3.3.1 Veränderung von Arbeitsprozessen und –bedingungen

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    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 Industriell geprägte Erwerbstätigkeit basierte
    2 klassischerweise „vor allem auf drei Faktoren: 1. Arbeit
    3 hatte ihren Ort. 2. Arbeit hatte ihre Zeit. 3. Arbeit hatte
    4 normativ die Standardform des Normalarbeitsverhältnisses“
    5 (Schröter / Scherer 2010, S. 89). Diese Grundpfeiler der
    6 Arbeitswelt sind im Zuge der digitalen Vernetzung unter
    7 erheblichen Veränderungsdruck geraten. [FN: Vgl. zum
    8 folgenden Abschnitt ausführlich Schwemmle / Wedde 2012 mit
    9 weiteren Nachweisen.] Das herausragende, die neue Qualität
    10 digitaler Vernetzung seit den 1990er Jahren bestimmende
    11 Charakteristikum ist der mit dem Internet entstandene
    12 globale Informationsraum, welcher sich über traditionelle
    13 Trennungslinien zwischen Betrieben, Unternehmen, Branchen
    14 und Volkswirtschaften hinweg erstreckt, aber auch die
    15 überkommenen Schranken zwischen Arbeits- und Lebenswelt und
    16 zwischen Produktions- und Konsumtionssphäre überschreitet.
    17 In diesem zunehmend entgrenzten Handlungsfeld sind nicht
    18 nur Kommunikationsvorgänge mit hoher Geschwindigkeit,
    19 großer Reichweite und multimedialer Qualität möglich,
    20 sondern auch komplexe Kooperationsprozesse, der Vertrieb
    21 digitaler Güter und weitere ökonomisch bedeutsame
    22 Operationen. „Als ‚sozialer Handlungsraum‘ bildet der
    23 Informationsraum [...] einen neuartigen Möglichkeitsraum,
    24 um sämtliche Tätigkeiten, deren Arbeitsgegenstand und
    25 -mittel digitalisierbare Informationen und
    26 Informationssysteme sind, in einem ‚neuen Raum der
    27 Produktion‘ zu integrieren. [...] Unabhängig von ihrem
    28 konkreten Arbeitsort können Menschen in Echtzeit im
    29 Arbeitsprozess kooperieren, da ihr Arbeitsgegenstand (z.B.
    30 eine Software-Applikation) im Informationsraum selbst zur
    31 Verfügung steht und auch die arbeitsbegleitende
    32 Kommunikation über netzbasierte IT-Systeme erfolgen kann.“
    33 (Boes / Kämpf 2011, S. 62)
    34
    35 Digital vernetzte Arbeit verliert in dieser neu
    36 erschlossenen Sphäre ihre traditionelle Fixierung an einen
    37 festen Ort („Arbeitsplatz“) und ist im Grundsatz überall
    38 dort möglich, wo ein Rechner bedient werden kann und ein
    39 Netzanschluss mit ausreichender Bandbreite zur Verfügung
    40 steht. Entscheidend für diese neue Beweglichkeit von Arbeit
    41 ist in erster Linie die Mobilität und ubiquitäre
    42 Zugänglichkeit der Arbeitsinhalte und -gegenstände. Diese
    43 sind nicht mehr allein im Büro und nur dort „greifbar“,
    44 sondern können „in der Cloud“ bzw. im Firmennetzwerk
    45 abgerufen, wo auch immer genutzt und bearbeitet und dann an
    46 Kooperationspartner oder Kunden weitergeleitet werden. Ein
    47 zweiter, die Ortsunabhängigkeit digitaler Arbeit
    48 ermöglichender Faktor ist die erleichterte Portabilität und
    49 höhere Leistungsfähigkeit digitaler Arbeitsmittel –
    50 letzteres sowohl hardwareseitig (Notebooks, Tablets,
    51 Smartphones) wie auch in puncto mobiler Betriebssysteme und
    52 Anwendungen, drahtloser Netzzugänge und breitbandiger
    53 Übertragungswege. Dies ermöglicht die persönliche Mobilität
    54 der Arbeitenden selbst, die nicht mehr an ihre
    55 Schreibtische in der Firma gebunden sind, sondern ihr
    56 „Überall-Büro“ stets mit sich führen können. Neue digitale
    57 Beweglichkeit von Arbeit umfasst somit die Mobilität der
    58 Arbeitsgegenstände, der Arbeitsmittel und der arbeitenden
    59 Personen.
    60
    61 Digital vernetzte Arbeit ist auch insofern örtlich
    62 ungebunden, als sie im Falle kooperativer Prozesse nicht
    63 mehr die gemeinsame physische Anwesenheit der Akteure
    64 („Kopräsenz“) erfordert, sondern eine – auch asynchrone –
    65 Zusammenarbeit standortverteilter Personen und Teams
    66 zulässt. Diese ist nicht mehr zwingend zu fixen Zeiten zu
    67 leisten, sondern wird auch außerhalb des traditionellen
    68 „Nine-to-Five“-Schemas und über Zeitzonen hinweg
    69 organisierbar: „Immer leistungsfähigere informations- und
    70 kommunikationstechnische Infrastrukturen erlauben es,
    71 weltweit fast ohne Zeitverzögerung, zu geringen Kosten und
    72 in stetig verbesserter Qualität zu kommunizieren und
    73 arbeitsteilige Leistungsprozesse zu koordinieren. Wenn
    74 Koordination [...] zu beliebigen Zeiten von beliebigen
    75 Standorten aus erfolgen kann, dann verlieren Arbeitsplätze
    76 zunehmend ihre räumliche Bindung. Das schafft neue
    77 Gestaltungsfreiräume für Konzepte verteilter Arbeit und
    78 erlaubt eine Verlagerung von Arbeitsplätzen bis in den
    79 häuslichen Bereich.“ (Reichwald et al. 1998, S. 1)
    80
    81 Qua Digitalisierung beweglich gewordenes Arbeiten eröffnet
    82 so für viele Erwerbstätige unter bestimmten Bedingungen
    83 neue Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie in der industriell
    84 geprägten Arbeitswelt faktisch nicht vorhanden waren. Diese
    85 beziehen sich auf den Ort, an dem gearbeitet wird, ebenso
    86 wie auf die entsprechenden Zeiten. „Die wuchtige Wirkung
    87 der digitalen Technologie auf die Handlungsspielräume des
    88 Einzelnen“ (Friebe / Lobo 2008, S. 13) lässt für einen Teil
    89 der Beschäftigten eine erweiterte Autonomie bei der
    90 Gestaltung wichtiger Arbeitsbedingungen denkbar werden,
    91 insbesondere die Chance, ihre beruflichen Aufgaben
    92 zumindest partiell dort zu erledigen, wo sie wollen, dann,
    93 wann sie wollen – und dies unter Rahmenbedingungen, die sie
    94 als angemessen empfinden. Der Wunsch nach solchen
    95 raum-zeitlichen Gestaltungsoptionen, mit denen sich
    96 Potenziale für flexible Arbeitszeitmodelle und eine
    97 Verbesserung der Work-Life-Balance verbinden, ist weit
    98 verbreitet. So wollten etwa einer vom BITKOM in Auftrag
    99 gegebenen Repräsentativerhebung zufolge im Jahr 2010 20 %
    100 der befragten Erwerbstätigen in Deutschland gerne täglich
    101 von zu Hause aus arbeiten, weitere 37 % würden es zumindest
    102 an einigen Tagen der Woche bevorzugen, zur Arbeit nicht ins
    103 Büro gehen zu müssen, und zusätzliche 10 % gaben an,
    104 bereits jetzt gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten
    105 (BITKOM 2010a). In eine ähnliche Richtung deuten Ergebnisse
    106 des Cisco Connected World Report, einer weltweiten
    107 Befragung bei mehr als 2.600 Beschäftigten und
    108 Entscheidern: Diesen zufolge würden 72 Prozent der
    109 deutschen Teilnehmer die Möglichkeit zu selbstbestimmter
    110 Telearbeit als ein wichtiges Privileg empfinden (Cisco
    111 2010).
    112
    113 Allerdings verwirklichen sich die durch das technische
    114 Potenzial erschließbaren höheren Freiheitsgrade bei orts-
    115 und zeitflexibler digitaler Arbeit offensichtlich nicht im
    116 Selbstlauf: Weder kommen alle Beschäftigten, für die eine
    117 größere Beweglichkeit ihrer Arbeit im Raum möglich wäre,
    118 auch tatsächlich in den Genuss, diese Option für sich
    119 nutzen zu können, noch ist mobile Arbeit, so sie denn
    120 praktiziert wird, stets mit real erweiterten
    121 Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Betroffenen verbunden –
    122 und selbst wenn solche vorhanden sein sollten, so werden
    123 diese nicht immer und ausschließlich als befreiend
    124 empfunden. Mobile Arbeit etwa, deren Orte und Zeiten
    125 ausschließlich von den Dispositionen des Arbeit- oder
    126 Auftraggebers diktiert sind, dürfte mit Vorstellungen von
    127 mehr Freiheit ebenso schwerlich in Einklang zu bringen sein
    128 wie die Erledigung der elektronischen Post, die nach einem
    129 langen Bürotag aufgrund eines anderweitig nicht zu
    130 bewältigenden Arbeitsquantums am Abend per Notebook zuhause
    131 stattfindet. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem
    132 Zusammenhang, „dass die Vorteile flexibler bzw. mobiler
    133 Arbeitsmöglichkeiten sich nur dann realisieren lassen, wenn
    134 sie zwecks Verlagerung von Arbeitszeit und -ort
    135 herangezogen werden. Werden diese Maßnahmen allerdings
    136 eingeführt, um – mehr oder weniger explizit – die
    137 Arbeitszeiten der Beschäftigten zu verlängern, sind diese
    138 als negativ oder als problematisch im Hinblick auf das
    139 Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben einzuordnen.“
    140 (Stock-Homburg 2011, S. 3f.; Hervorhebung im Original)
    141
    142 Generell gilt damit auch im Blick auf die bei digitaler
    143 Arbeit prinzipiell ermöglichten raum-zeitlichen
    144 Gestaltungschancen, dass Autonomie „niemals für sich,
    145 sondern immer nur zusammen mit den Bedingungen zu denken
    146 (ist), unter denen sie existiert und praktiziert wird.
    147 Stets reicht ein Handlungsspielraum in der Arbeit nur so
    148 weit wie der Verhandlungsspielraum, den die Arbeitspersonen
    149 individuell oder kollektiv über die Kontextbedingungen der
    150 Arbeit tatsächlich besitzen ...“ (Brödner 2002, S. 524). Ob
    151 Beschäftigte die mit der digitalen Technik verbundenen
    152 höheren Freiheitsgrade auch tatsächlich zu ihrem eigenen
    153 Nutzen realisieren können, hängt insoweit stark davon ab,
    154 über welche Rechte und Ressourcen sie verfügen und in
    155 welchem Ausmaß sie eigenständige Entscheidungen gegen
    156 Zielvorgaben und Leistungs- und Präsenzforderungen von
    157 Vorgesetzten oder Auftraggebern durchzusetzen vermögen.
    158 Sind diese Voraussetzungen hingegen gegeben, so könnten aus
    159 der Digitalisierung der Arbeit wichtige Impulse zu ihrer
    160 Humanisierung entstehen. Derzeit überwiegt jedoch noch der
    161 Eindruck, dass die vorhandenen Spielräume für besseres und
    162 selbstbestimmteres Arbeiten im Netz bislang nur für einen
    163 relativ kleinen Teil der Erwerbstätigen Realität geworden
    164 ist.
    165
    166 Die entgrenzenden Effekte digitaler Vernetzung lassen die
    167 im industriegesellschaftlichen Alltag selbstverständlich
    168 gewordene Separierung von beruflicher und privater Sphäre
    169 zunehmend brüchig werden. Auch diese Entwicklung ist
    170 zwischenzeitlich zum Massenphänomen geworden: „Durch
    171 Internet und Handy sind für viele Menschen die Grenzen
    172 zwischen ihrer Arbeit und ihrem Privatleben gefallen. Das
    173 bestätigt fast jeder zweite Berufstätige in Deutschland (43
    174 Prozent), wie aus einer Studie des BITKOM hervorgeht. Für
    175 31 Prozent von ihnen überwiegen dabei die positiven Seiten,
    176 16 Prozent bewerten die Entwicklung eher negativ. Der Rest,
    177 also 53 Prozent, betont gleichermaßen gute wie schlechte
    178 Seiten.“ (BITKOM 2010b) Da Grenzen einerseits einengen,
    179 andererseits aber auch Schutz geben und Stabilität
    180 garantieren, wirkt Entgrenzung in ambivalenter Weise sowohl
    181 befreiend als auch herausfordernd. Sollen die neuen
    182 Freiheiten orts- und zeitflexibler Erwerbstätigkeit nicht
    183 zu neuen Belastungen führen, weil die Arbeit zunehmend das
    184 Privatleben überschattet und ein „Abschalten“ schwer fällt,
    185 so müssen die Beschäftigten über Kompetenzen und
    186 Möglichkeiten verfügen, neue Grenzen zu ziehen. Gefragt ist
    187 hier insbesondere „die Fähigkeit zur Selbstorganisation
    188 [...], um den Arbeitsalltag in räumlicher und zeitlicher
    189 Hinsicht zu strukturieren und um die eigene
    190 Erwerbstätigkeit in ein individuell passendes Verhältnis
    191 zur häuslichen Privatsphäre zu setzen. Ist diese Fähigkeit
    192 nicht vorhanden, wird die freie Zeiteinteilung nicht als
    193 Handlungsspielraum, sondern als anstrengend und die
    194 Arbeitssituation als unbefriedigend empfunden.“ (von Streit
    195 2011, S. 239) Die Bewältigung dieser Herausforderung wird
    196 den Betroffenen nicht abgenommen werden können – wohl aber
    197 ist es eine arbeitspolitische Aufgabe, sie durch adäquate
    198 Qualifikationsangebote beim Aufbau entsprechender
    199 Ressourcen zu unterstützen und nötigenfalls auch
    200 regulatorische sowie technische Flankierungen für
    201 belastungsreduzierende Grenzziehungen bereitzustellen.
    202
    203
    204
    205
    206 Veränderung von Arbeitsprozessen und –bedingungen:
    207 Gruppenarbeit auf Online-Plattformen von Drittanbietern,
    208 wem gehört das dort erarbeitete Wissen?
    209
    210 Das Internet hat Formen kollaborativen Arbeitens
    211 ermöglicht, die es in der analogen Welt so noch nicht gab.
    212 So ist es beispielsweise möglich geworden, dass mehrere
    213 Personen zusammen online an ein und demselben Text
    214 arbeiten, indem sie Wikis, Etherpads oder ähnliche Dienste
    215 nutzen. Während Wikis asynchron editiert werden, erlauben
    216 Etherpads sogar ein synchrones Arbeiten am Text. So wird
    217 ein raum- und zeitübergreifendes Arbeiten möglich, aber
    218 beispielsweise auch die gezielte Einbindung von externem
    219 Fachwissen.
    220
    221 Sofern Unternehmen und Organisationen bei der Nutzung
    222 solcher Technik jedoch externe Dienstleistungsangebote in
    223 Anspruch nehmen, gewinnt die Frage an Bedeutung, wem das
    224 auf diese Weise gemeinsam erstellte Werk gehört. Den
    225 unmittelbar Beteiligten? Oder dem Plattformanbieter?
    226 Letztlich ist dies eine urheberrechtliche Frage.
    227
    228 Grundsätzlich spielen dabei die allgemeinen
    229 Geschäftsbedingungen (AGB) des Anbieters eine große Rolle.
    230 So lassen sich Diensteanbieter in der Regel umfangreiche
    231 Lizenzen zur Verwendung des auf ihren Plattformen
    232 bearbeiteten Materials einräumen. Einerseits benötigen sie
    233 solche Rechte, um die Dienste überhaupt anbieten zu können.
    234 Ohne die urheberrechtlichen Nutzungsrechte wäre es
    235 beispielsweise nicht legal, Kopien von nutzergenerierten
    236 Inhalten auf den eigenen Servern zu speichern. Andererseits
    237 gehen die konkreten Formulierungen entsprechender AGB meist
    238 weit über diesen Zweck hinaus. Dasselbe gilt für zumeist
    239 ausgesprochen weit formulierte Haftungsfreistellungen und
    240 für Sanktionen, die sich Diensteanbieter für den Fall
    241 vermeintlicher oder tatsächlicher Rechtsverstöße ihrer
    242 Nutzer vorbehalten. Verständlicherweise haben die
    243 Diensteanbieter ein Interesse daran, sich für den Fall von
    244 Rechtsstreitigkeiten abzusichern, also beispielsweise für
    245 Urheberrechtsverletzungen oder andere Verstöße gegen
    246 geltendes Recht nicht haftbar gemacht zu werden. Zugleich
    247 können solche AGB die Freiheit der Nutzer im Umgang mit den
    248 eigenen Inhalten beträchtlich einschränken. Daher erscheint
    249 fraglich, inwiefern die genannten AGB in dieser Form
    250 rechtlich zulässig sind.
    251
    252
  • 3.3.1 Veränderung von Arbeitsprozessen und –bedingungen (Originalversion)

    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 Industriell geprägte Erwerbstätigkeit basierte
    2 klassischerweise „vor allem auf drei Faktoren: 1. Arbeit
    3 hatte ihren Ort. 2. Arbeit hatte ihre Zeit. 3. Arbeit hatte
    4 normativ die Standardform des Normalarbeitsverhältnisses“
    5 (Schröter / Scherer 2010, S. 89). Diese Grundpfeiler der
    6 Arbeitswelt sind im Zuge der digitalen Vernetzung unter
    7 erheblichen Veränderungsdruck geraten. [FN: Vgl. zum
    8 folgenden Abschnitt ausführlich Schwemmle / Wedde 2012 mit
    9 weiteren Nachweisen.] Das herausragende, die neue Qualität
    10 digitaler Vernetzung seit den 1990er Jahren bestimmende
    11 Charakteristikum ist der mit dem Internet entstandene
    12 globale Informationsraum, welcher sich über traditionelle
    13 Trennungslinien zwischen Betrieben, Unternehmen, Branchen
    14 und Volkswirtschaften hinweg erstreckt, aber auch die
    15 überkommenen Schranken zwischen Arbeits- und Lebenswelt und
    16 zwischen Produktions- und Konsumtionssphäre überschreitet.
    17 In diesem zunehmend entgrenzten Handlungsfeld sind nicht
    18 nur Kommunikationsvorgänge mit hoher Geschwindigkeit,
    19 großer Reichweite und multimedialer Qualität möglich,
    20 sondern auch komplexe Kooperationsprozesse, der Vertrieb
    21 digitaler Güter und weitere ökonomisch bedeutsame
    22 Operationen. „Als ‚sozialer Handlungsraum‘ bildet der
    23 Informationsraum [...] einen neuartigen Möglichkeitsraum,
    24 um sämtliche Tätigkeiten, deren Arbeitsgegenstand und
    25 -mittel digitalisierbare Informationen und
    26 Informationssysteme sind, in einem ‚neuen Raum der
    27 Produktion‘ zu integrieren. [...] Unabhängig von ihrem
    28 konkreten Arbeitsort können Menschen in Echtzeit im
    29 Arbeitsprozess kooperieren, da ihr Arbeitsgegenstand (z.B.
    30 eine Software-Applikation) im Informationsraum selbst zur
    31 Verfügung steht und auch die arbeitsbegleitende
    32 Kommunikation über netzbasierte IT-Systeme erfolgen kann.“
    33 (Boes / Kämpf 2011, S. 62)
    34
    35 Digital vernetzte Arbeit verliert in dieser neu
    36 erschlossenen Sphäre ihre traditionelle Fixierung an einen
    37 festen Ort („Arbeitsplatz“) und ist im Grundsatz überall
    38 dort möglich, wo ein Rechner bedient werden kann und ein
    39 Netzanschluss mit ausreichender Bandbreite zur Verfügung
    40 steht. Entscheidend für diese neue Beweglichkeit von Arbeit
    41 ist in erster Linie die Mobilität und ubiquitäre
    42 Zugänglichkeit der Arbeitsinhalte und -gegenstände. Diese
    43 sind nicht mehr allein im Büro und nur dort „greifbar“,
    44 sondern können „in der Cloud“ bzw. im Firmennetzwerk
    45 abgerufen, wo auch immer genutzt und bearbeitet und dann an
    46 Kooperationspartner oder Kunden weitergeleitet werden. Ein
    47 zweiter, die Ortsunabhängigkeit digitaler Arbeit
    48 ermöglichender Faktor ist die erleichterte Portabilität und
    49 höhere Leistungsfähigkeit digitaler Arbeitsmittel –
    50 letzteres sowohl hardwareseitig (Notebooks, Tablets,
    51 Smartphones) wie auch in puncto mobiler Betriebssysteme und
    52 Anwendungen, drahtloser Netzzugänge und breitbandiger
    53 Übertragungswege. Dies ermöglicht die persönliche Mobilität
    54 der Arbeitenden selbst, die nicht mehr an ihre
    55 Schreibtische in der Firma gebunden sind, sondern ihr
    56 „Überall-Büro“ stets mit sich führen können. Neue digitale
    57 Beweglichkeit von Arbeit umfasst somit die Mobilität der
    58 Arbeitsgegenstände, der Arbeitsmittel und der arbeitenden
    59 Personen.
    60
    61 Digital vernetzte Arbeit ist auch insofern örtlich
    62 ungebunden, als sie im Falle kooperativer Prozesse nicht
    63 mehr die gemeinsame physische Anwesenheit der Akteure
    64 („Kopräsenz“) erfordert, sondern eine – auch asynchrone –
    65 Zusammenarbeit standortverteilter Personen und Teams
    66 zulässt. Diese ist nicht mehr zwingend zu fixen Zeiten zu
    67 leisten, sondern wird auch außerhalb des traditionellen
    68 „Nine-to-Five“-Schemas und über Zeitzonen hinweg
    69 organisierbar: „Immer leistungsfähigere informations- und
    70 kommunikationstechnische Infrastrukturen erlauben es,
    71 weltweit fast ohne Zeitverzögerung, zu geringen Kosten und
    72 in stetig verbesserter Qualität zu kommunizieren und
    73 arbeitsteilige Leistungsprozesse zu koordinieren. Wenn
    74 Koordination [...] zu beliebigen Zeiten von beliebigen
    75 Standorten aus erfolgen kann, dann verlieren Arbeitsplätze
    76 zunehmend ihre räumliche Bindung. Das schafft neue
    77 Gestaltungsfreiräume für Konzepte verteilter Arbeit und
    78 erlaubt eine Verlagerung von Arbeitsplätzen bis in den
    79 häuslichen Bereich.“ (Reichwald et al. 1998, S. 1)
    80
    81 Qua Digitalisierung beweglich gewordenes Arbeiten eröffnet
    82 so für viele Erwerbstätige unter bestimmten Bedingungen
    83 neue Gestaltungsmöglichkeiten, wie sie in der industriell
    84 geprägten Arbeitswelt faktisch nicht vorhanden waren. Diese
    85 beziehen sich auf den Ort, an dem gearbeitet wird, ebenso
    86 wie auf die entsprechenden Zeiten. „Die wuchtige Wirkung
    87 der digitalen Technologie auf die Handlungsspielräume des
    88 Einzelnen“ (Friebe / Lobo 2008, S. 13) lässt für einen Teil
    89 der Beschäftigten eine erweiterte Autonomie bei der
    90 Gestaltung wichtiger Arbeitsbedingungen denkbar werden,
    91 insbesondere die Chance, ihre beruflichen Aufgaben
    92 zumindest partiell dort zu erledigen, wo sie wollen, dann,
    93 wann sie wollen – und dies unter Rahmenbedingungen, die sie
    94 als angemessen empfinden. Der Wunsch nach solchen
    95 raum-zeitlichen Gestaltungsoptionen, mit denen sich
    96 Potenziale für flexible Arbeitszeitmodelle und eine
    97 Verbesserung der Work-Life-Balance verbinden, ist weit
    98 verbreitet. So wollten etwa einer vom BITKOM in Auftrag
    99 gegebenen Repräsentativerhebung zufolge im Jahr 2010 20 %
    100 der befragten Erwerbstätigen in Deutschland gerne täglich
    101 von zu Hause aus arbeiten, weitere 37 % würden es zumindest
    102 an einigen Tagen der Woche bevorzugen, zur Arbeit nicht ins
    103 Büro gehen zu müssen, und zusätzliche 10 % gaben an,
    104 bereits jetzt gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten
    105 (BITKOM 2010a). In eine ähnliche Richtung deuten Ergebnisse
    106 des Cisco Connected World Report, einer weltweiten
    107 Befragung bei mehr als 2.600 Beschäftigten und
    108 Entscheidern: Diesen zufolge würden 72 Prozent der
    109 deutschen Teilnehmer die Möglichkeit zu selbstbestimmter
    110 Telearbeit als ein wichtiges Privileg empfinden (Cisco
    111 2010).
    112
    113 Allerdings verwirklichen sich die durch das technische
    114 Potenzial erschließbaren höheren Freiheitsgrade bei orts-
    115 und zeitflexibler digitaler Arbeit offensichtlich nicht im
    116 Selbstlauf: Weder kommen alle Beschäftigten, für die eine
    117 größere Beweglichkeit ihrer Arbeit im Raum möglich wäre,
    118 auch tatsächlich in den Genuss, diese Option für sich
    119 nutzen zu können, noch ist mobile Arbeit, so sie denn
    120 praktiziert wird, stets mit real erweiterten
    121 Selbstbestimmungsmöglichkeiten der Betroffenen verbunden –
    122 und selbst wenn solche vorhanden sein sollten, so werden
    123 diese nicht immer und ausschließlich als befreiend
    124 empfunden. Mobile Arbeit etwa, deren Orte und Zeiten
    125 ausschließlich von den Dispositionen des Arbeit- oder
    126 Auftraggebers diktiert sind, dürfte mit Vorstellungen von
    127 mehr Freiheit ebenso schwerlich in Einklang zu bringen sein
    128 wie die Erledigung der elektronischen Post, die nach einem
    129 langen Bürotag aufgrund eines anderweitig nicht zu
    130 bewältigenden Arbeitsquantums am Abend per Notebook zuhause
    131 stattfindet. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem
    132 Zusammenhang, „dass die Vorteile flexibler bzw. mobiler
    133 Arbeitsmöglichkeiten sich nur dann realisieren lassen, wenn
    134 sie zwecks Verlagerung von Arbeitszeit und -ort
    135 herangezogen werden. Werden diese Maßnahmen allerdings
    136 eingeführt, um – mehr oder weniger explizit – die
    137 Arbeitszeiten der Beschäftigten zu verlängern, sind diese
    138 als negativ oder als problematisch im Hinblick auf das
    139 Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben einzuordnen.“
    140 (Stock-Homburg 2011, S. 3f.; Hervorhebung im Original)
    141
    142 Generell gilt damit auch im Blick auf die bei digitaler
    143 Arbeit prinzipiell ermöglichten raum-zeitlichen
    144 Gestaltungschancen, dass Autonomie „niemals für sich,
    145 sondern immer nur zusammen mit den Bedingungen zu denken
    146 (ist), unter denen sie existiert und praktiziert wird.
    147 Stets reicht ein Handlungsspielraum in der Arbeit nur so
    148 weit wie der Verhandlungsspielraum, den die Arbeitspersonen
    149 individuell oder kollektiv über die Kontextbedingungen der
    150 Arbeit tatsächlich besitzen ...“ (Brödner 2002, S. 524). Ob
    151 Beschäftigte die mit der digitalen Technik verbundenen
    152 höheren Freiheitsgrade auch tatsächlich zu ihrem eigenen
    153 Nutzen realisieren können, hängt insoweit stark davon ab,
    154 über welche Rechte und Ressourcen sie verfügen und in
    155 welchem Ausmaß sie eigenständige Entscheidungen gegen
    156 Zielvorgaben und Leistungs- und Präsenzforderungen von
    157 Vorgesetzten oder Auftraggebern durchzusetzen vermögen.
    158 Sind diese Voraussetzungen hingegen gegeben, so könnten aus
    159 der Digitalisierung der Arbeit wichtige Impulse zu ihrer
    160 Humanisierung entstehen. Derzeit überwiegt jedoch noch der
    161 Eindruck, dass die vorhandenen Spielräume für besseres und
    162 selbstbestimmteres Arbeiten im Netz bislang nur für einen
    163 relativ kleinen Teil der Erwerbstätigen Realität geworden
    164 ist.
    165
    166 Die entgrenzenden Effekte digitaler Vernetzung lassen die
    167 im industriegesellschaftlichen Alltag selbstverständlich
    168 gewordene Separierung von beruflicher und privater Sphäre
    169 zunehmend brüchig werden. Auch diese Entwicklung ist
    170 zwischenzeitlich zum Massenphänomen geworden: „Durch
    171 Internet und Handy sind für viele Menschen die Grenzen
    172 zwischen ihrer Arbeit und ihrem Privatleben gefallen. Das
    173 bestätigt fast jeder zweite Berufstätige in Deutschland (43
    174 Prozent), wie aus einer Studie des BITKOM hervorgeht. Für
    175 31 Prozent von ihnen überwiegen dabei die positiven Seiten,
    176 16 Prozent bewerten die Entwicklung eher negativ. Der Rest,
    177 also 53 Prozent, betont gleichermaßen gute wie schlechte
    178 Seiten.“ (BITKOM 2010b) Da Grenzen einerseits einengen,
    179 andererseits aber auch Schutz geben und Stabilität
    180 garantieren, wirkt Entgrenzung in ambivalenter Weise sowohl
    181 befreiend als auch herausfordernd. Sollen die neuen
    182 Freiheiten orts- und zeitflexibler Erwerbstätigkeit nicht
    183 zu neuen Belastungen führen, weil die Arbeit zunehmend das
    184 Privatleben überschattet und ein „Abschalten“ schwer fällt,
    185 so müssen die Beschäftigten über Kompetenzen und
    186 Möglichkeiten verfügen, neue Grenzen zu ziehen. Gefragt ist
    187 hier insbesondere „die Fähigkeit zur Selbstorganisation
    188 [...], um den Arbeitsalltag in räumlicher und zeitlicher
    189 Hinsicht zu strukturieren und um die eigene
    190 Erwerbstätigkeit in ein individuell passendes Verhältnis
    191 zur häuslichen Privatsphäre zu setzen. Ist diese Fähigkeit
    192 nicht vorhanden, wird die freie Zeiteinteilung nicht als
    193 Handlungsspielraum, sondern als anstrengend und die
    194 Arbeitssituation als unbefriedigend empfunden.“ (von Streit
    195 2011, S. 239) Die Bewältigung dieser Herausforderung wird
    196 den Betroffenen nicht abgenommen werden können – wohl aber
    197 ist es eine arbeitspolitische Aufgabe, sie durch adäquate
    198 Qualifikationsangebote beim Aufbau entsprechender
    199 Ressourcen zu unterstützen und nötigenfalls auch
    200 regulatorische sowie technische Flankierungen für
    201 belastungsreduzierende Grenzziehungen bereitzustellen.
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