1 | Eine der Technik digitaler Vernetzung inhärente Eigenschaft |
2 | ist die Entstehung einer Fülle von Daten und Informationen – |
3 | auch solchen personenbezogener oder personenbeziehbarer Art |
4 | – als „Nebenfolgen“ faktisch jedweder Aktivität an einem |
5 | entsprechenden Arbeitsmittel. Auf der Basis ständig |
6 | verbesserter Software zu deren Speicherung, |
7 | Systematisierung, Auswertung und Kombination eröffnen sich |
8 | vielfältige und neuartige Optionen zur Erhöhung der |
9 | Transparenz von Arbeitsprozessen und zur Kontrolle von |
10 | Beschäftigten. „Die vollständige Überwachung des |
11 | PC-Arbeitsplatzes passiert heute nahezu automatisch und |
12 | selbst ohne jeden Vorsatz, da sie zum Betrieb der |
13 | technischen Systeme unbedingt notwendig ist. Aber auch die |
14 | Überwachung der Telefonie und das Erstellen von |
15 | Bewegungsprofilen sind heute schon möglich und in vielen |
16 | Fällen ist zumindest das Entstehen der Daten gar nicht mehr |
17 | zu verhindern – sondern nur deren Auswertung. Und genau da |
18 | steckt das Risiko: Daten, die erst einmal da sind, bieten |
19 | sich früher oder später dazu an, ausgewertet zu werden.“ |
20 | [FN: Wiegand, Gerrit: Log as Log can – was Protokolle über |
21 | unsere elektronische Kommunikation aussagen. 2009, S. 25. ] |
22 | |
23 | Bei Nutzung solcher Daten werden Tätigkeiten im digitalen |
24 | Raum – Präsenzphasen, Aktivitätszeiten, |
25 | Beteiligungsintensitäten, Leistungsumfänge – hochgradig |
26 | transparent, Arbeitsabläufe lückenlos protokollierbar und |
27 | individualisierte sowie vergleichende Leistungskontrollen |
28 | permanent möglich. Auf diesen Sachverhalt und die daraus |
29 | resultierenden Konsequenzen für die Beschäftigten hat der |
30 | ehemalige IBM-„Cheftechnologe“ Gunter Dueck in einer |
31 | Stellungnahme gegenüber der Enquete-Kommission Internet und |
32 | digitale Gesellschaft aufmerksam gemacht: „Digitale Arbeit |
33 | bedeutet einen revolutionär harten Schnitt in der |
34 | Arbeitsorganisation, weil die von Arbeitnehmern geleistete |
35 | Arbeit nun im Netz der Quantität und Qualität nach |
36 | transparent messbar ist. Bislang gibt es noch viele |
37 | Büroarbeitsplätze, bei denen man acht Stunden täglich sein |
38 | bestes gibt oder bei denen man am Fließband mit den |
39 | vorgegebenen Takt mithält. In der digitalisierten Welt sind |
40 | die Arbeitsplätze vielfach ganz entkoppelt, jeder kann eher |
41 | für sich selbst so viel leisten, wie er will oder vermag. |
42 | Die großen Leistungsunterschiede zwischen Mitarbeitern |
43 | werden immer transparenter. Dadurch entsteht ein bisher |
44 | ungekannter psychischer Druck auf Führungskräfte und |
45 | Arbeitnehmer, weil nun alle indirekt fast wie in der |
46 | Fußballbundesliga ständig um Auf- und Abstieg kämpfen. Die |
47 | ganze Burnout-Problematik entsteht genau hier! Die |
48 | Führungskräfte und Mitarbeiter müssen neue soziale |
49 | Umgangsformen entwickeln. Jeder muss wohl lernen, mit dem |
50 | eigenen transparent sichtbaren Leistungsniveau psychisch |
51 | ausgeglichen zu leben. Das wird derzeit durch aggressives |
52 | Leistungsvergleichen zum Zwecke des Antreibens durch das |
53 | Management aus ökonomischen Erwägungen heraus absichtlich |
54 | verhindert. Man SOLL ja immer ein schlechtes |
55 | Leistungsgewissen haben! Dieser immense psychische Druck |
56 | steigt durch die Transparenz der digitalen Welt immer mehr |
57 | an.“ [FN: Schriftliche Stellungnahme von Gunter Dueck im |
58 | Rahmen der öffentlichen Anhörung „Veränderungsprozesse in |
59 | der digitalen Wirtschafts- und Arbeitswelt“ der |
60 | Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des |
61 | Deutschen Bundestages am 12. Dezember 2011. |
62 | Ausschussdrucksache 17(24)048-A, S. 8. (Hervorhebung im |
63 | Original.)] |
64 | |
65 | Die geschilderte Problematik wird noch dadurch intensiviert, |
66 | dass derartige Vergleichsdaten nicht selten die |
67 | Entscheidungsgrundlage für wichtige personalrelevante |
68 | Maßnahmen abgeben. Die Funktionalitäten der von „Success |
69 | Factors“ – einer in diesem Segment sehr erfolgreichen, im |
70 | Dezember 2011 von SAP übernommenen IT-Firma – angebotenen |
71 | Software lassen sich beispielsweise wie folgt beschreiben: |
72 | „Sie durchleuchtet die Mitarbeiter, hilft einzuschätzen, wer |
73 | welche Leistung erbringt. Sie ermöglicht es |
74 | Personalabteilungen, Leistungsprofile zu erstellen, um |
75 | erfolgsbasierte Gehälter besser zuzuteilen, Nachfolger zu |
76 | finden und Bewerber auszusieben. ‚Jeder sollte in einem |
77 | Unternehmen sofort sehen, wer die Leistungserbringer sind |
78 | und warum‘“ – so die Einschätzung von Lars Dalgaard, dem |
79 | Chef von Success Factors. [FN: Vgl. Graf, Annika: Ein |
80 | glücklicher Delfin. Financial Times Deutschland vom 05. |
81 | Dezember 2011. ] |
82 | |
83 | Das mit solchen technischen Optionen verbundene |
84 | Gefährdungspotenzial für den Schutz der Privatsphäre und das |
85 | Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind ebenso |
86 | evident wie die daraus resultierenden Herausforderungen für |
87 | den Beschäftigtendatenschutz. Deutlich wird auch die |
88 | wichtige Funktion, die in diesem Zusammenhang der Regelung |
89 | des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG [FN: Betriebsverfassungsgesetz |
90 | in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 |
91 | (BGBl. I S. 2518), zuletzt geändert durch Artikel 9 des |
92 | Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2424). ] zukommt. |
93 | Nach dieser Vorschrift hat ein Betriebsrat, soweit eine |
94 | gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei der |
95 | Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen |
96 | mitzubestimmen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder |
97 | die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das |
98 | Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist insofern weit |
99 | gefasst, als es sich nach der Rechtsprechung des |
100 | Bundesarbeitsgerichts nicht nur auf solche technischen |
101 | Anwendungen bezieht, die explizit zur Kontrolle eingesetzt |
102 | werden, sondern in einem umfassenderen Sinne auch auf |
103 | diejenigen, die hierfür „nur“ grundsätzlich geeignet sind. |
104 | Auf einen Überwachungswillen des Arbeitgebers kommt es dabei |
105 | nicht an. [FN: Vgl. die grundlegende Entscheidung des |
106 | Bundesarbeitsgerichts vom 6.12.1983 (1 ABR 43/81).] Dieses |
107 | Mitbestimmungsrecht ist nicht nur im Blick auf die |
108 | notwendige Begrenzung negativer Wirkungen des Einsatzes |
109 | digitaler Techniken auf die Persönlichkeitsrechte von |
110 | Beschäftigten und einen fairen Interessenausgleich in den |
111 | Betrieben und Unternehmen von zentraler Bedeutung. Es kann |
112 | auch zur Sicherung einer Vertrauenskultur im Arbeitsleben |
113 | beitragen, ohne die sich die produktiven Potenziale der |
114 | digitalen Techniken nicht nachhaltig ausschöpfen lassen. |
115 | [FN: Das Mitbestimmungsrecht einschränkende Modifikationen |
116 | von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sind deshalb kritisch zu |
117 | beurteilen. Solche haben auf Landesebene für den Bereich des |
118 | Personalvertretungsrechts vereinzelt bereits stattgefunden. |
119 | So lautet die § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG entsprechende |
120 | Regelung in § 87 Abs. 1 Nr. 32 des Hamburgischen |
121 | Personalvertretungsgesetzes (HmbPersVG) unter der |
122 | Überschrift „Eingeschränkte Mitbestimmung und sonstige |
123 | Beteiligung“ inzwischen: „Der Personalrat hat, außer bei |
124 | einer Regelung durch Rechtsvorschriften oder einer |
125 | allgemeinen Regelung der obersten Dienstbehörde, in |
126 | folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen: […] 32. Einführung |
127 | und Anwendung von technischen Einrichtungen, wenn sie das |
128 | Verhalten oder die Leistung von Angehörigen des öffentlichen |
129 | Dienstes überwachen sollen.“ Die Formulierung „überwachen |
130 | sollen“ führt dazu, dass ein Mitbestimmungsrecht des |
131 | Personalrats nur besteht, wenn der Dienstherr und |
132 | Arbeitgeber eine Überwachungsabsicht hat und diese |
133 | artikuliert. Es entfällt hingegen, wenn eine technische |
134 | Einrichtung zwar zur Verhaltens- und Leistungskontrolle |
135 | geeignet ist, ein Arbeitgeber eine entsprechende Absicht |
136 | aber nicht artikuliert. Mitbestimmung wird damit weitgehend |
137 | zur Disposition des Dienstherren und Arbeitgebers gestellt.] |
1-1 von 1
-
3.3.3.3 Transparenz und Kontrolle digitaler Arbeit (Originalversion)
von EnqueteSekretariat, angelegt