Papier: 3.2.2 Akteursperspektiven: Freiberufler , Angestellte, Unternehmer, Wissenschaftler: Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten
Originalversion
1 | Die durch die digitale Vernetzung ausgelösten Veränderungen |
2 | vollziehen sich in einer Arbeitswelt, die durch ein hohes |
3 | Maß an Heterogenität gekennzeichnet ist. Auch wenn der |
4 | technische Umbruch faktisch kein Segment der Erwerbssphäre |
5 | unberührt lässt, so dürfte er deshalb in seinen Wirkungen |
6 | für unterschiedliche Akteure unterschiedlich ausfallen, |
7 | zumindest unterschiedlich wahrgenommen werden. |
8 | Differenzierend wirken können in dieser Hinsicht |
9 | verschiedene Faktoren, wie etwa die Frage, ob man einer |
10 | selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgeht oder abhängig |
11 | beschäftigt ist, wie sicher gegebenenfalls diese |
12 | Beschäftigung und wie hoch die eigene Qualifikation ist. |
13 | Auch das Einkommen und die Zugehörigkeit zu bestimmten |
14 | Branchen spielen eine Rolle. Insgesamt ist zu beobachten, |
15 | dass Wissensarbeiter, sogenannte Knowledge Worker, in fast |
16 | allen Arbeitsbereichen stark auf dem Vormarsch sind. Sie |
17 | agieren als Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, |
18 | sind meist als Angestellte beschäftigt, teilweise jedoch |
19 | auch selbstständig tätig, und arbeiten mit einer starken |
20 | intrinsischen Motivation, weshalb die Arbeit häufig im |
21 | Privaten noch fortgesetzt wird. |
22 | |
23 | Aufgrund der gestiegenen Anforderungen der Arbeit an die |
24 | Kreativität der Mitarbeiter gibt es in den Unternehmen |
25 | zunehmend Erwerbstätige, die sich in die betrieblichen |
26 | Abläufe einzubringen versuchen, häufig besonders verlässlich |
27 | und fleißig arbeiten, aber auch leicht resignieren, wenn |
28 | ihre Vorschläge nicht aufgegriffen werden. [FN: Diese werden |
29 | auch mit dem Begriff des „loyalen Störers“ bezeichnet. So |
30 | unterscheidet Friebe zum Beispiel elf „Cluster“ solcher |
31 | „Workstyles“, „die sich maßgeblich über ihr Mindset in Bezug |
32 | auf die eigene Arbeit unterscheiden“: Corporate High Flyers, |
33 | Knowledge Workers, Digitale Bohème, Loyale Störer, |
34 | Intermediäre, Job Hopper, Kreative Downshifter, Working |
35 | Middle, Passivisten, Prekaristen und Neue Spezialisten. Vgl. |
36 | Friebe, Holm: Workstyles. In: Trend Update 11/2011.] Ein |
37 | weiterer, nicht zu übersehender Trend ist der wachsende |
38 | Bedarf an Spezialisten in allen Bereichen der Arbeitswelt. |
39 | Zunehmend arbeiten diese als Selbstständige auf einem |
40 | weltweiten Markt, häufig im Rahmen outgesourcter Projekte. |
41 | Mittlerweile betrifft dies freiberufliche Programmierer |
42 | ebenso wie Spezialisten, die auf Ölbohrplattformen |
43 | eingesetzt werden. [FN: Der Schweizer Sozialwissenschaftler |
44 | Daniel Oesch grenzt etwa vier „Arbeitslogiken“ voneinander |
45 | ab: Die „interpersonelle“, die „technische“, die |
46 | „organisatorische“ und die „selbstständige“ und kombiniert |
47 | diese mit Qualifikationsrängen und weiteren Merkmalen. Im |
48 | Ergebnis kommt er auf eine siebzehn „Erwerbsklassen“ |
49 | umfassende Gesamtsystematik. Vgl. hierzu ausführlich Vester, |
50 | Michael/Teiwes-Kügler, Cristel/Lange-Vester, Andrea: Die |
51 | neuen Arbeitnehmer. 2007, S. 58 ff. ] |
52 | |
53 | Den Differenzen einer Arbeitswelt, die sowohl in objektiver |
54 | Hinsicht als aus hinsichtlich der subjektiven |
55 | Erwerbsorientierungen sehr heterogen ist, gilt es bei der |
56 | Analyse digitaler Arbeit – und mehr noch bei Initiativen zu |
57 | ihrer Gestaltung – Rechnung zu tragen: Die Potenziale und |
58 | Probleme orts- und zeitflexibler Tätigkeit stellen sich |
59 | beispielsweise unter Konstellationen abhängiger |
60 | Beschäftigung anders dar als bei solo-selbstständigen |
61 | Auftragnehmern der Kreativwirtschaft. Eine Untersuchung des |
62 | DIW Berlin [FN: Vgl. Brenke, Karl: Anhaltender |
63 | Strukturwandel zur Teilzeitbeschäftigung. DIW Wochenbericht |
64 | 42/2011. Abrufbar unter: |
65 | http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.387388 |
66 | .de/11-42.pdf ] zeigt, dass es in Deutschland zwar immer |
67 | mehr Erwerbstätige gibt, dass aber zugleich die |
68 | Vollbeschäftigung ab- und die Teilzeitbeschäftigung zunimmt. |
69 | Setzt sich diese Entwicklung fort, wird der Normalfall des |
70 | unbefristet Beschäftigten zum Ausnahmefall werden. Da auch |
71 | die Zahl der Selbstständigen stetig ansteigt, erscheint es |
72 | plausibel, dass hiermit eine gewandelte Einstellung zur |
73 | eigenen Arbeit einhergeht. |
74 | |
75 | Es wächst das Bedürfnis, die eigenen Arbeitsbedingungen |
76 | einer möglichst selbstbestimmten Work-Life-Balance |
77 | entsprechend gestalten zu können. Phasen, in denen der |
78 | Einzelne mehr Zeit für die persönliche Lebensgestaltung |
79 | benötigt, wechseln heutzutage oft ab mit solchen, in denen |
80 | die Arbeit im Vordergrund steht. Wenn solche phasenweisen |
81 | Wechsel im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber beziehungsweise |
82 | Auftraggeber geplant werden können, erlauben sie den |
83 | Betroffenen mehr persönliche Flexibilität, als dies bei |
84 | festgelegten Arbeitszeiten der Fall ist. Unternehmen, die |
85 | stark projektbezogen wirtschaften, profitieren von solcher |
86 | Flexibilität ebenfalls. |
87 | |
88 | Kaum mehr zu übersehen ist weiterhin die Tendenz zur |
89 | Markenbildung als Voraussetzung wirtschaftlichen Erfolgs in |
90 | der Erwerbsgesellschaft. Die von Markus Albers als |
91 | „Meconomy“ [FN: Vgl. Albers, Markus: Meconomy. 2009. ] |
92 | bezeichnete Tendenz zur Selbstvermarktung kann man als |
93 | Reaktion darauf verstehen, dass sich Loyalität und Fleiß |
94 | heute nicht mehr auszahlen, genauer gesagt: im Ernstfall |
95 | nicht vor der drohenden Prekarisierung bewahren. Der |
96 | Einzelne ist aufgerufen, die eigenen Stärken und Schwächen |
97 | selbst zu erkennen und die eigene Arbeit entsprechend |
98 | solcher Selbstanalyse zu organisieren, statt auf die |
99 | Vorgaben eines Arbeitgebers zu warten. Die gesellschaftliche |
100 | Spaltung zwischen jenen, die dazu in der Lage sind, und |
101 | jenen, die in dem damit verbundenen Konkurrenzkampf auf der |
102 | Strecke bleiben, nimmt stetig zu. |
103 | |
104 | Auch in anderen Bereichen sind gleichermaßen Chancen wie |
105 | Risiken zu erkennen: Die Werkzeuge der Ideenökonomie stehen |
106 | heute allen zur Verfügung. Das gemeinsame Arbeiten auf |
107 | kollaborativen Plattformen ist nicht mehr nur, wie etwa bei |
108 | Projekten wie der Wikipedia, eine Freizeitbeschäftigung, |
109 | sondern längst zu einem wichtigen Produktionsfaktor |
110 | geworden. Plattformen wie jovoto.com, wo Kreativschaffende |
111 | in einen Wettbewerb um die besten Designideen treten können, |
112 | die hernach von Unternehmen aufgekauft werden, sind ein |
113 | typisches Beispiel für solche Wikinomics. Die Globalisierung |
114 | der Arbeitswelt erreicht vor diesem Hintergrund eine neue |
115 | Dimension, sowohl was die Produktivitätssteigerung betrifft, |
116 | als auch was das Schicksal klassischer Mitbestimmungsrechte |
117 | anbelangt. |
118 | Auch große Unternehmen werden in der Regel, wenn sie |
119 | konkurrenzfähig bleiben wollen, zunehmend an solche |
120 | dezentralisierten Arbeitsstrukturen anknüpfen müssen – |
121 | insbesondere unter dem Aspekt der Gewinnung qualifizierter |
122 | Fachkräfte. Dies kann sich darin niederschlagen, dass |
123 | Stammbelegschaften weiter schrumpfen werden, weil Projekte |
124 | zunehmend an freie Mitarbeiter ausgelagert werden. Damit |
125 | wird sich auch die Rolle der Führungskräfte ändern, die |
126 | zunehmend weniger als Autoritäten im eigenen Betrieb |
127 | benötigt werden als vielmehr zur Koordinierung eines |
128 | inhomogenen Pools von Mitarbeitern, wie Don Tapscott und |
129 | Anthony D. Williams feststellen. [Vgl. Tapscott, |
130 | Don/Williams, Anthony D.: Makrowikinomics. 2010.] |
131 | |
132 | Arbeitspolitik kann vor diesem Hintergrund nicht umhin, sich |
133 | in diesem Spannungsfeld umsichtig zu bewegen und |
134 | unterschiedlichen Zielgruppen jeweils kontextspezifisch |
135 | adäquate Angebote zu machen. Dies gilt insbesondere, aber |
136 | längst nicht nur, für die Differenzen zwischen |
137 | Erwerbstätigen innerhalb und außerhalb des Geltungsbereichs |
138 | des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, mithin |
139 | zwischen klassisch abhängig beschäftigten Arbeitnehmern und |
140 | selbstständigen Freelancern. Während letztere, um es anhand |
141 | zweier gängiger Leitbegriffe zu konkretisieren, vor allem |
142 | ein Mehr an sozialer Sicherheit zu benötigen scheinen, |
143 | dürfte es bei ersteren eher einen Bedarf an mehr Freiheiten |
144 | in der Arbeit geben, die nicht zugleich durch ein Übermaß an |
145 | Belastungen und Überforderungen konterkariert und entwertet |
146 | werden. Arbeitszeit- bzw. Erreichbarkeitsbegrenzungen etwa, |
147 | welche den einen als überfälliger Schutz vor endlosen |
148 | Verfügbarkeitszumutungen des Arbeitgebers willkommen sein |
149 | mögen, könnten von anderen als bevormundende Einschränkung |
150 | persönlicher Autonomie empfunden und abgelehnt, ignoriert |
151 | und umgangen werden. |
152 | |
153 | Angesichts der Heterogenität an Perzeptionen, Bedürfnissen |
154 | und arbeitsrechtlichen Verortungen verschiedener Gruppen von |
155 | Erwerbstätigen kann die Gestaltung und Regulierung digitaler |
156 | Arbeit kaum nach dem Muster eines „one size fits all“ |
157 | erfolgen. Sie sollte vielmehr unterschiedliche Varianten – |
158 | gesetzliche oder kollektivvertragliche Normen, betriebliche |
159 | Vereinbarungen, Codes of Conduct u. ä. – anbieten, die den |
160 | betroffenen Akteuren stets ausreichende Möglichkeiten zur |
161 | Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten und Präferenzen |
162 | lassen. Akzeptanz und Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen |
163 | werden dann höher ausfallen, wenn sie auf der aktiven |
164 | Mitwirkung der Betroffenen an der Konzipierung, Durchsetzung |
165 | und Anwendung basieren. |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Die durch die digitale Vernetzung ausgelösten Veränderungen |
2 | vollziehen sich in einer Arbeitswelt, die durch ein hohes |
3 | Maß an Heterogenität gekennzeichnet ist. Auch wenn der |
4 | technische Umbruch faktisch kein Segment der Erwerbssphäre |
5 | unberührt lässt, so dürfte er deshalb in seinen Wirkungen |
6 | für unterschiedliche Akteure unterschiedlich ausfallen, |
7 | zumindest unterschiedlich wahrgenommen werden. |
8 | Differenzierend wirken können in dieser Hinsicht |
9 | verschiedene Faktoren, wie etwa die Frage, ob man einer |
10 | selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgeht oder abhängig |
11 | beschäftigt ist, wie sicher gegebenenfalls diese |
12 | Beschäftigung und wie hoch die eigene Qualifikation ist. |
13 | Auch das Einkommen und die Zugehörigkeit zu bestimmten |
14 | Branchen spielen eine Rolle. Insgesamt ist zu beobachten, |
15 | dass Wissensarbeiter, sogenannte Knowledge Worker, in fast |
16 | allen Arbeitsbereichen stark auf dem Vormarsch sind. Sie |
17 | agieren als Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, |
18 | sind meist als Angestellte beschäftigt, teilweise jedoch |
19 | auch selbstständig tätig, und arbeiten mit einer starken |
20 | intrinsischen Motivation, weshalb die Arbeit häufig im |
21 | Privaten noch fortgesetzt wird. |
22 | |
23 | Aufgrund der gestiegenen Anforderungen der Arbeit an die |
24 | Kreativität der Mitarbeiter gibt es in den Unternehmen |
25 | zunehmend Erwerbstätige, die sich in die betrieblichen |
26 | Abläufe einzubringen versuchen, häufig besonders verlässlich |
27 | und fleißig arbeiten, aber auch leicht resignieren, wenn |
28 | ihre Vorschläge nicht aufgegriffen werden. [FN: Diese werden |
29 | auch mit dem Begriff des „loyalen Störers“ bezeichnet. So |
30 | unterscheidet Friebe zum Beispiel elf „Cluster“ solcher |
31 | „Workstyles“, „die sich maßgeblich über ihr Mindset in Bezug |
32 | auf die eigene Arbeit unterscheiden“: Corporate High Flyers, |
33 | Knowledge Workers, Digitale Bohème, Loyale Störer, |
34 | Intermediäre, Job Hopper, Kreative Downshifter, Working |
35 | Middle, Passivisten, Prekaristen und Neue Spezialisten. Vgl. |
36 | Friebe, Holm: Workstyles. In: Trend Update 11/2011.] Ein |
37 | weiterer, nicht zu übersehender Trend ist der wachsende |
38 | Bedarf an Spezialisten in allen Bereichen der Arbeitswelt. |
39 | Zunehmend arbeiten diese als Selbstständige auf einem |
40 | weltweiten Markt, häufig im Rahmen outgesourcter Projekte. |
41 | Mittlerweile betrifft dies freiberufliche Programmierer |
42 | ebenso wie Spezialisten, die auf Ölbohrplattformen |
43 | eingesetzt werden. [FN: Der Schweizer Sozialwissenschaftler |
44 | Daniel Oesch grenzt etwa vier „Arbeitslogiken“ voneinander |
45 | ab: Die „interpersonelle“, die „technische“, die |
46 | „organisatorische“ und die „selbstständige“ und kombiniert |
47 | diese mit Qualifikationsrängen und weiteren Merkmalen. Im |
48 | Ergebnis kommt er auf eine siebzehn „Erwerbsklassen“ |
49 | umfassende Gesamtsystematik. Vgl. hierzu ausführlich Vester, |
50 | Michael/Teiwes-Kügler, Cristel/Lange-Vester, Andrea: Die |
51 | neuen Arbeitnehmer. 2007, S. 58 ff. ] |
52 | |
53 | Den Differenzen einer Arbeitswelt, die sowohl in objektiver |
54 | Hinsicht als aus hinsichtlich der subjektiven |
55 | Erwerbsorientierungen sehr heterogen ist, gilt es bei der |
56 | Analyse digitaler Arbeit – und mehr noch bei Initiativen zu |
57 | ihrer Gestaltung – Rechnung zu tragen: Die Potenziale und |
58 | Probleme orts- und zeitflexibler Tätigkeit stellen sich |
59 | beispielsweise unter Konstellationen abhängiger |
60 | Beschäftigung anders dar als bei solo-selbstständigen |
61 | Auftragnehmern der Kreativwirtschaft. Eine Untersuchung des |
62 | DIW Berlin [FN: Vgl. Brenke, Karl: Anhaltender |
63 | Strukturwandel zur Teilzeitbeschäftigung. DIW Wochenbericht |
64 | 42/2011. Abrufbar unter: |
65 | http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.387388 |
66 | .de/11-42.pdf ] zeigt, dass es in Deutschland zwar immer |
67 | mehr Erwerbstätige gibt, dass aber zugleich die |
68 | Vollbeschäftigung ab- und die Teilzeitbeschäftigung zunimmt. |
69 | Setzt sich diese Entwicklung fort, wird der Normalfall des |
70 | unbefristet Beschäftigten zum Ausnahmefall werden. Da auch |
71 | die Zahl der Selbstständigen stetig ansteigt, erscheint es |
72 | plausibel, dass hiermit eine gewandelte Einstellung zur |
73 | eigenen Arbeit einhergeht. |
74 | |
75 | Es wächst das Bedürfnis, die eigenen Arbeitsbedingungen |
76 | einer möglichst selbstbestimmten Work-Life-Balance |
77 | entsprechend gestalten zu können. Phasen, in denen der |
78 | Einzelne mehr Zeit für die persönliche Lebensgestaltung |
79 | benötigt, wechseln heutzutage oft ab mit solchen, in denen |
80 | die Arbeit im Vordergrund steht. Wenn solche phasenweisen |
81 | Wechsel im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber beziehungsweise |
82 | Auftraggeber geplant werden können, erlauben sie den |
83 | Betroffenen mehr persönliche Flexibilität, als dies bei |
84 | festgelegten Arbeitszeiten der Fall ist. Unternehmen, die |
85 | stark projektbezogen wirtschaften, profitieren von solcher |
86 | Flexibilität ebenfalls. |
87 | |
88 | Kaum mehr zu übersehen ist weiterhin die Tendenz zur |
89 | Markenbildung als Voraussetzung wirtschaftlichen Erfolgs in |
90 | der Erwerbsgesellschaft. Die von Markus Albers als |
91 | „Meconomy“ [FN: Vgl. Albers, Markus: Meconomy. 2009. ] |
92 | bezeichnete Tendenz zur Selbstvermarktung kann man als |
93 | Reaktion darauf verstehen, dass sich Loyalität und Fleiß |
94 | heute nicht mehr auszahlen, genauer gesagt: im Ernstfall |
95 | nicht vor der drohenden Prekarisierung bewahren. Der |
96 | Einzelne ist aufgerufen, die eigenen Stärken und Schwächen |
97 | selbst zu erkennen und die eigene Arbeit entsprechend |
98 | solcher Selbstanalyse zu organisieren, statt auf die |
99 | Vorgaben eines Arbeitgebers zu warten. Die gesellschaftliche |
100 | Spaltung zwischen jenen, die dazu in der Lage sind, und |
101 | jenen, die in dem damit verbundenen Konkurrenzkampf auf der |
102 | Strecke bleiben, nimmt stetig zu. |
103 | |
104 | Auch in anderen Bereichen sind gleichermaßen Chancen wie |
105 | Risiken zu erkennen: Die Werkzeuge der Ideenökonomie stehen |
106 | heute allen zur Verfügung. Das gemeinsame Arbeiten auf |
107 | kollaborativen Plattformen ist nicht mehr nur, wie etwa bei |
108 | Projekten wie der Wikipedia, eine Freizeitbeschäftigung, |
109 | sondern längst zu einem wichtigen Produktionsfaktor |
110 | geworden. Plattformen wie jovoto.com, wo Kreativschaffende |
111 | in einen Wettbewerb um die besten Designideen treten können, |
112 | die hernach von Unternehmen aufgekauft werden, sind ein |
113 | typisches Beispiel für solche Wikinomics. Die Globalisierung |
114 | der Arbeitswelt erreicht vor diesem Hintergrund eine neue |
115 | Dimension, sowohl was die Produktivitätssteigerung betrifft, |
116 | als auch was das Schicksal klassischer Mitbestimmungsrechte |
117 | anbelangt. |
118 | Auch große Unternehmen werden in der Regel, wenn sie |
119 | konkurrenzfähig bleiben wollen, zunehmend an solche |
120 | dezentralisierten Arbeitsstrukturen anknüpfen müssen – |
121 | insbesondere unter dem Aspekt der Gewinnung qualifizierter |
122 | Fachkräfte. Dies kann sich darin niederschlagen, dass |
123 | Stammbelegschaften weiter schrumpfen werden, weil Projekte |
124 | zunehmend an freie Mitarbeiter ausgelagert werden. Damit |
125 | wird sich auch die Rolle der Führungskräfte ändern, die |
126 | zunehmend weniger als Autoritäten im eigenen Betrieb |
127 | benötigt werden als vielmehr zur Koordinierung eines |
128 | inhomogenen Pools von Mitarbeitern, wie Don Tapscott und |
129 | Anthony D. Williams feststellen. [Vgl. Tapscott, |
130 | Don/Williams, Anthony D.: Makrowikinomics. 2010.] |
131 | |
132 | Arbeitspolitik kann vor diesem Hintergrund nicht umhin, sich |
133 | in diesem Spannungsfeld umsichtig zu bewegen und |
134 | unterschiedlichen Zielgruppen jeweils kontextspezifisch |
135 | adäquate Angebote zu machen. Dies gilt insbesondere, aber |
136 | längst nicht nur, für die Differenzen zwischen |
137 | Erwerbstätigen innerhalb und außerhalb des Geltungsbereichs |
138 | des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, mithin |
139 | zwischen klassisch abhängig beschäftigten Arbeitnehmern und |
140 | selbstständigen Freelancern. Während letztere, um es anhand |
141 | zweier gängiger Leitbegriffe zu konkretisieren, vor allem |
142 | ein Mehr an sozialer Sicherheit zu benötigen scheinen, |
143 | dürfte es bei ersteren eher einen Bedarf an mehr Freiheiten |
144 | in der Arbeit geben, die nicht zugleich durch ein Übermaß an |
145 | Belastungen und Überforderungen konterkariert und entwertet |
146 | werden. Arbeitszeit- bzw. Erreichbarkeitsbegrenzungen etwa, |
147 | welche den einen als überfälliger Schutz vor endlosen |
148 | Verfügbarkeitszumutungen des Arbeitgebers willkommen sein |
149 | mögen, könnten von anderen als bevormundende Einschränkung |
150 | persönlicher Autonomie empfunden und abgelehnt, ignoriert |
151 | und umgangen werden. |
152 | |
153 | Angesichts der Heterogenität an Perzeptionen, Bedürfnissen |
154 | und arbeitsrechtlichen Verortungen verschiedener Gruppen von |
155 | Erwerbstätigen kann die Gestaltung und Regulierung digitaler |
156 | Arbeit kaum nach dem Muster eines „one size fits all“ |
157 | erfolgen. Sie sollte vielmehr unterschiedliche Varianten – |
158 | gesetzliche oder kollektivvertragliche Normen, betriebliche |
159 | Vereinbarungen, Codes of Conduct u. ä. – anbieten, die den |
160 | betroffenen Akteuren stets ausreichende Möglichkeiten zur |
161 | Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten und Präferenzen |
162 | lassen. Akzeptanz und Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen |
163 | werden dann höher ausfallen, wenn sie auf der aktiven |
164 | Mitwirkung der Betroffenen an der Konzipierung, Durchsetzung |
165 | und Anwendung basieren. |
-
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