Papier: 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - Teil 2
Originalversion
1 | Der Gliederungspunkt 2.2.1 umfasst im Arbeitsprogramm |
2 | mehrere Spiegelstriche mit verschiedenen Aspekten. Zu den |
3 | Punkten Digitalisierung als Produktionsfaktor, Rolle von |
4 | Algorithmen etwa beim Börsenhandel, bei den Empfehlungen von |
5 | Handelsportalen, in der Kreativwirtschaft (Contentfarmen) |
6 | hat sich die Projektgruppe in ihrer Sitzung vom 21.11.2011 |
7 | auf den folgenden Text verständigt. |
8 | |
9 | |
10 | (Bitte beachten Sie auch |
11 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
12 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
13 | Teil 3) |
14 | |
15 | |
16 | |
17 | 2. Contentfarmen |
18 | |
19 | Als Contentfarmen werden mitunter automatisch generierte |
20 | Webseiten bezeichnet, die durch geschickte Search Engine |
21 | Optimization user auf ihre Seite zu locken versuchen. Darum |
22 | soll es hier nicht gehen, sondern um Inhalteanbieter wie |
23 | „Demand Media“, deren Geschäft darin besteht, die Daten von |
24 | Suchmaschinen auszuwerten, um dann maßgeschneiderte Inhalte |
25 | zu produzieren. Also nicht um Crawler, die bereits |
26 | publizierte Inhalte scannen und auf eigenen Seiten neu |
27 | zusammensetzen oder verlinken, sondern um Anbieter, die |
28 | „eigene“, suchmaschinenoptimierte Inhalte produzieren. |
29 | |
30 | Im Januar 2010 sorgte Richard Rosenblatt, Mitgründer und CEO |
31 | von Demand Media, mit einem Manifest seiner |
32 | Firmenphilosophie für Aufruhr. Demand Media produziere |
33 | „content that is unequivocally useful“, investiere in seine |
34 | „freelancer community“ und arbeite grundsätzlich so |
35 | kundenorientiert wie möglich. „Our target audience tells us |
36 | they want incredibly specific information and we deliver |
37 | exactly that – in a style that the average consumer |
38 | appreciates and understands. So, while we love to read The |
39 | Economist, The Washington Post and Wired – we have little in |
40 | common with their missions or business models.“ [FN: |
41 | http://allthingsd.com/20100111/demand-media-is-mad-as-hell-a |
42 | nd-well-pens-a-manifesto-and-here-it-is/] |
43 | |
44 | Demand Media produziert seit 2007 Content für Seiten wie |
45 | eHow, Livestrong.com, Cracked.com und andere, und zwar nicht |
46 | nur Texte, sondern auch kurze Videos. Besonders bekannt ist |
47 | die Firma für ihre Gebrauchsanweisungen: Wie trage ich |
48 | Make-up richtig auf? Wie finde ich die richtige Aktie für |
49 | mein Portfolio? Welches Yoga hilft bei Rückenschmerzen? |
50 | Welche Inhalte produziert werden, entscheiden nicht |
51 | Redakteure. Die Firma analysiert Daten von |
52 | Suchmaschinenanfragen sowie aus Social Media, die teils über |
53 | offene Schnittstellen frei verfügbar sind, teils kommerziell |
54 | erworben werden können. So werden die am meisten |
55 | nachgefragten Themen herausgefiltert. Anschließend wird nach |
56 | Angeboten von Werbetreibenden gesucht, die zu Artikeln über |
57 | diese Themen Werbung schalten würden, insbesondere Google |
58 | Ads, und der entsprechende Return of Investment berechnet. |
59 | Scheint das Erstellen des Inhalts profitabel, wird ein |
60 | Angebot zur Auftragsvergabe in eine Datenbank eingestellt, |
61 | die von journalistischen Freelancer genutzt wird. |
62 | |
63 | Der Unterschied zum traditionellen Journalismus ist klar. |
64 | Während bei Zeitungen und Rundfunkanstalten Redakteure |
65 | beschäftigt werden, die Themen nach Relevanz zur Publikation |
66 | auswählen, gibt bei Contentfarmen der zu erwartende |
67 | Werbeerlös den Ausschlag dafür, ob ein bestimmter Inhalt |
68 | recherchiert, verfasst und publiziert wird. Möglich wird |
69 | dies durch eine automatisierte Analyse der Nachfrage bzw. |
70 | des Leserinteresses, welche mit einer ebenfalls |
71 | automatisierten Erhebung der Online-Werbeerlöse abgeglichen |
72 | wird. |
73 | |
74 | Contentfarmen werden einerseits von den traditionellen |
75 | Medien stark kritisiert: „Journalismus von der Resterampe“ |
76 | titelt etwa die FAZ am 16. Februar 2010 und führt aus: „Wenn |
77 | der Inhalt endgültig vom ‚Content‘ abgelöst ist, steht dem |
78 | Internet bald jene Zerrüttung bevor, wie sie heute manche |
79 | Innenstädte heimsucht, in denen ‚55-Cent-Shops‘ und |
80 | ‚Resterampen‘ alle altehrwürdigen Geschäfte verdrängt |
81 | haben.“ Andererseits wird behauptet, Contentfarmen hätten |
82 | freiberuflichen Journalisten zu mehr Selbstständigkeit, |
83 | einem höheren Einkommen und sogar zu mehr Einfluss auf die |
84 | öffentliche Meinung verholfen. Dorian Benkoil schreibt bei |
85 | Mediashift: „Think of the power the new tools give |
86 | journalists, including ones working for such venerated |
87 | institutions as the New York Times, to reach beyond the |
88 | confines of their publications and personally assemble |
89 | communities of readers, viewers and participants around the |
90 | journalism they create, while also developing leads and |
91 | sources. That's more traffic for the publication, more |
92 | influence and voice for the journalists. The tools also give |
93 | people working for the content farms, also known as content |
94 | mills, the ability to quickly get their work done and in |
95 | some cases earn an hourly wage well beyond journalists' |
96 | typical starting salaries.“ [FN: |
97 | http://www.pbs.org/mediashift/2010/07/dont-blame-the-content |
98 | -farms207.html ] |
99 | |
100 | Es mag dahingestellt bleiben, ob die Fließbandproduktion von |
101 | Artikeln zu Themen wie “Wie kocht man ein Ei?“ oder „Wie |
102 | stellt man einen Screenshot her?“ tatsächlich zu einem |
103 | größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung oder einer |
104 | engeren Leserbindung führt. Auch die Honorare sind nicht |
105 | rosig: 20 Dollar zahlt Demand Media für ein einzelnes Video, |
106 | 15 Dollar für das Schreiben eines Artikels von 300 Wörtern, |
107 | 3,50 Dollar für das Redigieren eines solchen Textes. [FN: |
108 | http://www.demandstudios.com/freelance-work.html ] In |
109 | Deutschland liegen die Honorare noch niedriger: content.de |
110 | zahlt beispielsweise im Schnitt 10 Euro für einen Artikel |
111 | von 500 Wörtern. [FN: |
112 | http://www.content.de/common/contractor_rates ] Andere |
113 | Anbieter, wie Suite101, bieten gar kein Grundhonorar, |
114 | sondern nur Beteiligungen: „Diese ergeben sich aus einem, |
115 | auf dem Ermessen von Suite101 und seinen Werbepartnern |
116 | beruhenden, Anteil der Werbeumsätze jener Unterseiten der |
117 | Webseite, auf denen Inhalte des Autoren vollständig |
118 | erscheinen“, heißt es im Vertrag. [FN: |
119 | http://graphics.suite101.com/Suite101_Autorenvertrag.pdf ] |
120 | Offenkundig richten sich solche Angebote nicht nur an |
121 | professionelle Journalisten, sondern auch an Laien, die sich |
122 | ein Zubrot verdienen möchten. |
123 | |
124 | Contentfarmen machen gute Geschäfte. Demand Media ist am |
125 | 25.01.2011 sogar an die Börse gegangen, mit einer Bewertung |
126 | von mehr als 1 Milliarde Euro, und platzierte Aktien für gut |
127 | 110 Millionen Euro. [FN: |
128 | http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/IPO-Demand-Media-ge |
129 | ht-mit-Milliarden-Bewertung-an-die-Boerse-1018948] Nach |
130 | sechs Wochen war der Kurs von unter 15 auf 17 Euro |
131 | gestiegen. Im April 2011 stürzte er jedoch jäh auf 10 Euro |
132 | ab. |
133 | |
134 | Grund war das berühmt-berüchtigte Panda-Update, mit dem |
135 | Google seinen Suchalgorithmus verbessert hatte. Panda war |
136 | bereits seit Ende Februar 2011 in den USA aktiv, wurde |
137 | jedoch erst Mitte April auf alle englischsprachigen Seiten |
138 | ausgedehnt. Prompt fielen die Klickraten des Flaggschiffs |
139 | eHow.com um 66%, wie sich anhand des |
140 | Sixtrix-Sichtbarkeitsindex nachvollziehen ließ. [FN: |
141 | http://www.sistrix.de/news/991-panda-vol.-ii-ehow.com-hat-es |
142 | -dieses-mal-erwischt.html Demand Media selbst hat die Zahlen |
143 | allerdings als übertrieben bezeichnet.] Suite101.com, |
144 | Mutterunternehmen des gleichnamigen deutschen Anbieters, |
145 | hatte bereits im Februar Popularitätsverluste von 94% |
146 | hinnehmen müssen. [FN: |
147 | http://www.sistrix.de/news/985-algorithmus-nderung-google-su |
148 | cht-nach-qualit-t.html ] |
149 | |
150 | Dass Google seinen Suchalgorithmus geändert hat, ist |
151 | allgemein als Zeichen dafür gewertet worden, dass der |
152 | Suchmaschinenanbieter versuchte, seine Ergebnislisten zu |
153 | verbessern. Content, den die Nutzer angesichts ihres |
154 | Surfverhaltens offensichtlich für weniger relevant |
155 | erachteten, sollte nicht allein aufgrund der Bemühungen von |
156 | Suchmaschinen-Optimierern weit oben in den Trefferlisten |
157 | rangieren. [FN: |
158 | http://www.handelsblatt.com/technologie/it-tk/it-internet/go |
159 | ogle-plant-die-such-revolution/4296626.html?p4296626=all ] |
160 | Das ist verständlich, widerspricht jedoch dem, was die |
161 | Anbieter von Content-Farmen immer wieder beteuern [FN: |
162 | http://allthingsd.com/20100111/demand-media-is-mad-as-hell-a |
163 | nd-well-pens-a-manifesto-and-here-it-is/], dass nämlich |
164 | gerade sie ausschließlich die Interessen der Nutzer im Blick |
165 | hätten. So sagt beispielsweise Peter Berger, Geschäftsführer |
166 | von Suite101.de: „Entscheidend ist: Wir haben unser Modell |
167 | nicht darauf aufgebaut, als wüssten wir vorher, was Leser im |
168 | Internet interessiert.“ [FN: |
169 | http://medialdigital.de/2010/01/29/suite101/] Offensichtlich |
170 | kommen die Entwickler von Suchmaschinen hinsichtlich der |
171 | Bewertung des Contents zum gegenteiligen Ergebnis: dass |
172 | nämlich die Inhalte der Contentfarmen gerade nicht dem |
173 | entsprechen, was die user der Suchmaschinen in der Regel |
174 | suchen. |
175 | |
176 | Langfristig ist fraglich, wie weit das Geschäftsmodell der |
177 | Content-Farmen trägt bzw. wie es sich weiterentwickelt. Der |
178 | Kampf der Suchmaschinenoptimierer gegen die |
179 | Algorithmen-Entwickler der Suchmaschinen wird auf Dauer |
180 | nicht zu gewinnen sein. Entsprechend haben die Farmen |
181 | mittlerweile das Geschäftsfeld Syndikation ausgeweitet und |
182 | setzen zunehmend darauf, ihren Content an klassische Medien |
183 | zu lizenzieren. [FN: |
184 | http://www.guardian.co.uk/media/2010/feb/11/digital-media-ch |
185 | arging-for-content ] Längst integriert beispielsweise in den |
186 | USA der Fernsehsender USA Today für seine „Travel Tips“ |
187 | Inhalte, die auf der Basis einer Analyse von Suchanfragen |
188 | erstellt werden. [FN: http://traveltips.usatoday.com/] |
189 | Zweifellos wird sich dieser Trend fortsetzen. Es ist |
190 | denkbar, dass reine Content-Farmen langfristig zu |
191 | Agenturdienstleistern werden, deren Inhalte von klassischen |
192 | Medien ebenso eingekauft werden wie heute Zeitungen die |
193 | Texte von Presseagenturen abonnieren. Content-Farming hätte |
194 | sich dann vor allem als eine neue Variante des Outsourcings |
195 | und Lohndumpings erwiesen. |
196 | |
197 | Dies wird in erster Linie eine Herausforderung für die |
198 | Gewerkschaften sein. Eine angemessene Vergütung für neue |
199 | journalistische Produktionsformen durchzusetzen, wird den |
200 | Interessenvertretungen umso schwerer fallen, je weniger |
201 | Auftragnehmer der Plattformen überhaupt gewerkschaftlich |
202 | organisiert sind. |
203 | Auch stellt sich die Frage, was es für die |
204 | Informationsfreiheit bedeutet, wenn Inhalte, die sich nicht |
205 | unmittelbar über Werbeerlöse monetarisieren lassen, kaum |
206 | mehr professionell produziert werden. Zwar war Journalismus |
207 | seit jeher von Werbeeinnahmen abhängig, doch nie zuvor |
208 | bestand die Möglichkeit, die Bezahlung der Inhalte derartig |
209 | eng an ihr kommerzielles Erlöspotenzial zu koppeln. Wenn |
210 | wenig werbeaffine Inhalte aufgrund der vorherrschenden |
211 | Geschäftsmodelle der Auftraggeber von Autoren, Fotografen |
212 | und sonstigen Urhebern von vornherein nicht mehr produziert |
213 | werden, ist das einer demokratiefähigen Öffentlichkeit |
214 | sicher nicht zuträglich. |
215 | |
216 | Vor diesem Hintergrund ist zu erwähnen, dass die |
217 | traditionellen Instrumente der Medienregulierung sich kaum |
218 | nahtlos auf das Internet übertragen lassen. Angesichts einer |
219 | versagenden Medienregulierung herrscht deshalb häufig ein |
220 | rein wettbewerbsrechtlicher Regulierungsansatz vor. Aufgrund |
221 | der stetig wachsenden Bedeutung der „information economies“ |
222 | für Gesellschaft und Demokratie ist jedoch fraglich, ob dies |
223 | ausreicht, ob also eine ausschließlich auf das Funktionieren |
224 | des Marktes abstellende Regulierung der Tatsache ausreichend |
225 | Rechnung trägt, dass die Auswahl und Verfügbarmachung von |
226 | Informationen für eine vitale öffentliche Sphäre und ein |
227 | funktionierendes demokratisches Gemeinweisen von zentraler |
228 | Bedeutung sind. Denkbar wäre, Prinzipien der |
229 | wirtschaftlichen Regulierung einzuführen, die nicht in |
230 | erster Linie auf den Schutz des Marktes abzielen, sondern |
231 | eher auf die Verfasstheit einer wesentlich von diesem Markt |
232 | bestimmten Öffentlichkeit. Hier wäre etwa daran zu denken, |
233 | die Bewahrung einer offenen und allen |
234 | Kommunikationsteilnehmern gleichberechtigt zur Verfügung |
235 | stehenden Infrastruktur zu einer öffentlichen, da Vielfalt |
236 | und Demokratie sichernden Aufgabe zu erklären, welcher der |
237 | Gesetzgeber auch unabhängig von einem etwaigen Marktversagen |
238 | nachkommen müsste. Als stärkstes regulatorisches Mittel wäre |
239 | dann etwa ein Verbot vertikaler Integration zu erwägen, |
240 | sozusagen als Entsprechung zum aus der analogen Welt |
241 | bekannten Prinzip der Grundversorgung. Dies würde darauf |
242 | hinauslaufen, dass Inhalteanbieter grundsätzlich nicht |
243 | zugleich die entscheidenden Gatekeeper für den Zugang zu |
244 | Informationen sein dürfen, also nicht in der Lage sein |
245 | dürften, die entsprechende Infrastruktur zu kontrollieren. |
246 | Die Durchsetzung derartiger „Sphärentrennung“ wäre kein |
247 | medienregulatorisches, sondern ein rein wirtschaftliches |
248 | Regulierungsinstrument. |
249 | |
250 | |
251 | Bitte beachten Sie auch |
252 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
253 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
254 | Teil 3 |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Der Gliederungspunkt 2.2.1 umfasst im Arbeitsprogramm |
2 | mehrere Spiegelstriche mit verschiedenen Aspekten. Zu den |
3 | Punkten Digitalisierung als Produktionsfaktor, Rolle von |
4 | Algorithmen etwa beim Börsenhandel, bei den Empfehlungen von |
5 | Handelsportalen, in der Kreativwirtschaft (Contentfarmen) |
6 | hat sich die Projektgruppe in ihrer Sitzung vom 21.11.2011 |
7 | auf den folgenden Text verständigt. |
8 | |
9 | |
10 | (Bitte beachten Sie auch |
11 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
12 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
13 | Teil 3) |
14 | |
15 | |
16 | |
17 | 2. Contentfarmen |
18 | |
19 | Als Contentfarmen werden mitunter automatisch generierte |
20 | Webseiten bezeichnet, die durch geschickte Search Engine |
21 | Optimization user auf ihre Seite zu locken versuchen. Darum |
22 | soll es hier nicht gehen, sondern um Inhalteanbieter wie |
23 | „Demand Media“, deren Geschäft darin besteht, die Daten von |
24 | Suchmaschinen auszuwerten, um dann maßgeschneiderte Inhalte |
25 | zu produzieren. Also nicht um Crawler, die bereits |
26 | publizierte Inhalte scannen und auf eigenen Seiten neu |
27 | zusammensetzen oder verlinken, sondern um Anbieter, die |
28 | „eigene“, suchmaschinenoptimierte Inhalte produzieren. |
29 | |
30 | Im Januar 2010 sorgte Richard Rosenblatt, Mitgründer und CEO |
31 | von Demand Media, mit einem Manifest seiner |
32 | Firmenphilosophie für Aufruhr. Demand Media produziere |
33 | „content that is unequivocally useful“, investiere in seine |
34 | „freelancer community“ und arbeite grundsätzlich so |
35 | kundenorientiert wie möglich. „Our target audience tells us |
36 | they want incredibly specific information and we deliver |
37 | exactly that – in a style that the average consumer |
38 | appreciates and understands. So, while we love to read The |
39 | Economist, The Washington Post and Wired – we have little in |
40 | common with their missions or business models.“ [FN: |
41 | http://allthingsd.com/20100111/demand-media-is-mad-as-hell-a |
42 | nd-well-pens-a-manifesto-and-here-it-is/] |
43 | |
44 | Demand Media produziert seit 2007 Content für Seiten wie |
45 | eHow, Livestrong.com, Cracked.com und andere, und zwar nicht |
46 | nur Texte, sondern auch kurze Videos. Besonders bekannt ist |
47 | die Firma für ihre Gebrauchsanweisungen: Wie trage ich |
48 | Make-up richtig auf? Wie finde ich die richtige Aktie für |
49 | mein Portfolio? Welches Yoga hilft bei Rückenschmerzen? |
50 | Welche Inhalte produziert werden, entscheiden nicht |
51 | Redakteure. Die Firma analysiert Daten von |
52 | Suchmaschinenanfragen sowie aus Social Media, die teils über |
53 | offene Schnittstellen frei verfügbar sind, teils kommerziell |
54 | erworben werden können. So werden die am meisten |
55 | nachgefragten Themen herausgefiltert. Anschließend wird nach |
56 | Angeboten von Werbetreibenden gesucht, die zu Artikeln über |
57 | diese Themen Werbung schalten würden, insbesondere Google |
58 | Ads, und der entsprechende Return of Investment berechnet. |
59 | Scheint das Erstellen des Inhalts profitabel, wird ein |
60 | Angebot zur Auftragsvergabe in eine Datenbank eingestellt, |
61 | die von journalistischen Freelancer genutzt wird. |
62 | |
63 | Der Unterschied zum traditionellen Journalismus ist klar. |
64 | Während bei Zeitungen und Rundfunkanstalten Redakteure |
65 | beschäftigt werden, die Themen nach Relevanz zur Publikation |
66 | auswählen, gibt bei Contentfarmen der zu erwartende |
67 | Werbeerlös den Ausschlag dafür, ob ein bestimmter Inhalt |
68 | recherchiert, verfasst und publiziert wird. Möglich wird |
69 | dies durch eine automatisierte Analyse der Nachfrage bzw. |
70 | des Leserinteresses, welche mit einer ebenfalls |
71 | automatisierten Erhebung der Online-Werbeerlöse abgeglichen |
72 | wird. |
73 | |
74 | Contentfarmen werden einerseits von den traditionellen |
75 | Medien stark kritisiert: „Journalismus von der Resterampe“ |
76 | titelt etwa die FAZ am 16. Februar 2010 und führt aus: „Wenn |
77 | der Inhalt endgültig vom ‚Content‘ abgelöst ist, steht dem |
78 | Internet bald jene Zerrüttung bevor, wie sie heute manche |
79 | Innenstädte heimsucht, in denen ‚55-Cent-Shops‘ und |
80 | ‚Resterampen‘ alle altehrwürdigen Geschäfte verdrängt |
81 | haben.“ Andererseits wird behauptet, Contentfarmen hätten |
82 | freiberuflichen Journalisten zu mehr Selbstständigkeit, |
83 | einem höheren Einkommen und sogar zu mehr Einfluss auf die |
84 | öffentliche Meinung verholfen. Dorian Benkoil schreibt bei |
85 | Mediashift: „Think of the power the new tools give |
86 | journalists, including ones working for such venerated |
87 | institutions as the New York Times, to reach beyond the |
88 | confines of their publications and personally assemble |
89 | communities of readers, viewers and participants around the |
90 | journalism they create, while also developing leads and |
91 | sources. That's more traffic for the publication, more |
92 | influence and voice for the journalists. The tools also give |
93 | people working for the content farms, also known as content |
94 | mills, the ability to quickly get their work done and in |
95 | some cases earn an hourly wage well beyond journalists' |
96 | typical starting salaries.“ [FN: |
97 | http://www.pbs.org/mediashift/2010/07/dont-blame-the-content |
98 | -farms207.html ] |
99 | |
100 | Es mag dahingestellt bleiben, ob die Fließbandproduktion von |
101 | Artikeln zu Themen wie “Wie kocht man ein Ei?“ oder „Wie |
102 | stellt man einen Screenshot her?“ tatsächlich zu einem |
103 | größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung oder einer |
104 | engeren Leserbindung führt. Auch die Honorare sind nicht |
105 | rosig: 20 Dollar zahlt Demand Media für ein einzelnes Video, |
106 | 15 Dollar für das Schreiben eines Artikels von 300 Wörtern, |
107 | 3,50 Dollar für das Redigieren eines solchen Textes. [FN: |
108 | http://www.demandstudios.com/freelance-work.html ] In |
109 | Deutschland liegen die Honorare noch niedriger: content.de |
110 | zahlt beispielsweise im Schnitt 10 Euro für einen Artikel |
111 | von 500 Wörtern. [FN: |
112 | http://www.content.de/common/contractor_rates ] Andere |
113 | Anbieter, wie Suite101, bieten gar kein Grundhonorar, |
114 | sondern nur Beteiligungen: „Diese ergeben sich aus einem, |
115 | auf dem Ermessen von Suite101 und seinen Werbepartnern |
116 | beruhenden, Anteil der Werbeumsätze jener Unterseiten der |
117 | Webseite, auf denen Inhalte des Autoren vollständig |
118 | erscheinen“, heißt es im Vertrag. [FN: |
119 | http://graphics.suite101.com/Suite101_Autorenvertrag.pdf ] |
120 | Offenkundig richten sich solche Angebote nicht nur an |
121 | professionelle Journalisten, sondern auch an Laien, die sich |
122 | ein Zubrot verdienen möchten. |
123 | |
124 | Contentfarmen machen gute Geschäfte. Demand Media ist am |
125 | 25.01.2011 sogar an die Börse gegangen, mit einer Bewertung |
126 | von mehr als 1 Milliarde Euro, und platzierte Aktien für gut |
127 | 110 Millionen Euro. [FN: |
128 | http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/IPO-Demand-Media-ge |
129 | ht-mit-Milliarden-Bewertung-an-die-Boerse-1018948] Nach |
130 | sechs Wochen war der Kurs von unter 15 auf 17 Euro |
131 | gestiegen. Im April 2011 stürzte er jedoch jäh auf 10 Euro |
132 | ab. |
133 | |
134 | Grund war das berühmt-berüchtigte Panda-Update, mit dem |
135 | Google seinen Suchalgorithmus verbessert hatte. Panda war |
136 | bereits seit Ende Februar 2011 in den USA aktiv, wurde |
137 | jedoch erst Mitte April auf alle englischsprachigen Seiten |
138 | ausgedehnt. Prompt fielen die Klickraten des Flaggschiffs |
139 | eHow.com um 66%, wie sich anhand des |
140 | Sixtrix-Sichtbarkeitsindex nachvollziehen ließ. [FN: |
141 | http://www.sistrix.de/news/991-panda-vol.-ii-ehow.com-hat-es |
142 | -dieses-mal-erwischt.html Demand Media selbst hat die Zahlen |
143 | allerdings als übertrieben bezeichnet.] Suite101.com, |
144 | Mutterunternehmen des gleichnamigen deutschen Anbieters, |
145 | hatte bereits im Februar Popularitätsverluste von 94% |
146 | hinnehmen müssen. [FN: |
147 | http://www.sistrix.de/news/985-algorithmus-nderung-google-su |
148 | cht-nach-qualit-t.html ] |
149 | |
150 | Dass Google seinen Suchalgorithmus geändert hat, ist |
151 | allgemein als Zeichen dafür gewertet worden, dass der |
152 | Suchmaschinenanbieter versuchte, seine Ergebnislisten zu |
153 | verbessern. Content, den die Nutzer angesichts ihres |
154 | Surfverhaltens offensichtlich für weniger relevant |
155 | erachteten, sollte nicht allein aufgrund der Bemühungen von |
156 | Suchmaschinen-Optimierern weit oben in den Trefferlisten |
157 | rangieren. [FN: |
158 | http://www.handelsblatt.com/technologie/it-tk/it-internet/go |
159 | ogle-plant-die-such-revolution/4296626.html?p4296626=all ] |
160 | Das ist verständlich, widerspricht jedoch dem, was die |
161 | Anbieter von Content-Farmen immer wieder beteuern [FN: |
162 | http://allthingsd.com/20100111/demand-media-is-mad-as-hell-a |
163 | nd-well-pens-a-manifesto-and-here-it-is/], dass nämlich |
164 | gerade sie ausschließlich die Interessen der Nutzer im Blick |
165 | hätten. So sagt beispielsweise Peter Berger, Geschäftsführer |
166 | von Suite101.de: „Entscheidend ist: Wir haben unser Modell |
167 | nicht darauf aufgebaut, als wüssten wir vorher, was Leser im |
168 | Internet interessiert.“ [FN: |
169 | http://medialdigital.de/2010/01/29/suite101/] Offensichtlich |
170 | kommen die Entwickler von Suchmaschinen hinsichtlich der |
171 | Bewertung des Contents zum gegenteiligen Ergebnis: dass |
172 | nämlich die Inhalte der Contentfarmen gerade nicht dem |
173 | entsprechen, was die user der Suchmaschinen in der Regel |
174 | suchen. |
175 | |
176 | Langfristig ist fraglich, wie weit das Geschäftsmodell der |
177 | Content-Farmen trägt bzw. wie es sich weiterentwickelt. Der |
178 | Kampf der Suchmaschinenoptimierer gegen die |
179 | Algorithmen-Entwickler der Suchmaschinen wird auf Dauer |
180 | nicht zu gewinnen sein. Entsprechend haben die Farmen |
181 | mittlerweile das Geschäftsfeld Syndikation ausgeweitet und |
182 | setzen zunehmend darauf, ihren Content an klassische Medien |
183 | zu lizenzieren. [FN: |
184 | http://www.guardian.co.uk/media/2010/feb/11/digital-media-ch |
185 | arging-for-content ] Längst integriert beispielsweise in den |
186 | USA der Fernsehsender USA Today für seine „Travel Tips“ |
187 | Inhalte, die auf der Basis einer Analyse von Suchanfragen |
188 | erstellt werden. [FN: http://traveltips.usatoday.com/] |
189 | Zweifellos wird sich dieser Trend fortsetzen. Es ist |
190 | denkbar, dass reine Content-Farmen langfristig zu |
191 | Agenturdienstleistern werden, deren Inhalte von klassischen |
192 | Medien ebenso eingekauft werden wie heute Zeitungen die |
193 | Texte von Presseagenturen abonnieren. Content-Farming hätte |
194 | sich dann vor allem als eine neue Variante des Outsourcings |
195 | und Lohndumpings erwiesen. |
196 | |
197 | Dies wird in erster Linie eine Herausforderung für die |
198 | Gewerkschaften sein. Eine angemessene Vergütung für neue |
199 | journalistische Produktionsformen durchzusetzen, wird den |
200 | Interessenvertretungen umso schwerer fallen, je weniger |
201 | Auftragnehmer der Plattformen überhaupt gewerkschaftlich |
202 | organisiert sind. |
203 | Auch stellt sich die Frage, was es für die |
204 | Informationsfreiheit bedeutet, wenn Inhalte, die sich nicht |
205 | unmittelbar über Werbeerlöse monetarisieren lassen, kaum |
206 | mehr professionell produziert werden. Zwar war Journalismus |
207 | seit jeher von Werbeeinnahmen abhängig, doch nie zuvor |
208 | bestand die Möglichkeit, die Bezahlung der Inhalte derartig |
209 | eng an ihr kommerzielles Erlöspotenzial zu koppeln. Wenn |
210 | wenig werbeaffine Inhalte aufgrund der vorherrschenden |
211 | Geschäftsmodelle der Auftraggeber von Autoren, Fotografen |
212 | und sonstigen Urhebern von vornherein nicht mehr produziert |
213 | werden, ist das einer demokratiefähigen Öffentlichkeit |
214 | sicher nicht zuträglich. |
215 | |
216 | Vor diesem Hintergrund ist zu erwähnen, dass die |
217 | traditionellen Instrumente der Medienregulierung sich kaum |
218 | nahtlos auf das Internet übertragen lassen. Angesichts einer |
219 | versagenden Medienregulierung herrscht deshalb häufig ein |
220 | rein wettbewerbsrechtlicher Regulierungsansatz vor. Aufgrund |
221 | der stetig wachsenden Bedeutung der „information economies“ |
222 | für Gesellschaft und Demokratie ist jedoch fraglich, ob dies |
223 | ausreicht, ob also eine ausschließlich auf das Funktionieren |
224 | des Marktes abstellende Regulierung der Tatsache ausreichend |
225 | Rechnung trägt, dass die Auswahl und Verfügbarmachung von |
226 | Informationen für eine vitale öffentliche Sphäre und ein |
227 | funktionierendes demokratisches Gemeinweisen von zentraler |
228 | Bedeutung sind. Denkbar wäre, Prinzipien der |
229 | wirtschaftlichen Regulierung einzuführen, die nicht in |
230 | erster Linie auf den Schutz des Marktes abzielen, sondern |
231 | eher auf die Verfasstheit einer wesentlich von diesem Markt |
232 | bestimmten Öffentlichkeit. Hier wäre etwa daran zu denken, |
233 | die Bewahrung einer offenen und allen |
234 | Kommunikationsteilnehmern gleichberechtigt zur Verfügung |
235 | stehenden Infrastruktur zu einer öffentlichen, da Vielfalt |
236 | und Demokratie sichernden Aufgabe zu erklären, welcher der |
237 | Gesetzgeber auch unabhängig von einem etwaigen Marktversagen |
238 | nachkommen müsste. Als stärkstes regulatorisches Mittel wäre |
239 | dann etwa ein Verbot vertikaler Integration zu erwägen, |
240 | sozusagen als Entsprechung zum aus der analogen Welt |
241 | bekannten Prinzip der Grundversorgung. Dies würde darauf |
242 | hinauslaufen, dass Inhalteanbieter grundsätzlich nicht |
243 | zugleich die entscheidenden Gatekeeper für den Zugang zu |
244 | Informationen sein dürfen, also nicht in der Lage sein |
245 | dürften, die entsprechende Infrastruktur zu kontrollieren. |
246 | Die Durchsetzung derartiger „Sphärentrennung“ wäre kein |
247 | medienregulatorisches, sondern ein rein wirtschaftliches |
248 | Regulierungsinstrument. |
249 | |
250 | |
251 | Bitte beachten Sie auch |
252 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft und |
253 | 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft - |
254 | Teil 3 |
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