Papier: 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - Teil 3
Originalversion
1 | Der Gliederungspunkt 2.2.1 umfasst im Arbeitsprogramm |
2 | mehrere Spiegelstriche mit verschiedenen Aspekten. Zu den |
3 | Punkten Digitalisierung als Produktionsfaktor, Rolle von |
4 | Algorithmen etwa beim Börsenhandel, bei den Empfehlungen von |
5 | Handelsportalen, in der Kreativwirtschaft (Contentfarmen) |
6 | hat sich die Projektgruppe in ihrer Sitzung vom 21.11.2011 |
7 | auf den folgenden Text verständigt: |
8 | |
9 | |
10 | (Bitte beachten Sie auch |
11 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
12 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
13 | Teil 2) |
14 | |
15 | |
16 | 3. Börse |
17 | |
18 | „Vorstellbar wäre sogar, dass alle Handelsteilnehmer ihre |
19 | Aufträge von Algorithmen abarbeiten lassen.“ |
20 | (Frank Gerstenschläger, Vorstand Kassamarkt der Deutsche |
21 | Börse AG, FAZ 16.04.2009 [FN: |
22 | http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/im-gespraech-fran |
23 | k-gerstenschlaeger-vorstand-kassamarkt-der-deutsche-boerse-a |
24 | g-das-boersenparkett-wird-bestehen-bleiben-1781458.html ]) |
25 | |
26 | Während der Handel auf den Aktienmärkten traditionellerweise |
27 | von Händlern betrieben wurde, die Kaufs- und |
28 | Verkaufsaufträge zunächst per Zuruf, später per Mausklick |
29 | zur Ausführung brachten, sind mittlerweile große Teile des |
30 | Börsenhandels automatisiert. Im Rahmen des sogenannten |
31 | Algo-Tradings, des Hochgeschwindigkeitshandels, sind es |
32 | Computer, die auf der Grundlage von Algorithmen |
33 | „Entscheidungen“ über Käufe und Verkäufe von Aktien treffen. |
34 | Während im Jahr 2007 nur 50% des weltweiten Aktienhandels |
35 | auf den Hochgeschwindigkeitshandel entfielen [FN: |
36 | http://www.zew.de/de/presse/1429/algo-trading-birgt-risiken- |
37 | fuer-die-stabilitaet-der-finanzmaerkte ], waren es im Jahr |
38 | 2009 bereits 70%. [FN: |
39 | http://www.themistrading.com/article_files/0000/0475/THEM_-- |
40 | _Why_Institutional_Investors_Should_Be_Concerned_About_High_ |
41 | Frequency_Traders_--_Final.pdf ] Für das deutsche |
42 | Handelssystem Xetra geht man im Jahr 2011 von einem 60%igen |
43 | Anteil aus. [FN: |
44 | http://boerse.ard.de/content.jsp?key=dokument_554502] Der |
45 | hohe Anteil des Algotradings am Gesamthandel wird als eine |
46 | Gefahr für die Stabilität der Aktienmärkte gesehen. Einer im |
47 | April 2010 veröffentlichten Befragung des Mannheimer |
48 | Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zufolge |
49 | vermuten 68% der Finanzmarktexperten einen negativen bis |
50 | sehr negativen Einfluss auf die Stabilität der Finanzmärkte. |
51 | [FN: ZEW Finanzmarktreport 18. Jg. April 2010, S. 3.] |
52 | |
53 | Wie Algotrading funktioniert, haben Sal L. Arnuk und Joseph |
54 | Saluzzi im Dezember 2008 in einem vielbeachteten Whitepaper |
55 | erklärt. [FN: |
56 | http://www.themistrading.com/article_files/0000/0348/Toxic_E |
57 | quity_Trading_on_Wall_Street_12-17-08.pdf ] Institutionelle |
58 | Anleger, etwa Fonds oder Banken, kaufen oder verkaufen, wenn |
59 | sie Investitionsentscheidungen treffen, typischerweise nicht |
60 | nur eine Handvoll Aktien, sondern große Volumina. Händler |
61 | geben diese Aufträge in ein automatisiertes Handelssystem |
62 | ein. Um eine Order erfolgreich und möglichst günstig |
63 | ausführen zu können, wird sie in mehrere kleine Teile |
64 | aufgesplittet. Solche Orders sind daran zu erkennen, dass |
65 | sie typischerweise Volumina von 100 oder 500 Stück umfassen. |
66 | Wenn also ein Handelssystem von einem institutionellen |
67 | Anleger den Auftrag erhält, eine große Menge Aktien zu einem |
68 | Preis von bis zu 20,05 Euro zu erwerben, platziert dieses |
69 | möglicherweise zunächst eine Kauforder für nur 100 Aktien. |
70 | Gelingt es, diese zu einem Stückpreis von 20,00 Euro zu |
71 | erwerben, so platziert das System als nächstes eine |
72 | Kauforder für 500 Stück. Ein Hochgeschwindigkeitsrechner |
73 | kann hieran automatisch erkennen, dass es sich um einen |
74 | großen Kaufauftrag eines institutionellen Anlegers handelt, |
75 | der „scheibchenweise“ ausgeführt werden soll. Bevor der |
76 | Investor damit fortfahren kann, platziert der |
77 | Hochgeschwindigkeitsrechner ein Kaufangebot für 100 Stück |
78 | zum Preis von 20,01 Euro. Da er kurzfristig mehr bietet als |
79 | der institutionelle Anleger, werden die Verkäufer die Aktien |
80 | an ihn verkaufen statt an jenen. Geschieht dies, platziert |
81 | der High-Frequency-Trading-Algorithmus als nächstes ein |
82 | Verkaufsangebot zum Preis von 20,01 Euro und verkauft die |
83 | Aktien an den institutionellen Investor weiter. Dieser hat |
84 | also einen Cent pro Aktie mehr gezahlt als er ohne Zutun des |
85 | HFT-Algos hätte zahlen müssen, während der HFT-Algorithmus |
86 | zum gleichen Preis gekauft und verkauft hat. Er hat trotzdem |
87 | einen Gewinn gemacht, weil der Handelsplatz, der an jeder |
88 | Transaktion Gebühren verdient, ihm einen Rabatt von |
89 | beispielsweise einem Viertel Cent gewährt. |
90 | |
91 | Als besonders problematisch gilt der sogenannte |
92 | „Raubtieralgorithmus“. Dabei nutzt der HFT-Algo die oben |
93 | beschriebene Methode, um eine Order als die eines |
94 | institutionellen Anlegers zu identifizieren. Unter |
95 | Ausnutzung seines Liquiditätsrabatts treibt er den Preis |
96 | schrittweise in die Höhe, bis er das vom institutionellen |
97 | Anleger gesetzte Limit erreicht hat. Zu diesem Preis |
98 | vollzieht er dann einen Leerverkauf, im Wissen, dass der |
99 | Kurs mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder fallen wird. Sobald |
100 | dies geschieht, covert er. Innerhalb weniger Sekunden |
101 | können auf diese Weise starke Kursschwankungen entstehen. |
102 | |
103 | Eine weitere beachtenswerte Tradingmethode im HFT-Handel ist |
104 | das Pinging. Es beruht auf der |
105 | Immediate-or-cancel-Systematik, also der Möglichkeit, Orders |
106 | zu platzieren und sie, so sie nicht ausgeführt werden, |
107 | sofort wieder zu annulieren. Die HFT-Algos können dies im |
108 | Bruchteil von Sekunden vollziehen. So sind sie in der Lage, |
109 | versteckte Limits institutioneller Anleger auszutesten. Ein |
110 | institutioneller Anleger ist beispielsweise bereit, Aktien |
111 | zu einem Preis von bis zu 20,03 Euro zu erwerben, bietet |
112 | jedoch zunächst nur 20,00 Euro. Der HFT-Algorithmus |
113 | identifiziert diese Order nach der eingangs beschriebenen |
114 | Methode als die eines institutionellen Anlegers. Alsdann |
115 | platziert er eine Verkaufsorder zum Preis von beispielsweise |
116 | 20,05 Euro. Da kein Verkauf zustande kommt, cancelt er die |
117 | Order und platziert als nächstes ein Verkaufsangebot von |
118 | 20,04 Euro. Wiederum erfolgt keine Reaktion. Der Algorithmus |
119 | geht auf 20,03 Euro, und diesmal wird die Order ausgeführt. |
120 | Der HFT-Algorithmus kennt nun das Oberlimit des |
121 | institutionellen Anlegers. Er wendet sich nun wieder dem |
122 | Markt zu und überbietet dort den institutionellen Anleger um |
123 | einen Cent, kauft also für 20,01 Euro weitere Aktien auf, um |
124 | sie dem institutionellen Anleger für 20,03 Euro |
125 | weiterzuverkaufen. |
126 | |
127 | Sämtliche dieser Tradingmethoden gehen auf Kosten der |
128 | institutionellen Anleger, da sie darauf basieren, einen |
129 | Preis künstlich in die Höhe zu treiben, von einem |
130 | Liquiditätsrabatt zu profitieren und/oder einen |
131 | Geschwindigkeitsvorsprung auszunutzen. Es handelt sich also |
132 | um keine nachhaltige Handelsstrategie. Die ursprüngliche |
133 | Rechtfertigung für das Zulassen solchen Handelns besteht in |
134 | einem vermeintlichen Liquiditätszuwachs. Eine Steigerung der |
135 | Handelsvolumina, wie sie durch HFT unzweifelhaft bewirkt |
136 | werden, wird traditionell als Gewinn an Stabilität |
137 | verstanden, da man davon ausgeht, dass umso mehr Liquidität |
138 | am Markt ist, je mehr gehandelt wird. Dies ist jedoch ein |
139 | Trugschluss. Die für den traditionellen Handel geltende |
140 | Logik lässt sich auf das algorithmenbasierte HFT gerade |
141 | nicht übertragen, da die Hochleistungsrechner im Fall von |
142 | Verlusten dem Markt ihre Liquidität jederzeit wieder |
143 | entziehen. Statt Märkte zu stabilisieren, führt HFT deshalb |
144 | zu einer Destabilisierung des Finanzsystems. |
145 | |
146 | Warum das so ist, wird verständlich, wenn man sich die |
147 | Kettenreaktion ansieht, die im Falle eines nicht |
148 | auszuschließenden Scheiterns der oben beschriebenen |
149 | Tradingstrategien entsteht. Bleiben wir beim Beispiel des |
150 | durch Pinging hochgepushten Kurses. Der letztendliche Erfolg |
151 | dieser Strategie hängt allein davon ab, ob es dem HFT |
152 | gelingt, die zum Zwecke des Weiterverkaufs an den |
153 | institutionellen Anleger erworbenen Aktienvolumina |
154 | tatsächlich zu verkaufen. Es kann nicht ausgeschlossen |
155 | werden, dass der HFT zu viele Aktien erworben hat und nicht |
156 | alle zum erstrebten Preis absetzen kann. Automatisch wird er |
157 | sein Verkaufsangebot dann schrittweise reduzieren. Bietet |
158 | der Markt keine entsprechende Nachfrage, kann es zu |
159 | schnellen Kursstürzen, jedenfalls aber zu starken |
160 | Kursschwankungen kommen. Da institutionelle und Kleinanleger |
161 | auf die von ihnen gehaltenen Positionen in der Regel |
162 | Stop-Loss-Limits gesetzt haben, kommt es bei Erreichen |
163 | dieser Verlustbegrenzung zu massenhaften automatischen |
164 | Verkäufen und damit zu hohen Kapitalverlusten. |
165 | |
166 | Deutlich wurde dies bei dem sogenannten Flash Crash vom 6. |
167 | Mai 2010, als der Dow Jones innerhalb von 25 Minuten um |
168 | 1.000 Punkte abstürzte und dabei Kapitalverluste in Höhe von |
169 | 862 Milliarden Dollar verursachte. Die Aktie von Phillip |
170 | Morris fiel dabei beispielsweise von 49 auf 17 Dollar, bevor |
171 | sie sich wieder „erholte“ und bei 47 Dollar stabilisierte. |
172 | Tausende von Ordern, die mehr als 50% unterhalb des vor dem |
173 | Kurssturz geltenden Kurses ausgeführt wurden, stornierten |
174 | die Handelsplätze nachträglich. Bemerkenswert ist, dass die |
175 | HFT die ihnen zugeschriebene Funktion, im Bedarfsfall |
176 | Liquidität zur Verfügung zu stellen, nicht erfüllten, |
177 | sondern im Gegenteil dem Markt zur Begrenzung eigener |
178 | Verluste Liquidität in hohem Umfang entzogen. |
179 | |
180 | Profiteure des HFT sind neben den entsprechenden Firmen vor |
181 | allem die Börsenplätze. Für sie zahlt sich aus, dass HFT das |
182 | Handelsvolumen künstlich in die Höhe treiben, denn die Börse |
183 | verdient an jeder Order Gebühren. Da jeder Kauforder eines |
184 | HFT eine Verkaufsorder eines anderen Marktteilnehmers |
185 | gegenübersteht (und umgekehrt), lohnt es sich für die Börse, |
186 | den HFT Gebühren zu erlassen und ihnen zudem einen |
187 | Liquiditätsrabatt zu gewähren, der es ihnen ermöglicht, auch |
188 | dann noch Gewinne zu machen, wenn sie zum selben Preis |
189 | verkaufen, wie sie gekauft haben. Manche Börsenbetreiber |
190 | gewähren bis zu einem Viertel eines Pennys pro Aktie Rabatt |
191 | an Broker-Dealer, wenn diese eine Order platzieren, |
192 | verdienen aber daran, dass sie dem Gegenpart, der die Order |
193 | zur Ausführung bringt (also dem jeweiligen Käufer bzw. |
194 | Verkäufer) eine höhere Transaktionsgebühr in Rechnung |
195 | stellen. [FN: Johannes Gomolka: Algorithmic Trading. Analyse |
196 | von computergesteuerten Prozessen im Wertpapierhandel unter |
197 | Verwendung der Multifaktorenregression. Potsdam: |
198 | Universitätsverlag Potsdam 2010, S. 162.] Dieses sogenannte |
199 | Maker-Taker-Modell ist mittlerweile in Europa ebenso üblich |
200 | wie in den USA. Außerdem verdienen die Börsen an der |
201 | Vermietung von sogenannten Co-Location-Spaces. Da der Erfolg |
202 | des HFT zunehmend von der Geschwindigkeit der |
203 | Datenübertragung abhängt, haben auf diesem Gebiet tätige |
204 | Handelsfirmen ein großes Interesse daran, räumlich so nahe |
205 | wie möglich an den Rechenzentren der Handelsplätze selbst |
206 | angesiedelt zu sein. Die Rede ist hier von der Latency |
207 | Arbitrage, also vom Vorteil, den Handelsfirmen allein |
208 | aufgrund ihrer besseren Datenleitung genießen. Der |
209 | Latenzvorteil, den die örtliche Nähe mit sich bringt, hat |
210 | rund um die Börsenplätze fußballfeldgroße Technikclustern |
211 | entstehen lassen. Die NYSE hat beispielsweise 2009 eine 120 |
212 | Quadratmeter große Colocation in New Jersey und eine weitere |
213 | bei London bauen lassen, zu Kosten von 500 Millionen Dollar. |
214 | [FN: The Wall Street Journal, 30. Juli 2009, |
215 | http://www.efinancialnews.com/story/2009-07-31/nyses-fast-tr |
216 | ade-hub-rises-up-in-new-jersey ] Diese Investitionen |
217 | rentieren sich offenbar aufgrund der Mieteinnahmen, die die |
218 | HFT-Firmen zu zahlen bereit sind. Die Miete rentiert sich |
219 | ihrerseits offenbar aufgrund der dadurch erlangten |
220 | Handelsvorteile. |
221 | |
222 | Nicht zuletzt aber verdienen die Börsen an proprietären |
223 | Datafeeds, die sie an die Betreiber der |
224 | Hochgeschwindigkeitsrechner verkaufen. [FN: |
225 | http://blog.themistrading.com/wp-content/uploads/2010/05/THE |
226 | MIS-Data-Theft-On-Wall-Street-05-11-10.pdf ] Hier bietet |
227 | sich ein Vergleich mit sozialen Netzwerken an: So wie |
228 | Facebook Nutzungsdaten der user sammelt, um sie an |
229 | Werbetreibende zu verkaufen, sammeln die Handelsplätze Daten |
230 | ihrer privaten und institutionellen Kunden und verkaufen sie |
231 | als „Direct Feed“ an die HFT-Firmen. In den USA heißen diese |
232 | direct feeds etwa BATS PITCH oder TotalView-ITCH, in |
233 | Deutschland gibt es den AlphaFlash („ultraschnelle |
234 | Wirtschaftsdaten und Ad-hoc-Nachrichten für |
235 | Algo-Trading-Applikationen“) [FN: |
236 | http://deutsche-boerse.com/dbag/dispatch/de/listcontent/gdb_ |
237 | navigation/mda/200_market_data/500_news_services/Content_Fil |
238 | es/news_services_products/mda_sp_alphaflash.htm ], den High |
239 | Performance Xetra Data Feed („all order book updates on an |
240 | un-netted basis as soon as they occur“ ) sowie verschiedene |
241 | andere Angebote. [FN: |
242 | http://deutsche-boerse.com/dbag/dispatch/en/binary/gdb_conte |
243 | nt_pool/imported_files/public_files/10_downloads/50_informat |
244 | ions_services/10_market_data_dissemination/11_information_pr |
245 | oducts/10_spot_market/CEF_ultra_+_Xetra.pdf] Der Vorteil von |
246 | direct data feeds besteht darin, Orderdaten und Volumina der |
247 | Aufträge von institutionellen und Kleinanlegern schon zu |
248 | kennen, bevor sie auf dem jeweiligen Marktplatz platziert |
249 | werden, um die eigene Tradingstrategie darauf ausrichten zu |
250 | können. Ähnlich wie bei Facebook werden bei den gängigen |
251 | feeds die Daten natürlich in anonymisierter Form verkauft, |
252 | jedoch so, dass sie von den Hochleistungsrechnern |
253 | automatisch ausgewertet werden können. So wird es möglich, |
254 | dass beispielsweise eine Kauforder, die eine Bank für einen |
255 | ihrer Privatkunden in das Handelssystem eingibt, noch vor |
256 | der Platzierung am Handelsplatz an einen HFT übermittelt |
257 | wird, der daraufhin ggf. in der oben beschriebenen Weise den |
258 | Preis hochtreiben und die Differenz als Gewinn verbuchen |
259 | kann. |
260 | |
261 | 65% der vom Mannheimer Zentrum für Europäische |
262 | Wirtschaftsforschung befragten Fachleute halten die |
263 | bisherige gesetzliche Regulierung des |
264 | Hochgeschwindigkeitshandels für unzureichend. [FN: ZEW |
265 | Finanzmarktreport 18. Jg. April 2010, S. 3.] Wie die obige |
266 | Beschreibung gezeigt hat, stellen die in der öffentlichen |
267 | Diskussion besonders präsenten Leerverkäufe nur ein |
268 | Teilproblem dar, und selbst dieses Teilproblem ist im |
269 | Wesentlichen ungelöst. So hat beispielsweise der deutsche |
270 | Gesetzgeber das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen stark |
271 | beschränkt, nämlich auf deutsche Aktien und Staatstitel der |
272 | Eurozone sowie Kreditversicherungen auf Staatstitel der |
273 | Eurozone, die keinen Absicherungszwecken dienen, statt ein |
274 | umfassendes Verbot solcher Geschäfte zu beschließen. |
275 | |
276 | Dass die Stabilität der Aktienmärkte für die |
277 | Gesamtwirtschaft eines Landes wie der Weltwirtschaft von |
278 | entscheidender Bedeutung ist, zeigt sich beispielsweise an |
279 | den Versuchen, europäische Volkswirtschaften wie die |
280 | griechische durch sogenannte „Hilfspakete“ vor dem Bankrott |
281 | zu retten. Die Anfälligkeit der internationalen Finanzmärkte |
282 | für Kursstürze und Krisen hängt nicht zuletzt mit dem |
283 | mittlerweile extrem hohen Anteil des Algotradings am |
284 | Gesamthandelsvolumen zusammen. Durch High Frequency Trading |
285 | entsteht die Illusion eines stabilen, gesunden, da mit |
286 | genügend flüssigen Geldmitteln ausgestatteten Kapitalmarkts. |
287 | Tatsächlich hat sich jedoch gezeigt, dass gerade High |
288 | Frequency Trader dem Markt die Liquidität, die sie ihm zur |
289 | Verfügung stellen, jederzeit wieder entziehen, um ihre |
290 | Verluste zu begrenzen. Finanzkrisen haben insofern eine |
291 | Auswirkung auf die Wirtschaft, als die „Rettungsaktionen“ |
292 | nationaler Regierungen letztlich durch Steuergelder |
293 | gegenfinanziert werden müssen. Steigen jedoch die Steuern, |
294 | sinkt der Konsum, was wiederum das Wirtschaftswachstum |
295 | bremst. |
296 | |
297 | |
298 | Bitte beachten Sie auch |
299 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
300 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
301 | Teil 2 |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Der Gliederungspunkt 2.2.1 umfasst im Arbeitsprogramm |
2 | mehrere Spiegelstriche mit verschiedenen Aspekten. Zu den |
3 | Punkten Digitalisierung als Produktionsfaktor, Rolle von |
4 | Algorithmen etwa beim Börsenhandel, bei den Empfehlungen von |
5 | Handelsportalen, in der Kreativwirtschaft (Contentfarmen) |
6 | hat sich die Projektgruppe in ihrer Sitzung vom 21.11.2011 |
7 | auf den folgenden Text verständigt: |
8 | |
9 | |
10 | (Bitte beachten Sie auch |
11 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
12 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
13 | Teil 2) |
14 | |
15 | |
16 | 3. Börse |
17 | |
18 | „Vorstellbar wäre sogar, dass alle Handelsteilnehmer ihre |
19 | Aufträge von Algorithmen abarbeiten lassen.“ |
20 | (Frank Gerstenschläger, Vorstand Kassamarkt der Deutsche |
21 | Börse AG, FAZ 16.04.2009 [FN: |
22 | http://www.faz.net/aktuell/finanzen/aktien/im-gespraech-fran |
23 | k-gerstenschlaeger-vorstand-kassamarkt-der-deutsche-boerse-a |
24 | g-das-boersenparkett-wird-bestehen-bleiben-1781458.html ]) |
25 | |
26 | Während der Handel auf den Aktienmärkten traditionellerweise |
27 | von Händlern betrieben wurde, die Kaufs- und |
28 | Verkaufsaufträge zunächst per Zuruf, später per Mausklick |
29 | zur Ausführung brachten, sind mittlerweile große Teile des |
30 | Börsenhandels automatisiert. Im Rahmen des sogenannten |
31 | Algo-Tradings, des Hochgeschwindigkeitshandels, sind es |
32 | Computer, die auf der Grundlage von Algorithmen |
33 | „Entscheidungen“ über Käufe und Verkäufe von Aktien treffen. |
34 | Während im Jahr 2007 nur 50% des weltweiten Aktienhandels |
35 | auf den Hochgeschwindigkeitshandel entfielen [FN: |
36 | http://www.zew.de/de/presse/1429/algo-trading-birgt-risiken- |
37 | fuer-die-stabilitaet-der-finanzmaerkte ], waren es im Jahr |
38 | 2009 bereits 70%. [FN: |
39 | http://www.themistrading.com/article_files/0000/0475/THEM_-- |
40 | _Why_Institutional_Investors_Should_Be_Concerned_About_High_ |
41 | Frequency_Traders_--_Final.pdf ] Für das deutsche |
42 | Handelssystem Xetra geht man im Jahr 2011 von einem 60%igen |
43 | Anteil aus. [FN: |
44 | http://boerse.ard.de/content.jsp?key=dokument_554502] Der |
45 | hohe Anteil des Algotradings am Gesamthandel wird als eine |
46 | Gefahr für die Stabilität der Aktienmärkte gesehen. Einer im |
47 | April 2010 veröffentlichten Befragung des Mannheimer |
48 | Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung zufolge |
49 | vermuten 68% der Finanzmarktexperten einen negativen bis |
50 | sehr negativen Einfluss auf die Stabilität der Finanzmärkte. |
51 | [FN: ZEW Finanzmarktreport 18. Jg. April 2010, S. 3.] |
52 | |
53 | Wie Algotrading funktioniert, haben Sal L. Arnuk und Joseph |
54 | Saluzzi im Dezember 2008 in einem vielbeachteten Whitepaper |
55 | erklärt. [FN: |
56 | http://www.themistrading.com/article_files/0000/0348/Toxic_E |
57 | quity_Trading_on_Wall_Street_12-17-08.pdf ] Institutionelle |
58 | Anleger, etwa Fonds oder Banken, kaufen oder verkaufen, wenn |
59 | sie Investitionsentscheidungen treffen, typischerweise nicht |
60 | nur eine Handvoll Aktien, sondern große Volumina. Händler |
61 | geben diese Aufträge in ein automatisiertes Handelssystem |
62 | ein. Um eine Order erfolgreich und möglichst günstig |
63 | ausführen zu können, wird sie in mehrere kleine Teile |
64 | aufgesplittet. Solche Orders sind daran zu erkennen, dass |
65 | sie typischerweise Volumina von 100 oder 500 Stück umfassen. |
66 | Wenn also ein Handelssystem von einem institutionellen |
67 | Anleger den Auftrag erhält, eine große Menge Aktien zu einem |
68 | Preis von bis zu 20,05 Euro zu erwerben, platziert dieses |
69 | möglicherweise zunächst eine Kauforder für nur 100 Aktien. |
70 | Gelingt es, diese zu einem Stückpreis von 20,00 Euro zu |
71 | erwerben, so platziert das System als nächstes eine |
72 | Kauforder für 500 Stück. Ein Hochgeschwindigkeitsrechner |
73 | kann hieran automatisch erkennen, dass es sich um einen |
74 | großen Kaufauftrag eines institutionellen Anlegers handelt, |
75 | der „scheibchenweise“ ausgeführt werden soll. Bevor der |
76 | Investor damit fortfahren kann, platziert der |
77 | Hochgeschwindigkeitsrechner ein Kaufangebot für 100 Stück |
78 | zum Preis von 20,01 Euro. Da er kurzfristig mehr bietet als |
79 | der institutionelle Anleger, werden die Verkäufer die Aktien |
80 | an ihn verkaufen statt an jenen. Geschieht dies, platziert |
81 | der High-Frequency-Trading-Algorithmus als nächstes ein |
82 | Verkaufsangebot zum Preis von 20,01 Euro und verkauft die |
83 | Aktien an den institutionellen Investor weiter. Dieser hat |
84 | also einen Cent pro Aktie mehr gezahlt als er ohne Zutun des |
85 | HFT-Algos hätte zahlen müssen, während der HFT-Algorithmus |
86 | zum gleichen Preis gekauft und verkauft hat. Er hat trotzdem |
87 | einen Gewinn gemacht, weil der Handelsplatz, der an jeder |
88 | Transaktion Gebühren verdient, ihm einen Rabatt von |
89 | beispielsweise einem Viertel Cent gewährt. |
90 | |
91 | Als besonders problematisch gilt der sogenannte |
92 | „Raubtieralgorithmus“. Dabei nutzt der HFT-Algo die oben |
93 | beschriebene Methode, um eine Order als die eines |
94 | institutionellen Anlegers zu identifizieren. Unter |
95 | Ausnutzung seines Liquiditätsrabatts treibt er den Preis |
96 | schrittweise in die Höhe, bis er das vom institutionellen |
97 | Anleger gesetzte Limit erreicht hat. Zu diesem Preis |
98 | vollzieht er dann einen Leerverkauf, im Wissen, dass der |
99 | Kurs mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder fallen wird. Sobald |
100 | dies geschieht, covert er. Innerhalb weniger Sekunden |
101 | können auf diese Weise starke Kursschwankungen entstehen. |
102 | |
103 | Eine weitere beachtenswerte Tradingmethode im HFT-Handel ist |
104 | das Pinging. Es beruht auf der |
105 | Immediate-or-cancel-Systematik, also der Möglichkeit, Orders |
106 | zu platzieren und sie, so sie nicht ausgeführt werden, |
107 | sofort wieder zu annulieren. Die HFT-Algos können dies im |
108 | Bruchteil von Sekunden vollziehen. So sind sie in der Lage, |
109 | versteckte Limits institutioneller Anleger auszutesten. Ein |
110 | institutioneller Anleger ist beispielsweise bereit, Aktien |
111 | zu einem Preis von bis zu 20,03 Euro zu erwerben, bietet |
112 | jedoch zunächst nur 20,00 Euro. Der HFT-Algorithmus |
113 | identifiziert diese Order nach der eingangs beschriebenen |
114 | Methode als die eines institutionellen Anlegers. Alsdann |
115 | platziert er eine Verkaufsorder zum Preis von beispielsweise |
116 | 20,05 Euro. Da kein Verkauf zustande kommt, cancelt er die |
117 | Order und platziert als nächstes ein Verkaufsangebot von |
118 | 20,04 Euro. Wiederum erfolgt keine Reaktion. Der Algorithmus |
119 | geht auf 20,03 Euro, und diesmal wird die Order ausgeführt. |
120 | Der HFT-Algorithmus kennt nun das Oberlimit des |
121 | institutionellen Anlegers. Er wendet sich nun wieder dem |
122 | Markt zu und überbietet dort den institutionellen Anleger um |
123 | einen Cent, kauft also für 20,01 Euro weitere Aktien auf, um |
124 | sie dem institutionellen Anleger für 20,03 Euro |
125 | weiterzuverkaufen. |
126 | |
127 | Sämtliche dieser Tradingmethoden gehen auf Kosten der |
128 | institutionellen Anleger, da sie darauf basieren, einen |
129 | Preis künstlich in die Höhe zu treiben, von einem |
130 | Liquiditätsrabatt zu profitieren und/oder einen |
131 | Geschwindigkeitsvorsprung auszunutzen. Es handelt sich also |
132 | um keine nachhaltige Handelsstrategie. Die ursprüngliche |
133 | Rechtfertigung für das Zulassen solchen Handelns besteht in |
134 | einem vermeintlichen Liquiditätszuwachs. Eine Steigerung der |
135 | Handelsvolumina, wie sie durch HFT unzweifelhaft bewirkt |
136 | werden, wird traditionell als Gewinn an Stabilität |
137 | verstanden, da man davon ausgeht, dass umso mehr Liquidität |
138 | am Markt ist, je mehr gehandelt wird. Dies ist jedoch ein |
139 | Trugschluss. Die für den traditionellen Handel geltende |
140 | Logik lässt sich auf das algorithmenbasierte HFT gerade |
141 | nicht übertragen, da die Hochleistungsrechner im Fall von |
142 | Verlusten dem Markt ihre Liquidität jederzeit wieder |
143 | entziehen. Statt Märkte zu stabilisieren, führt HFT deshalb |
144 | zu einer Destabilisierung des Finanzsystems. |
145 | |
146 | Warum das so ist, wird verständlich, wenn man sich die |
147 | Kettenreaktion ansieht, die im Falle eines nicht |
148 | auszuschließenden Scheiterns der oben beschriebenen |
149 | Tradingstrategien entsteht. Bleiben wir beim Beispiel des |
150 | durch Pinging hochgepushten Kurses. Der letztendliche Erfolg |
151 | dieser Strategie hängt allein davon ab, ob es dem HFT |
152 | gelingt, die zum Zwecke des Weiterverkaufs an den |
153 | institutionellen Anleger erworbenen Aktienvolumina |
154 | tatsächlich zu verkaufen. Es kann nicht ausgeschlossen |
155 | werden, dass der HFT zu viele Aktien erworben hat und nicht |
156 | alle zum erstrebten Preis absetzen kann. Automatisch wird er |
157 | sein Verkaufsangebot dann schrittweise reduzieren. Bietet |
158 | der Markt keine entsprechende Nachfrage, kann es zu |
159 | schnellen Kursstürzen, jedenfalls aber zu starken |
160 | Kursschwankungen kommen. Da institutionelle und Kleinanleger |
161 | auf die von ihnen gehaltenen Positionen in der Regel |
162 | Stop-Loss-Limits gesetzt haben, kommt es bei Erreichen |
163 | dieser Verlustbegrenzung zu massenhaften automatischen |
164 | Verkäufen und damit zu hohen Kapitalverlusten. |
165 | |
166 | Deutlich wurde dies bei dem sogenannten Flash Crash vom 6. |
167 | Mai 2010, als der Dow Jones innerhalb von 25 Minuten um |
168 | 1.000 Punkte abstürzte und dabei Kapitalverluste in Höhe von |
169 | 862 Milliarden Dollar verursachte. Die Aktie von Phillip |
170 | Morris fiel dabei beispielsweise von 49 auf 17 Dollar, bevor |
171 | sie sich wieder „erholte“ und bei 47 Dollar stabilisierte. |
172 | Tausende von Ordern, die mehr als 50% unterhalb des vor dem |
173 | Kurssturz geltenden Kurses ausgeführt wurden, stornierten |
174 | die Handelsplätze nachträglich. Bemerkenswert ist, dass die |
175 | HFT die ihnen zugeschriebene Funktion, im Bedarfsfall |
176 | Liquidität zur Verfügung zu stellen, nicht erfüllten, |
177 | sondern im Gegenteil dem Markt zur Begrenzung eigener |
178 | Verluste Liquidität in hohem Umfang entzogen. |
179 | |
180 | Profiteure des HFT sind neben den entsprechenden Firmen vor |
181 | allem die Börsenplätze. Für sie zahlt sich aus, dass HFT das |
182 | Handelsvolumen künstlich in die Höhe treiben, denn die Börse |
183 | verdient an jeder Order Gebühren. Da jeder Kauforder eines |
184 | HFT eine Verkaufsorder eines anderen Marktteilnehmers |
185 | gegenübersteht (und umgekehrt), lohnt es sich für die Börse, |
186 | den HFT Gebühren zu erlassen und ihnen zudem einen |
187 | Liquiditätsrabatt zu gewähren, der es ihnen ermöglicht, auch |
188 | dann noch Gewinne zu machen, wenn sie zum selben Preis |
189 | verkaufen, wie sie gekauft haben. Manche Börsenbetreiber |
190 | gewähren bis zu einem Viertel eines Pennys pro Aktie Rabatt |
191 | an Broker-Dealer, wenn diese eine Order platzieren, |
192 | verdienen aber daran, dass sie dem Gegenpart, der die Order |
193 | zur Ausführung bringt (also dem jeweiligen Käufer bzw. |
194 | Verkäufer) eine höhere Transaktionsgebühr in Rechnung |
195 | stellen. [FN: Johannes Gomolka: Algorithmic Trading. Analyse |
196 | von computergesteuerten Prozessen im Wertpapierhandel unter |
197 | Verwendung der Multifaktorenregression. Potsdam: |
198 | Universitätsverlag Potsdam 2010, S. 162.] Dieses sogenannte |
199 | Maker-Taker-Modell ist mittlerweile in Europa ebenso üblich |
200 | wie in den USA. Außerdem verdienen die Börsen an der |
201 | Vermietung von sogenannten Co-Location-Spaces. Da der Erfolg |
202 | des HFT zunehmend von der Geschwindigkeit der |
203 | Datenübertragung abhängt, haben auf diesem Gebiet tätige |
204 | Handelsfirmen ein großes Interesse daran, räumlich so nahe |
205 | wie möglich an den Rechenzentren der Handelsplätze selbst |
206 | angesiedelt zu sein. Die Rede ist hier von der Latency |
207 | Arbitrage, also vom Vorteil, den Handelsfirmen allein |
208 | aufgrund ihrer besseren Datenleitung genießen. Der |
209 | Latenzvorteil, den die örtliche Nähe mit sich bringt, hat |
210 | rund um die Börsenplätze fußballfeldgroße Technikclustern |
211 | entstehen lassen. Die NYSE hat beispielsweise 2009 eine 120 |
212 | Quadratmeter große Colocation in New Jersey und eine weitere |
213 | bei London bauen lassen, zu Kosten von 500 Millionen Dollar. |
214 | [FN: The Wall Street Journal, 30. Juli 2009, |
215 | http://www.efinancialnews.com/story/2009-07-31/nyses-fast-tr |
216 | ade-hub-rises-up-in-new-jersey ] Diese Investitionen |
217 | rentieren sich offenbar aufgrund der Mieteinnahmen, die die |
218 | HFT-Firmen zu zahlen bereit sind. Die Miete rentiert sich |
219 | ihrerseits offenbar aufgrund der dadurch erlangten |
220 | Handelsvorteile. |
221 | |
222 | Nicht zuletzt aber verdienen die Börsen an proprietären |
223 | Datafeeds, die sie an die Betreiber der |
224 | Hochgeschwindigkeitsrechner verkaufen. [FN: |
225 | http://blog.themistrading.com/wp-content/uploads/2010/05/THE |
226 | MIS-Data-Theft-On-Wall-Street-05-11-10.pdf ] Hier bietet |
227 | sich ein Vergleich mit sozialen Netzwerken an: So wie |
228 | Facebook Nutzungsdaten der user sammelt, um sie an |
229 | Werbetreibende zu verkaufen, sammeln die Handelsplätze Daten |
230 | ihrer privaten und institutionellen Kunden und verkaufen sie |
231 | als „Direct Feed“ an die HFT-Firmen. In den USA heißen diese |
232 | direct feeds etwa BATS PITCH oder TotalView-ITCH, in |
233 | Deutschland gibt es den AlphaFlash („ultraschnelle |
234 | Wirtschaftsdaten und Ad-hoc-Nachrichten für |
235 | Algo-Trading-Applikationen“) [FN: |
236 | http://deutsche-boerse.com/dbag/dispatch/de/listcontent/gdb_ |
237 | navigation/mda/200_market_data/500_news_services/Content_Fil |
238 | es/news_services_products/mda_sp_alphaflash.htm ], den High |
239 | Performance Xetra Data Feed („all order book updates on an |
240 | un-netted basis as soon as they occur“ ) sowie verschiedene |
241 | andere Angebote. [FN: |
242 | http://deutsche-boerse.com/dbag/dispatch/en/binary/gdb_conte |
243 | nt_pool/imported_files/public_files/10_downloads/50_informat |
244 | ions_services/10_market_data_dissemination/11_information_pr |
245 | oducts/10_spot_market/CEF_ultra_+_Xetra.pdf] Der Vorteil von |
246 | direct data feeds besteht darin, Orderdaten und Volumina der |
247 | Aufträge von institutionellen und Kleinanlegern schon zu |
248 | kennen, bevor sie auf dem jeweiligen Marktplatz platziert |
249 | werden, um die eigene Tradingstrategie darauf ausrichten zu |
250 | können. Ähnlich wie bei Facebook werden bei den gängigen |
251 | feeds die Daten natürlich in anonymisierter Form verkauft, |
252 | jedoch so, dass sie von den Hochleistungsrechnern |
253 | automatisch ausgewertet werden können. So wird es möglich, |
254 | dass beispielsweise eine Kauforder, die eine Bank für einen |
255 | ihrer Privatkunden in das Handelssystem eingibt, noch vor |
256 | der Platzierung am Handelsplatz an einen HFT übermittelt |
257 | wird, der daraufhin ggf. in der oben beschriebenen Weise den |
258 | Preis hochtreiben und die Differenz als Gewinn verbuchen |
259 | kann. |
260 | |
261 | 65% der vom Mannheimer Zentrum für Europäische |
262 | Wirtschaftsforschung befragten Fachleute halten die |
263 | bisherige gesetzliche Regulierung des |
264 | Hochgeschwindigkeitshandels für unzureichend. [FN: ZEW |
265 | Finanzmarktreport 18. Jg. April 2010, S. 3.] Wie die obige |
266 | Beschreibung gezeigt hat, stellen die in der öffentlichen |
267 | Diskussion besonders präsenten Leerverkäufe nur ein |
268 | Teilproblem dar, und selbst dieses Teilproblem ist im |
269 | Wesentlichen ungelöst. So hat beispielsweise der deutsche |
270 | Gesetzgeber das Verbot von ungedeckten Leerverkäufen stark |
271 | beschränkt, nämlich auf deutsche Aktien und Staatstitel der |
272 | Eurozone sowie Kreditversicherungen auf Staatstitel der |
273 | Eurozone, die keinen Absicherungszwecken dienen, statt ein |
274 | umfassendes Verbot solcher Geschäfte zu beschließen. |
275 | |
276 | Dass die Stabilität der Aktienmärkte für die |
277 | Gesamtwirtschaft eines Landes wie der Weltwirtschaft von |
278 | entscheidender Bedeutung ist, zeigt sich beispielsweise an |
279 | den Versuchen, europäische Volkswirtschaften wie die |
280 | griechische durch sogenannte „Hilfspakete“ vor dem Bankrott |
281 | zu retten. Die Anfälligkeit der internationalen Finanzmärkte |
282 | für Kursstürze und Krisen hängt nicht zuletzt mit dem |
283 | mittlerweile extrem hohen Anteil des Algotradings am |
284 | Gesamthandelsvolumen zusammen. Durch High Frequency Trading |
285 | entsteht die Illusion eines stabilen, gesunden, da mit |
286 | genügend flüssigen Geldmitteln ausgestatteten Kapitalmarkts. |
287 | Tatsächlich hat sich jedoch gezeigt, dass gerade High |
288 | Frequency Trader dem Markt die Liquidität, die sie ihm zur |
289 | Verfügung stellen, jederzeit wieder entziehen, um ihre |
290 | Verluste zu begrenzen. Finanzkrisen haben insofern eine |
291 | Auswirkung auf die Wirtschaft, als die „Rettungsaktionen“ |
292 | nationaler Regierungen letztlich durch Steuergelder |
293 | gegenfinanziert werden müssen. Steigen jedoch die Steuern, |
294 | sinkt der Konsum, was wiederum das Wirtschaftswachstum |
295 | bremst. |
296 | |
297 | |
298 | Bitte beachten Sie auch |
299 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
300 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
301 | Teil 2 |
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