1 | Die durch die digitale Vernetzung ausgelösten Veränderungen |
2 | vollziehen sich in einer Arbeitswelt, die durch ein hohes |
3 | Maß an Heterogenität gekennzeichnet ist. Auch wenn der |
4 | technische Umbruch faktisch kein Segment der Erwerbssphäre |
5 | unberührt lässt, so dürfte er deshalb in seinen Wirkungen |
6 | für unterschiedliche Akteure unterschiedlich ausfallen, |
7 | zumindest unterschiedlich wahrgenommen werden. |
8 | Differenzierend wirken können in dieser Hinsicht |
9 | verschiedene Faktoren, wie etwa die Frage, ob man einer |
10 | selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgeht oder abhängig |
11 | beschäftigt ist, wie sicher gegebenenfalls diese |
12 | Beschäftigung und wie hoch die eigene Qualifikation ist. |
13 | Auch das Einkommen und die Zugehörigkeit zu bestimmten |
14 | Branchen spielen eine Rolle. Insgesamt ist zu beobachten, |
15 | dass Wissensarbeiter, sogenannte Knowledge Worker, in fast |
16 | allen Arbeitsbereichen stark auf dem Vormarsch sind. Sie |
17 | agieren als Mittler zwischen Wissenschaft und Wirtschaft, |
18 | sind meist als Angestellte beschäftigt, teilweise jedoch |
19 | auch selbstständig tätig, und arbeiten mit einer starken |
20 | intrinsischen Motivation, weshalb die Arbeit häufig im |
21 | Privaten noch fortgesetzt wird. |
22 | |
23 | Aufgrund der gestiegenen Anforderungen der Arbeit an die |
24 | Kreativität der Mitarbeiter gibt es in den Unternehmen |
25 | zunehmend Erwerbstätige, die sich in die betrieblichen |
26 | Abläufe einzubringen versuchen, häufig besonders |
27 | verlässlich und fleißig arbeiten, aber auch leicht |
28 | resignieren, wenn ihre Vorschläge nicht aufgegriffen |
29 | werden. [FN: Diese werden auch mit dem Begriff des „loyalen |
30 | Störers“ bezeichnet. So unterscheidet Friebe zum Beispiel |
31 | elf „Cluster“ solcher „Workstyles“, „die sich maßgeblich |
32 | über ihr Mindset in Bezug auf die eigene Arbeit |
33 | unterscheiden“: Corporate High Flyers, Knowledge Workers, |
34 | Digitale Bohème, Loyale Störer, Intermediäre, Job Hopper, |
35 | Kreative Downshifter, Working Middle, Passivisten, |
36 | Prekaristen und Neue Spezialisten. Vgl. Friebe, Holm: |
37 | Workstyles. In: Trend Update 11/2011.] Ein weiterer, nicht |
38 | zu übersehender Trend ist der wachsende Bedarf an |
39 | Spezialisten in allen Bereichen der Arbeitswelt. Zunehmend |
40 | arbeiten diese als Selbstständige auf einem weltweiten |
41 | Markt, häufig im Rahmen outgesourcter Projekte. |
42 | Mittlerweile betrifft dies freiberufliche Programmierer |
43 | ebenso wie Spezialisten, die auf Ölbohrplattformen |
44 | eingesetzt werden. [FN: Der Schweizer Sozialwissenschaftler |
45 | Daniel Oesch grenzt etwa vier „Arbeitslogiken“ voneinander |
46 | ab: Die „interpersonelle“, die „technische“, die |
47 | „organisatorische“ und die „selbstständige“ und kombiniert |
48 | diese mit Qualifikationsrängen und weiteren Merkmalen. Im |
49 | Ergebnis kommt er auf eine siebzehn „Erwerbsklassen“ |
50 | umfassende Gesamtsystematik. Vgl. hierzu ausführlich |
51 | Vester, Michael/Teiwes-Kügler, Cristel/Lange-Vester, |
52 | Andrea: Die neuen Arbeitnehmer. 2007, S. 58 ff. ] |
53 | |
54 | Den Differenzen einer Arbeitswelt, die sowohl in objektiver |
55 | Hinsicht als aus hinsichtlich der subjektiven |
56 | Erwerbsorientierungen sehr heterogen ist, gilt es bei der |
57 | Analyse digitaler Arbeit – und mehr noch bei Initiativen zu |
58 | ihrer Gestaltung – Rechnung zu tragen: Die Potenziale und |
59 | Probleme orts- und zeitflexibler Tätigkeit stellen sich |
60 | beispielsweise unter Konstellationen abhängiger |
61 | Beschäftigung anders dar als bei solo-selbstständigen |
62 | Auftragnehmern der Kreativwirtschaft. Eine Untersuchung des |
63 | DIW Berlin [FN: Vgl. Brenke, Karl: Anhaltender |
64 | Strukturwandel zur Teilzeitbeschäftigung. DIW Wochenbericht |
65 | 42/2011. Abrufbar unter: |
66 | http://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.387388 |
67 | .de/11-42.pdf ] zeigt, dass es in Deutschland zwar immer |
68 | mehr Erwerbstätige gibt, dass aber zugleich die |
69 | Vollbeschäftigung ab- und die Teilzeitbeschäftigung |
70 | zunimmt. Setzt sich diese Entwicklung fort, wird der |
71 | Normalfall des unbefristet Beschäftigten zum Ausnahmefall |
72 | werden. Da auch die Zahl der Selbstständigen stetig |
73 | ansteigt, erscheint es plausibel, dass hiermit eine |
74 | gewandelte Einstellung zur eigenen Arbeit einhergeht. |
75 | |
76 | Es wächst das Bedürfnis, die eigenen Arbeitsbedingungen |
77 | einer möglichst selbstbestimmten Work-Life-Balance |
78 | entsprechend gestalten zu können. Phasen, in denen der |
79 | Einzelne mehr Zeit für die persönliche Lebensgestaltung |
80 | benötigt, wechseln heutzutage oft ab mit solchen, in denen |
81 | die Arbeit im Vordergrund steht. Wenn solche phasenweisen |
82 | Wechsel im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber beziehungsweise |
83 | Auftraggeber geplant werden können, erlauben sie den |
84 | Betroffenen mehr persönliche Flexibilität, als dies bei |
85 | festgelegten Arbeitszeiten der Fall ist. Unternehmen, die |
86 | stark projektbezogen wirtschaften, profitieren von solcher |
87 | Flexibilität ebenfalls. |
88 | |
89 | Kaum mehr zu übersehen ist weiterhin die Tendenz zur |
90 | Markenbildung als Voraussetzung wirtschaftlichen Erfolgs in |
91 | der Erwerbsgesellschaft. Die von Markus Albers als |
92 | „Meconomy“ [FN: Vgl. Albers, Markus: Meconomy. 2009. ] |
93 | bezeichnete Tendenz zur Selbstvermarktung kann man als |
94 | Reaktion darauf verstehen, dass sich Loyalität und Fleiß |
95 | heute nicht mehr auszahlen, genauer gesagt: im Ernstfall |
96 | nicht vor der drohenden Prekarisierung bewahren. Der |
97 | Einzelne ist aufgerufen, die eigenen Stärken und Schwächen |
98 | selbst zu erkennen und die eigene Arbeit entsprechend |
99 | solcher Selbstanalyse zu organisieren, statt auf die |
100 | Vorgaben eines Arbeitgebers zu warten. Die |
101 | gesellschaftliche Spaltung zwischen jenen, die dazu in der |
102 | Lage sind, und jenen, die in dem damit verbundenen |
103 | Konkurrenzkampf auf der Strecke bleiben, nimmt stetig zu. |
104 | |
105 | Auch in anderen Bereichen sind gleichermaßen Chancen wie |
106 | Risiken zu erkennen: Die Werkzeuge der Ideenökonomie stehen |
107 | heute allen zur Verfügung. Das gemeinsame Arbeiten auf |
108 | kollaborativen Plattformen ist nicht mehr nur, wie etwa bei |
109 | Projekten wie der Wikipedia, eine Freizeitbeschäftigung, |
110 | sondern längst zu einem wichtigen Produktionsfaktor |
111 | geworden. Plattformen wie jovoto.com, wo Kreativschaffende |
112 | in einen Wettbewerb um die besten Designideen treten |
113 | können, die hernach von Unternehmen aufgekauft werden, sind |
114 | ein typisches Beispiel für solche Wikinomics. Die |
115 | Globalisierung der Arbeitswelt erreicht vor diesem |
116 | Hintergrund eine neue Dimension, sowohl was die |
117 | Produktivitätssteigerung betrifft, als auch was das |
118 | Schicksal klassischer Mitbestimmungsrechte anbelangt. |
119 | Auch große Unternehmen werden in der Regel, wenn sie |
120 | konkurrenzfähig bleiben wollen, zunehmend an solche |
121 | dezentralisierten Arbeitsstrukturen anknüpfen müssen – |
122 | insbesondere unter dem Aspekt der Gewinnung qualifizierter |
123 | Fachkräfte. Dies kann sich darin niederschlagen, dass |
124 | Stammbelegschaften weiter schrumpfen werden, weil Projekte |
125 | zunehmend an freie Mitarbeiter ausgelagert werden. Damit |
126 | wird sich auch die Rolle der Führungskräfte ändern, die |
127 | zunehmend weniger als Autoritäten im eigenen Betrieb |
128 | benötigt werden als vielmehr zur Koordinierung eines |
129 | inhomogenen Pools von Mitarbeitern, wie Don Tapscott und |
130 | Anthony D. Williams feststellen. [Vgl. Tapscott, |
131 | Don/Williams, Anthony D.: Makrowikinomics. 2010.] |
132 | |
133 | Arbeitspolitik kann vor diesem Hintergrund nicht umhin, |
134 | sich in diesem Spannungsfeld umsichtig zu bewegen und |
135 | unterschiedlichen Zielgruppen jeweils kontextspezifisch |
136 | adäquate Angebote zu machen. Dies gilt insbesondere, aber |
137 | längst nicht nur, für die Differenzen zwischen |
138 | Erwerbstätigen innerhalb und außerhalb des Geltungsbereichs |
139 | des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, mithin |
140 | zwischen klassisch abhängig beschäftigten Arbeitnehmern und |
141 | selbstständigen Freelancern. Während letztere, um es anhand |
142 | zweier gängiger Leitbegriffe zu konkretisieren, vor allem |
143 | ein Mehr an sozialer Sicherheit zu benötigen scheinen, |
144 | dürfte es bei ersteren eher einen Bedarf an mehr Freiheiten |
145 | in der Arbeit geben, die nicht zugleich durch ein Übermaß |
146 | an Belastungen und Überforderungen konterkariert und |
147 | entwertet werden. Arbeitszeit- bzw. |
148 | Erreichbarkeitsbegrenzungen etwa, welche den einen als |
149 | überfälliger Schutz vor endlosen Verfügbarkeitszumutungen |
150 | des Arbeitgebers willkommen sein mögen, könnten von anderen |
151 | als bevormundende Einschränkung persönlicher Autonomie |
152 | empfunden und abgelehnt, ignoriert und umgangen werden. |
153 | |
154 | Angesichts der Heterogenität an Perzeptionen, Bedürfnissen |
155 | und arbeitsrechtlichen Verortungen verschiedener Gruppen |
156 | von Erwerbstätigen kann die Gestaltung und Regulierung |
157 | digitaler Arbeit kaum nach dem Muster eines „one size fits |
158 | all“ erfolgen. Sie sollte vielmehr unterschiedliche |
159 | Varianten – gesetzliche oder kollektivvertragliche Normen, |
160 | betriebliche Vereinbarungen, Codes of Conduct u. ä. – |
161 | anbieten, die den betroffenen Akteuren stets ausreichende |
162 | Möglichkeiten zur Anpassung an die jeweiligen Gegebenheiten |
163 | und Präferenzen lassen. Akzeptanz und Wirksamkeit |
164 | entsprechender Maßnahmen werden dann höher ausfallen, wenn |
165 | sie auf der aktiven Mitwirkung der Betroffenen an der |
166 | Konzipierung, Durchsetzung und Anwendung basieren. |
167 | |
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3.2.2 Akteursperspektiven: Freiberufler , Angestellte, Unternehmer, Wissenschaftler: Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten (Originalversion)
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3.2.2 Akteursperspektiven: Freiberufler , Angestellte, Unternehmer, Wissenschaftler: Arbeitsplätze und Beschäftigungsmöglichkeiten (Originalversion)
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