionellen
66 „Nine-to-Five“-Schemas und über Zeitzonen hinweg
67 organisierbar: „Immer leistungsfähigere informations- und
68 kommunikationstechnische Infrastrukturen erlauben es,
69 weltweit fast ohne Zeitverzögerung, zu geringen Kosten und
70 in stetig verbesserter Qualität zu kommunizieren und
71 arbeitsteilige Leistungsprozesse zu koordinieren. Wenn
72 Koordination […] zu beliebigen Zeiten von beliebigen
73 Standorten aus erfolgen kann, dann verlieren Arbeitsplätze
74 zunehmend ihre räumliche Bindung. Das schafft neue
75 Gestaltungsfreiräume für Konzepte verteilter Arbeit und
76 erlaubt eine Verlagerung von Arbeitsplätzen bis in den
77 häuslichen Bereich.“ (Reichwald et al. 1998, S. 1)
78
79 Qua Digitalisierung beweglich gewordenes Arbeiten eröffnet
80 so für viele Erwerbstätige unter bestimmten Bedingungen neue
81 Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie in der industriell
82 geprägten Arbeitswelt faktisch nicht vorhanden waren. Diese
83 beziehen sich auf den Ort, an dem gearbeitet wird, ebenso
84 wie auf die entsprechenden Zeiten. „Die wuchtige Wirkung der
85 digitalen Technologie auf die Handlungsspielräume des
86 Einzelnen“ (Friebe / Lobo 2008, S. 13) lässt für einen Teil
87 der Beschäftigten eine erweiterte Autonomie bei der
88 Gestaltung wichtiger Arbeitsbedingungen denkbar werden,
89 insbesondere die Chance, ihre beruflichen Aufgaben zumindest
90 partiell dort zu erledigen, wo sie wollen, dann, wann sie
91 wollen – und dies unter Rahmenbedingungen, die sie als
92 angemessen empfinden. Der Wunsch nach solchen
93 raum-zeitlichen Gestaltungsoptionen, mit denen sich
94 Potenziale für flexible Arbeitszeitmodelle und eine
95 Verbesserung der Work-Life-Balance verbinden, ist weit
96 verbreitet. So wollten etwa einer vom BITKOM in Auftrag
97 gegebenen Repräsentativerhebung zufolge im Jahr 2010 20 %
98 der befragten Erwerbstätigen in Deutschland gerne täglich
99 von zu Hause aus arbeiten, weitere 37 % würden es zumindest
100 an einigen Tagen der Woche bevorzugen, zur Arbeit nicht ins
101 Büro gehen zu müssen, und zusätzliche 10 % gaben an, bereits
102 jetzt gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten (BITKOM
103 2010a). In eine ähnliche Richtung deuten Ergebnisse des
104 Cisco Connected World Report, einer weltweiten Befragung bei
105 mehr als 2.600 Beschäftigten und Entscheidern: Diesen
106 zufolge würden 72 Prozent der deutschen Teilnehmer die
107 Möglichkeit zu selbstbestimmter Telearbeit als ein wichtiges
108 Privileg empfinden (Cisco 2010).
109
110 Allerdings verwirklichen sich die durch das technische
111 Potenzial erschließbaren höheren Freiheitsgrade bei orts-
112 und zeitflexibler digitaler Arbeit offensichtlich nicht im
113 Selbstlauf: Weder kommen alle Beschäftigten, für die eine
114 größere Beweglichkeit ihrer Arbeit im Raum möglich wäre,
115 auch tatsächlich in den Genuss, diese Option für sich nutzen
116 zu können, noch ist mobile Arbeit, so sie denn praktiziert
117 wird, stets mit real erweiterten
118 Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Betroffenen verbunden –
119 und selbst wenn solche vorhanden sein sollten, so werden
120 diese nicht immer und ausschließlich als befreiend
121 empfunden. Mobile Arbeit etwa, deren Orte und Zeiten
122 ausschließlich von den Dispositionen des Arbeit- oder
123 Auftraggebers diktiert sind, dürfte mit Vorstellungen von
124 mehr Freiheit ebenso schwerlich in Einklang zu bringen sein
125 wie die Erledigung der elektronischen Post, die nach einem
126 langen Bürotag aufgrund eines anderweitig nicht zu
127 bewältigenden Arbeitsquantums am Abend per Notebook zuhause
128 stattfindet. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem
129 Zusammenhang, „dass die Vorteile flexibler bzw. mobiler
130 Arbeitsmöglichkeiten sich nur dann realisieren lassen, wenn
131 sie zwecks Verlagerung von Arbeitszeit und -ort herangezogen
132 werden. Werden diese Maßnahmen allerdings eingeführt, um –
133 mehr oder weniger explizit – die Arbeitszeiten der
134 Beschäftigten zu verlängern, sind diese als negativ oder als
135 problematisch im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Arbeit
136 und Privatleben einzuordnen.“ (Stock-Homburg 2011, S. 3f.;
137 Hervorhebung im Original)
138
139 Generell gilt damit auch im Blick auf die bei digitaler
140 Arbeit prinzipiell ermöglichten raum-zeitlichen
141 Gestaltungschancen, dass Autonomie „niemals für sich,
142 sondern immer nur zusammen mit den Bedingungen zu denken
143 (ist), unter denen sie existiert und praktiziert wird. Stets
144 reicht ein Handlungsspielraum in der Arbeit nur so weit wie
145 der Verhandlungsspielraum, den die Arbeitspersonen
146 individuell oder kollektiv über die Kontextbedingungen der
147 Arbeit tatsächlich besitzen ...“ (Brödner 2002, S. 524). Ob
148 Beschäftigte die mit der digitalen Technik verbundenen
149 höheren Freiheitsgrade auch tatsächlich zu ihrem eigenen
150 Nutzen realisieren können, hängt insoweit stark davon ab,
151 über welche Rechte und Ressourcen sie verfügen und in
152 welchem Ausmaß sie eigenständige Entscheidungen gegen
153 Zielvorgaben und Leistungs- und Präsenzforderungen von
154 Vorgesetzten oder Auftraggebern durchzusetzen vermögen. Sind
155 diese Voraussetzungen hingegen gegeben, so könnten aus der
156 Digitalisierung der Arbeit wichtige Impulse zu ihrer
157 Humanisierung entstehen. Derzeit überwiegt jedoch noch der
158 Eindruck, dass die vorhandenen Spielräume für besseres und
159 selbstbestimmteres Arbeiten im Netz bislang nur für einen
160 relativ kleinen Teil der Erwerbstätigen Realität geworden
161 ist.
162
163 Die entgrenzenden Effekte digitaler Vernetzung lassen die im
164 industriegesellschaftlichen Alltag selbstverständlich
165 gewordene Separierung von beruflicher und privater Sphäre
166 zunehmend brüchig werden. Auch diese Entwicklung ist
167 zwischenzeitlich zum Massenphänomen geworden: „Durch
168 Internet und Handy sind für viele Menschen die Grenzen
169 zwischen ihrer Arbeit und ihrem Privatleben gefallen. Das
170 bestätigt fast jeder zweite Berufstätige in Deutschland (43
171 Prozent), wie aus einer Studie des BITKOM hervorgeht. Für
172 31 Prozent von ihnen überwiegen dabei die positiven Seiten,
173 16 Prozent bewerten die Entwicklung eher negativ. Der Rest,
174 also 53 Prozent, betont gleichermaßen gute wie schlechte
175 Seiten.“ (BITKOM 2010b) Da Grenzen einerseits einengen,
176 andererseits aber auch Schutz geben und Stabilität
177 garantieren, wirkt Entgrenzung in ambivalenter Weise sowohl
178 befreiend als auch herausfordernd. Sollen die neuen
179 Freiheiten orts- und zeitflexibler Erwerbstätigkeit nicht zu
180 neuen Belastungen führen, weil die Arbeit zunehmend das
181 Privatleben überschattet und ein „Abschalten“ schwer fällt,
182 so müssen die Beschäftigten über Kompetenzen und
183 Möglichkeiten verfügen, neue Grenzen zu ziehen. Gefragt ist
184 hier insbesondere „die Fähigkeit zur Selbstorganisation […],
185 um den Arbeitsalltag in räumlicher und zeitlicher Hinsicht
186 zu strukturieren und um die eigene Erwerbstätigkeit in ein
187 individuell passendes Verhältnis zur häuslichen Privatsphäre
188 zu setzen. Ist diese Fähigkeit nicht vorhanden, wird die
189 freie Zeiteinteilung nicht als Handlungsspielraum, sondern
190 als anstrengend und die Arbeitssituation als unbefriedigend
191 empfunden.“ (von Streit 2011, S. 239) Die Bewältigung dieser
192 Herausforderung wird den Betroffenen nicht abgenommen werden
193 können – wohl aber ist es eine arbeitspolitische Aufgabe,
194 sie durch adäquate Qualifikationsangebote beim Aufbau
195 entsprechender Ressourcen zu unterstützen und nötigenfalls
196 auch regulatorische sowie technische Flankierungen für
197 belastungsreduzierende Grenzziehungen bereitzustellen.
198
199
200
201
202 Veränderung von Arbeitsprozessen und –bedingungen:
203 Gruppenarbeit auf Online-Plattformen von Drittanbietern, wem
204 gehört das dort erarbeitete Wissen?
205
206 Das Internet hat Formen kollaborativen Arbeitens ermöglicht,
207 die es in der analogen Welt so noch nicht gab. So ist es
208 beispielsweise möglich geworden, dass mehrere Personen
209 zusammen online an ein und demselben Text arbeiten, indem
210 sie Wikis, Etherpads oder ähnliche Dienste nutzen. Während
211 Wikis asynchron editiert werden, erlauben Etherpads sogar
212 ein synchrones Arbeiten am Text. So wird ein raum- und
213 zeitübergreifendes Arbeiten möglich, aber beispielsweise
214 auch die gezielte Einbindung von externem Fachwissen.
215
216 Sofern Unternehmen und Organisationen bei der Nutzung
217 solcher Technik jedoch externe Dienstleistungsangebote in
218 Anspruch nehmen, gewinnt die Frage an Bedeutung, wem das auf
219 diese Weise gemeinsam erstellte Werk gehört. Den unmittelbar
220 Beteiligten? Oder dem Plattformanbieter? Letztlich ist dies
221 eine urheberrechtliche Frage.
222
223 Grundsätzlich spielen dabei die allgemeinen
224 Geschäftsbedingungen (AGB) des Anbieters eine große Rolle.
225 So lassen sich Diensteanbieter in der Regel umfangreiche
226 Lizenzen zur Verwendung des auf ihren Plattformen
227 bearbeiteten Materials einräumen. Einerseits benötigen sie
228 solche Rechte, um die Dienste überhaupt anbieten zu können.
229 Ohne die urheberrechtlichen Nutzungsrechte wäre es
230 beispielsweise nicht legal, Kopien von nutzergenerierten
231 Inhalten auf den eigenen Servern zu speichern. Andererseits
232 gehen die konkreten Formulierungen entsprechender AGB meist
233 weit über diesen Zweck hinaus. Dasselbe gilt für zumeist
234 ausgesprochen weit formulierte Haftungsfreistellungen und
235 für Sanktionen, die sich Diensteanbieter für den Fall
236 vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtsverstöße ihrer
237 Nutzer vorbehalten. Verständlicherweise haben die
238 Diensteanbieter ein Interesse daran, sich für den Fall von
239 Rechtsstreitigkeiten abzusichern, also beispielsweise für
240 Urheberrechtsverletzungen oder andere Verstöße gegen
241 geltendes Recht nicht haftbar gemacht zu werden. Zugleich
242 können solche AGB die Freiheit der Nutzer im Umgang mit den
243 eigenen Inhalten beträchtlich einschränken. Daher erscheint
244 fraglich, inwiefern die genannten AGB in dieser Form
245 rechtlich zulässig sind.

Vorschlag

  1. Bewerten Sie die Original- und die eingebrachten Versionen eines Papiers, indem Sie über die Pfeile Ihre Zustimmung (hoch) oder Ablehnung (runter) ausdrücken. Sie können dabei auch mehreren Versionen zustimmen oder diese ablehnen.

  2. Wählen Sie, ob Änderungen im Vergleich zur Originalversion hervorgehoben werden sollen.

  3. Sie können hier auch eine neue Version des Papiers einbringen.