PG WAG, Beitrag DIE LINKE zu Thema Arbeit Digitale Arbeit in der Informationsgesellschaft
Vorwort Das Internet ist eine Erfindung, die zu einem Strukturwandel in der gesamten Gesellschaft und damit auch der Arbeitswelt führt. Über das grenzenlose Netzwerk Internet haben wir die Möglichkeit mit jedem angeschlossenen Menschen auf der Welt in Kontakt zu treten. Das Internet ermöglicht es, Informationen in den verschiedensten Formen darzustellen. Texte, Bilder, Ton und Videos sind in der digitalen Welt uneingeschränkt verfügbar. Vernetzte Rechen- und Speicherressourcen lassen uns die komplexesten mathematischen Prozesse berechnen. Mit einem Internetzugang wird jeder Mensch zum Produzenten von Daten. Das Internet bringt ein frei verfügbares Wissen mit sich, es ermöglicht eine unüberschaubar große Anzahl von weltweiten Kontakten und beschleunigt den globalen Informationsaustausch.
Loslösung von der realen Wirtschaft. Die Loslösung der Wirtschaft von der Materie ist eines der am häufigsten beschriebenen Trends der Digitalisierung. Im Mittelpunkt dieses Trends steht die Information als wichtigstes ökonomisches Gut. Investiert wird zunehmend in digitale Dienstleistungen und den Handel mit Informationen. Die Industrie bleibt der Ideengeber für die Informationsdienstleister, jedoch werden materielle Produkte in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung in den Hintergrund gedrängt.
Die Entwicklung der Erwerbsarbeit in Deutschland stützt diese These: Über einen längeren Zeitraum betrachtet nahm die Anzahl der Beschäftigten im Primären Sektor (Rohstoffproduzierendes Gewerbe, z.B. Landwirtschaft, Bergbau etc.) ab. Im Jahr 2010 arbeiteten nur noch 1,6 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland im Primären Sektor. Der Sekundäre Sektor (Produzierendes Gewerbe) beschäftigte 24,5 Prozent. Deutlich dagegen wuchs der Tertiäre Sektor (Dienstleistungen) auf insgesamt 73,9 Prozent. 1991 lag diese Zahl noch bei 38,3 Prozent (vergl. Statistisches Bundesamt 2011). Zukünftig wird die wirtschaftliche Entwicklung vor allem vom Quartären Sektor geprägt sein, der die Informationsdienstleistungsbranchen umfasst. Die wesentlichen Tätigkeiten dieses Sektors sind die Produktion, Verarbeitung und Verkauf von Informationen. Als rasant wachsender, ehemaliger Teilbereich des Tertiären Sektors gewinnen die Informationsdienstleistungen immer mehr an Bedeutung. Unsere Dienstleistungsgesellschaft wandelt sich zunehmend zur Informationsgesellschaft. Das Wachstum des Quartären Sektor geht mit einem Verlust an Arbeitsplätzen im Tertiären Sektor einher. Die Informationstechnik wird im Wesentlichen zur Organisation und zur Rationalisierung eingesetzt um eine Produktivitätssteigerung, einhergehend mit einer Minimierung des Arbeitsaufwands zu erreichen. Die Aufgaben der Dienstleister im Tertiären Sektor (z.B. Versicherungsberater, Finanzberater, etc.) werden durch das digitale Informationsangebot ersetzt. Zusammenfassend ist also davon auszugehen, dass das die Vernetzung und der beschleunigte Informationsaustausch über das Internet zu einer Produktivitätssteigerung führen. Diese Produktionssteigerung ist jedoch auch verbunden mit dem Verlust von Arbeitsplätzen im Tertiären Sektor.
Das Internet als Ressource Das Internet führt zu einem Wandel in der Arbeitswelt. Die neuen Kommunikationsmöglichkeiten verändern Geld- und Transaktionsströme. Große geographische Entfernungen spielen in der digitalen Welt keine Rolle mehr. In der Informationsgesellschaft liegt Frankfurt näher an Silicon Valley als Buxtehude. Die Verfügbarkeit eines leistungsfähigen Internetzugangs steht in der Informationsgesellschaft im Vordergrund, nicht mehr eine geringe geographische Entfernung zum Arbeitsplatz oder der Ausbau der Verkehrswege. Die Versorgung mit Breitbandanschlüssen für die Datenübertragung ist gleichbedeutend mit dem Zugriff auf benötigte natürliche Ressourcen.
Die Herausforderungen der digitalen Arbeit Der durch die Industrialisierung geprägte Arbeitsbegriff, der Arbeit eng mit einem festen Arbeitsort und einer festen Arbeitszeit verknüpft, ist überholt. Das Internet bietet die Möglichkeit die eigene materielle Präsenz durch eine virtuelle zu ersetzen. Das bedeutet die teilweise Loslösung von Raum und Zeit. Die virtuelle Präsenz ist 24 Stunden am Tag, von jedem beliebigen Ort mit einem Internetzugang abrufbar. Das führt aber gleichzeitig auch zu der Verantwortung der suggerierten ständigen Verfügbarkeit zu entsprechen. Eine permanente Erreichbarkeit lässt die Grenze zwischen Privat- und Arbeitsleben noch weiter verschwimmen. Die Arbeitszeit wird in Zukunft weiter flexibilisiert. In der Informationsgesellschaft kann zu jeder Zeit auf die digitalen Arbeitsressourcen zurückgegriffen werden. Ein regulärer „Acht-Stunden-Tag“ mit Anwesenheit im Unternehmen wird unnötig. Das bedeutet auch, dass ein Gehalt auf Stunden-Basis zum Auslaufmodell wird. Viel mehr wird die Vergütung auf Honorarbasis in Zukunft zunehmen. Es kommt zu einer weiteren Deregulation des Arbeitsmarktes. Die Anzahl zeitlich befristeter Beschäftigter, die nur für Ausführung von Projekten eingestellt werden, wird ansteigen.
Auch Arbeitsprozesse werden unabhängig von Ort und Zeit. Die für Arbeitsschritte notwendigen Mitarbeiter werden durch virtuelle Stellvertreter ersetzt und sind ständig verfügbar. Die Virtualisierung ermöglicht es, Arbeitsaufträge digital in einer Warteschleife zu sammeln. Der Bedarf an einem Mitarbeiter, der die Aufträge entgegen nimmt, entfällt.
Die zunehmende Digitalisierung ermöglicht eine dezentrale Organisationsstruktur der Informationsdienstleister. Ein Beispiel aus der Arbeitswelt verdeutlicht diese Dezentralisation: Eine Marketingfirma in München verkauft über eine Internetseite Texte und Werbegrafiken. Die Inhalte werden deutschlandweit von Mitarbeitern in Heimarbeit erstellt. Die Technik der Firma (Server etc.) wird von einem externen Dienstleister in Berlin betrieben. Die Geschäftsführung und Buchhal btung finden in München statt. Das Internet ermöglicht allen beteiligten Akteuren einen ständigen Datenaustausch. Dabei ist es nicht notwendig, dass die Akteure sich persönlich untereinander kennen. Das Unternehmen verliert als Ort von sozialer Kommunikation und personeller Zusammenarbeit zunehmend an Bedeutung. Für gewerkschaftliche Organisation und betriebliche Mitbestimmung werden jedoch genau diese Kommunikation und diese Form von Zusammenarbeit benötigt.
Der Arbeitsmarkt wird in der Informationsgesellschaft global erweitert. In den Entwicklungsländern gibt es gut ausgebildete und im Vergleich mit Deutschland günstige Fachkräfte, auf die international tätige Unternehmen über die neuen Kommunikationsmöglichkeiten in Zukunft verstärkt zurückgreifen werden. Das bedeutet einerseits wirtschaftlichen Aufschwung für die Entwicklungsländer, andererseits setzt die Erweiterung die Beschäftigten auf dem Arbeitsmarkt unter Konkurrenzdruck(vergl. Sattler 2010: 43). Lohn-, Arbeits- und Sozialstandards geraten zunehmend unter Druck.
Spezialisierung als Voraussetzung Um dem internationalen Konkurrenzdruck entgegenzutreten sind die Beschäftigten gezwungen, sich ständig weiterzubilden und zu spezialisieren. Sie sind auf Fachkompetenz angewiesen, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Da sich die Informationstechnik ständig weiterentwickelt ist eine laufende Fortbildung erforderlich.
Abstrahierte Arbeit Jede Form von Wissen kann digitalisiert und auffindbar gemacht werden. Mit zunehmender Rechenleistung können Arbeitsschritte durch Algorithmen automatisiert werden (beispielsweise die Zusammensetzung von Panoramabildern, Gesichtserkennung, etc.). Dabei lässt sich feststellen, dass mit steigender Rechenleitung eine Produktivitätssteigerung einhergeht. Moderne Datenbanken und Suchalgorithmen machen in Daten umgewandelte Arbeit abrufbar. Sie stellen diese damit anderen Menschen zur Verfügung. Die Arbeit wird abstrahiert. Sie steht in einer neuen Form einem größeren Personenkreis zur Verfügung. Das Produkt der Arbeit„verselbstständigt“ sich indem es durch andere Menschen weiter verändert oder verarbeitet wird.
Abstrakte Arbeit als gemeinsame Arbeit Die abstrakte Arbeit über das Internet ermöglicht eine neue Form von gemeinsamer Arbeit, der lediglich technische Grenzen gesetzt sind. Formen von gemeinschaftlicher Arbeit und Arbeitsteilung gab es auch schon vor der Industrialisierung. Das Internet aber hebt die Grenzen von Raum und Zeit auf: Der Kreis von Personen, der gemeinschaftlich ein digitales Produkt erarbeitet oder weiterentwickelt kann weltweit zu jeder beliebigen Zeit auf ein digitales Projekt zugreifen. Kriterien sind hierfür nur noch die persönliche Eignung und das eigene Interesse. Projekte wie die Online-Enzyklopädie Wikipedia sind Produkt einer Vielzahl, untereinander nicht bekannter Akteure, die ihre Arbeitsleistung der Gemeinschaft frei zur Verfügung stellen. Die Veränderung (und damit die Abstraktion) ihrer eigenen Arbeit ist von den Menschen gewollt. Im Falle Wikipedia wird sie sogar gefordert. Ein gemeinschaftliches Produkt dieser Qualität ist nur durch die erweiterten Formen der abstrakten Arbeit möglich. Sie wird von Raum und Zeit abgekoppelt, die Arbeit wird von den Menschen abgekoppelt, kollaborative Arbeit.
Bei digitalen Projekten, die der Schaffung eines finanziellen Mehrwerts dienen, sind die Möglichkeiten der gemeinsamen Arbeit durch Machtverhältnisse Grenzen gesetzt. Die Anzahl der Mitarbeiter ist vorgegeben und die Nutzungsrechte des Produkts sind in der Regel begrenzt.
Wirtschaftliche Machtverhältnisse im grenzenlosen Raum Das Internet ist kein herrschaftsfreier Raum. Das virtuelle Stellvertretertum setzt ständige Verfügbarkeit voraus, die durch technische Ressourcen Dritter zur Verfügung gestellt wird. Das führt zu einer Abhängigkeit der Nutzer von den Betreibern. Reale Machtverhältnisse spiegeln sich im Internet wieder. Besonders erfolgreiche multinationale Unternehmen, entsprechend der Bekanntheit im weltlichen Raum wird der Bezug zum digitalen Äquivalent gebildet.