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Rolle von Algorithmen, Teil 2: Contentfarmen


Beitrag Fraktion DIE LINKE

  1. Contentfarmen Als Contentfarmen werden mitunter automatisch generierte Webseiten bezeichnet, die durch geschickte Search Engine Optimization user auf ihre Seite zu locken versuchen. Darum soll es hier nicht gehen, sondern um Inhalteanbieter wie „Demand Media“, deren Geschäft darin besteht, die Daten von Suchmaschinen auszuwerten, um dann maßgeschneiderte Inhalte zu produzieren. Also nicht um Crawler, die bereits publizierte Inhalte scannen und auf eigenen Seiten neu zusammensetzen oder verlinken, sondern um Anbieter, die „eigene“, suchmaschinenoptimierte Inhalte produzieren. Im Januar 2010 sorgte Richard Rosenblatt, Mitgründer und CEO von Demand Media, mit einem Manifest seiner Firmenphilosophie für Aufruhr. Demand Media produziere „content that is unequivocally useful“, investiere in seine „freelancer community“ und arbeite grundsätzlich so kundenorientiert wie möglich. „Our target audience tells us they want incredibly specific information and we deliver exactly that – in a style that the average consumer appreciates and understands. So, while we love to read The Economist, The Washington Post and Wired – we have little in common with their missions or business models.“ Demand Media produziert seit 2007 Content für Seiten wie eHow, Livestrong.com, Cracked.com und andere, und zwar nicht nur Texte, sondern auch kurze Videos. Besonders bekannt ist die Firma für ihre Gebrauchsanweisungen: Wie trage ich Make-up richtig auf? Wie finde ich die richtige Aktie für mein Portfolio? Welches Yoga hilft bei Rückenschmerzen? Welche Inhalte produziert werden, entscheiden nicht Redakteure. Die Firma analysiert Daten von Suchmaschinenanfragen sowie aus Social Media, die teils über offene Schnittstellen frei verfügbar sind, teils kommerziell erworben werden können. So werden die am meisten nachgefragten Themen herausgefiltert. Anschließend wird nach Angeboten von Werbetreibenden gesucht, die zu Artikeln über diese Themen Werbung schalten würden, insbesondere Google Ads, und der entsprechende Return of Investment berechnet. Scheint das Erstellen des Inhalts profitabel, wird ein Angebot zur Auftragsvergabe in eine Datenbank eingestellt, die von journalistischen Freelancer genutzt wird. Der Unterschied zum traditionellen Journalismus ist klar. Während bei Zeitungen und Rundfunkanstalten Redakteure beschäftigt werden, die Themen nach Relevanz zur Publikation auswählen, gibt bei Contentfarmen der zu erwartende Werbeerlös den Ausschlag dafür, ob ein bestimmter Inhalt recherchiert, verfasst und publiziert wird. Möglich wird dies durch eine automatisierte Analyse der Nachfrage bzw. des Leserinteresses, welche mit einer ebenfalls automatisierten Erhebung der Online-Werbeerlöse abgeglichen wird. Contentfarmen werden einerseits von den traditionellen Medien stark kritisiert: „Journalismus von der Resterampe“ titelt etwa die FAZ am 16. Februar 2010 und führt aus: „Wenn der Inhalt endgültig vom ‚Content‘ abgelöst ist, steht dem Internet bald jene Zerrüttung bevor, wie sie heute manche Innenstädte heimsucht, in denen ‚55-Cent-Shops‘ und ‚Resterampen‘ alle altehrwürdigen Geschäfte verdrängt haben.“ Andererseits wird behauptet, Contentfarmen hätten freiberuflichen Journalisten zu mehr Selbstständigkeit, einem höheren Einkommen und sogar zu mehr Einfluss auf die öffentliche Meinung verholfen. Dorian Benkoil schreibt bei Mediashift: „Think of the power the new tools give journalists, including ones working for such venerated institutions as the New York Times, to reach beyond the confines of their publications and personally assemble communities of readers, viewers and participants around the journalism they create, while also developing leads and sources. That's more traffic for the publication, more influence and voice for the journalists. The tools also give people working for the content farms, also known as content mills, the ability to quickly get their work done and in some cases earn an hourly wage well beyond journalists' typical starting salaries.“ Es mag dahingestellt bleiben, ob die Fließbandproduktion von Artikeln zu Themen wie “Wie kocht man ein Ei?“ oder „Wie stellt man einen Screenshot her?“ tatsächlich zu einem größeren Einfluss auf die öffentliche Meinung oder einer engeren Leserbindung führt. Auch die Honorare sind nicht rosig: 20 Dollar zahlt Demand Media für ein einzelnes Video, 15 Dollar für das Schreiben eines Artikels von 300 Wörtern, 3,50 Dollar für das Redigieren eines solchen Textes. In Deutschland liegen die Honorare noch niedriger: content.de zahlt beispielsweise im Schnitt 10 Euro für einen Artikel von 500 Wörtern. Andere Anbieter, wie Suite101, bieten gar kein Grundhonorar, sondern nur Beteiligungen: „Diese ergeben sich aus einem, auf dem Ermessen von Suite101 und seinen Werbepartnern beruhenden, Anteil der Werbeumsätze jener Unterseiten der Webseite, auf denen Inhalte des Autoren vollständig erscheinen“, heißt es im Vertrag. Offenkundig richten sich solche Angebote nicht nur an professionelle Journalisten, sondern auch an Laien, die sich ein Zubrot verdienen möchten.

Contentfarmen machen gute Geschäfte. Demand Media ist am 25.01.2011 sogar an die Börse gegangen, mit einer Bewertung von mehr als 1 Milliarde Euro, und platzierte Aktien für gut 110 Millionen Euro. Nach sechs Wochen war der Kurs von unter 15 auf 17 Euro gestiegen. Im April 2011 stürzte er jedoch jäh auf 10 Euro ab:

Quelle: www.finanzen.net

Grund war das berühmt-berüchtigte Panda-Update, mit dem Google seinen Suchalgorithmus verbessert hatte. Panda war bereits seit Ende Februar 2011 in den USA aktiv, wurde jedoch erst Mitte April auf alle englischsprachigen Seiten ausgedehnt. Prompt fielen die Klickraten des Flaggschiffs eHow.com um 66%, wie sich anhand des Sixtrix-Sichtbarkeitsindex nachvollziehen ließ. Suite101.com, Mutterunternehmen des gleichnamigen deutschen Anbieters, hatte bereits im Februar Popularitätsverluste von 94% hinnehmen müssen.

Dass Google seinen Suchalgorithmus geändert hat, ist allgemein als Zeichen dafür gewertet worden, dass der Suchmaschinenanbieter versuchte, seine Ergebnislisten zu verbessern. Content, den die Nutzer angesichts ihres Surfverhaltens offensichtlich für weniger relevant erachteten, sollte nicht allein aufgrund der Bemühungen von Suchmaschinen-Optimierern weit oben in den Trefferlisten rangieren. Das ist verständlich, widerspricht jedoch dem, was die Anbieter von Content-Farmen immer wieder beteuern , dass nämlich gerade sie ausschließlich die Interessen der Nutzer im Blick hätten. So sagt beispielsweise Peter Berger, Geschäftsführer von Suite101.de: „Entscheidend ist: Wir haben unser Modell nicht darauf aufgebaut, als wüssten wir vorher, was Leser im Internet interessiert.“ Offensichtlich kommen die Entwickler von Suchmaschinen hinsichtlich der Bewertung des Contents zum gegenteiligen Ergebnis: dass nämlich die Inhalte der Contentfarmen gerade nicht dem entsprechen, was die user der Suchmaschinen in der Regel suchen.

Langfristig ist fraglich, wie weit das Geschäftsmodell der Content-Farmen trägt bzw. wie es sich weiterentwickelt. Der Kampf der Suchmaschinenoptimierer gegen die Algorithmen-Entwickler der Suchmaschinen wird auf Dauer nicht zu gewinnen sein. Entsprechend haben die Farmen mittlerweile das Geschäftsfeld Syndikation ausgeweitet und setzen zunehmend darauf, ihren Content an klassische Medien zu lizenzieren. Längst integriert beispielsweise in den USA der Fernsehsender USA Today für seine „Travel Tips“ Inhalte, die auf der Basis einer Analyse von Suchanfragen erstellt werden. Zweifellos wird sich dieser Trend fortsetzen. Es ist denkbar, dass reine Content-Farmen langfristig zu Agenturdienstleistern werden, deren Inhalte von klassischen Medien ebenso eingekauft werden wie heute Zeitungen die Texte von Presseagenturen abonnieren. Content-Farming hätte sich dann vor allem als eine neue Variante des Outsourcings und Lohndumpings erwiesen.

Dies wird in erster Linie eine Herausforderung für die Gewerkschaften sein. Eine angemessene Vergütung für neue journalistische Produktionsformen durchzusetzen, wird den Interessenvertretungen umso schwerer fallen, je weniger Auftragnehmer der Plattformen überhaupt gewerkschaftlich organisiert sind. Auch stellt sich die Frage, was es für die Informationsfreiheit bedeutet, wenn Inhalte, die sich nicht unmittelbar über Werbeerlöse monetarisieren lassen, kaum mehr professionell produziert werden. Zwar war Journalismus seit jeher von Werbeeinnahmen abhängig, doch nie zuvor bestand die Möglichkeit, die Bezahlung der Inhalte derartig eng an ihr kommerzielles Erlöspotenzial zu koppeln. Wenn wenig werbeaffine Inhalte aufgrund der vorherrschenden Geschäftsmodelle der Auftraggeber von Autoren, Fotografen und sonstigen Urhebern von vornherein nicht mehr produziert werden, ist das einer demokratiefähigen Öffentlichkeit sicher nicht zuträglich.

Handlungsempfehlungen

  • Um einer zunehmenden Abhängigkeit der öffentlichen Sphäre von der Monetarisierung durch Werbeeinnahmen entgegenzuwirken, wird eine stärkere öffentliche Förderung der freien, gemeinnützigen Inhalteproduktion empfohlen. Journalisten, Blogger und andere Akteure, die zu einer freien und vielfältigen öffentlichen Sphäre beitragen, sollten die Möglichkeit haben, sich für die Inhalteproduktion um eine öffentliche Förderung zu bewerben, wenn sie im Gegenzug die Inhalte, zumindest für eine begrenzte Dauer, im Internet frei zur Verfügung stellen. Einen entsprechenden Vorschlag haben kürzlich die Dokumentarfilmer unterbreitet .
  • Zum Schutz der Urheberinnen und Urheber vor Übervorteilung bedarf es einer Stärkung ihrer Position im Urhebervertragsrecht. Auch für Urheber, die nicht in den klassischen Verwertungsstrukturen arbeiten und folglich nicht in den traditionellen Interessenvertretungsverbänden organisiert sind, muss eine Möglichkeit geschaffen werden, ihren Anspruch auf angemessene Vergütung durchzusetzen.

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