3.3.3.3 Transparenz und Kontrolle digitaler Arbeit

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  • 3.3.3.3 Transparenz und Kontrolle digitaler Arbeit (Originalversion)

    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 Eine der Technik digitaler Vernetzung inhärente Eigenschaft
    2 ist die Entstehung einer Fülle von Daten und Informationen –
    3 auch solchen personenbezogener oder personenbeziehbarer Art
    4 – als „Nebenfolgen“ faktisch jedweder Aktivität an einem
    5 entsprechenden Arbeitsmittel. Auf der Basis ständig
    6 verbesserter Software zu deren Speicherung,
    7 Systematisierung, Auswertung und Kombination eröffnen sich
    8 vielfältige und neuartige Optionen zur Erhöhung der
    9 Transparenz von Arbeitsprozessen und zur Kontrolle von
    10 Beschäftigten. „Die vollständige Überwachung des
    11 PC-Arbeitsplatzes passiert heute nahezu automatisch und
    12 selbst ohne jeden Vorsatz, da sie zum Betrieb der
    13 technischen Systeme unbedingt notwendig ist. Aber auch die
    14 Überwachung der Telefonie und das Erstellen von
    15 Bewegungsprofilen sind heute schon möglich und in vielen
    16 Fällen ist zumindest das Entstehen der Daten gar nicht mehr
    17 zu verhindern – sondern nur deren Auswertung. Und genau da
    18 steckt das Risiko: Daten, die erst einmal da sind, bieten
    19 sich früher oder später dazu an, ausgewertet zu werden.“
    20 [FN: Wiegand, Gerrit: Log as Log can – was Protokolle über
    21 unsere elektronische Kommunikation aussagen. 2009, S. 25. ]
    22
    23 Bei Nutzung solcher Daten werden Tätigkeiten im digitalen
    24 Raum – Präsenzphasen, Aktivitätszeiten,
    25 Beteiligungsintensitäten, Leistungsumfänge – hochgradig
    26 transparent, Arbeitsabläufe lückenlos protokollierbar und
    27 individualisierte sowie vergleichende Leistungskontrollen
    28 permanent möglich. Auf diesen Sachverhalt und die daraus
    29 resultierenden Konsequenzen für die Beschäftigten hat der
    30 ehemalige IBM-„Cheftechnologe“ Gunter Dueck in einer
    31 Stellungnahme gegenüber der Enquete-Kommission Internet und
    32 digitale Gesellschaft aufmerksam gemacht: „Digitale Arbeit
    33 bedeutet einen revolutionär harten Schnitt in der
    34 Arbeitsorganisation, weil die von Arbeitnehmern geleistete
    35 Arbeit nun im Netz der Quantität und Qualität nach
    36 transparent messbar ist. Bislang gibt es noch viele
    37 Büroarbeitsplätze, bei denen man acht Stunden täglich sein
    38 bestes gibt oder bei denen man am Fließband mit den
    39 vorgegebenen Takt mithält. In der digitalisierten Welt sind
    40 die Arbeitsplätze vielfach ganz entkoppelt, jeder kann eher
    41 für sich selbst so viel leisten, wie er will oder vermag.
    42 Die großen Leistungsunterschiede zwischen Mitarbeitern
    43 werden immer transparenter. Dadurch entsteht ein bisher
    44 ungekannter psychischer Druck auf Führungskräfte und
    45 Arbeitnehmer, weil nun alle indirekt fast wie in der
    46 Fußballbundesliga ständig um Auf- und Abstieg kämpfen. Die
    47 ganze Burnout-Problematik entsteht genau hier! Die
    48 Führungskräfte und Mitarbeiter müssen neue soziale
    49 Umgangsformen entwickeln. Jeder muss wohl lernen, mit dem
    50 eigenen transparent sichtbaren Leistungsniveau psychisch
    51 ausgeglichen zu leben. Das wird derzeit durch aggressives
    52 Leistungsvergleichen zum Zwecke des Antreibens durch das
    53 Management aus ökonomischen Erwägungen heraus absichtlich
    54 verhindert. Man SOLL ja immer ein schlechtes
    55 Leistungsgewissen haben! Dieser immense psychische Druck
    56 steigt durch die Transparenz der digitalen Welt immer mehr
    57 an.“ [FN: Schriftliche Stellungnahme von Gunter Dueck im
    58 Rahmen der öffentlichen Anhörung „Veränderungsprozesse in
    59 der digitalen Wirtschafts- und Arbeitswelt“ der
    60 Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des
    61 Deutschen Bundestages am 12. Dezember 2011.
    62 Ausschussdrucksache 17(24)048-A, S. 8. (Hervorhebung im
    63 Original.)]
    64
    65 Die geschilderte Problematik wird noch dadurch intensiviert,
    66 dass derartige Vergleichsdaten nicht selten die
    67 Entscheidungsgrundlage für wichtige personalrelevante
    68 Maßnahmen abgeben. Die Funktionalitäten der von „Success
    69 Factors“ – einer in diesem Segment sehr erfolgreichen, im
    70 Dezember 2011 von SAP übernommenen IT-Firma – angebotenen
    71 Software lassen sich beispielsweise wie folgt beschreiben:
    72 „Sie durchleuchtet die Mitarbeiter, hilft einzuschätzen, wer
    73 welche Leistung erbringt. Sie ermöglicht es
    74 Personalabteilungen, Leistungsprofile zu erstellen, um
    75 erfolgsbasierte Gehälter besser zuzuteilen, Nachfolger zu
    76 finden und Bewerber auszusieben. ‚Jeder sollte in einem
    77 Unternehmen sofort sehen, wer die Leistungserbringer sind
    78 und warum‘“ – so die Einschätzung von Lars Dalgaard, dem
    79 Chef von Success Factors. [FN: Vgl. Graf, Annika: Ein
    80 glücklicher Delfin. Financial Times Deutschland vom 05.
    81 Dezember 2011. ]
    82
    83 Das mit solchen technischen Optionen verbundene
    84 Gefährdungspotenzial für den Schutz der Privatsphäre und das
    85 Recht auf informationelle Selbstbestimmung sind ebenso
    86 evident wie die daraus resultierenden Herausforderungen für
    87 den Beschäftigtendatenschutz. Deutlich wird auch die
    88 wichtige Funktion, die in diesem Zusammenhang der Regelung
    89 des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG [FN: Betriebsverfassungsgesetz
    90 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001
    91 (BGBl. I S. 2518), zuletzt geändert durch Artikel 9 des
    92 Gesetzes vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2424). ] zukommt.
    93 Nach dieser Vorschrift hat ein Betriebsrat, soweit eine
    94 gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, bei der
    95 Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen
    96 mitzubestimmen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder
    97 die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das
    98 Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist insofern weit
    99 gefasst, als es sich nach der Rechtsprechung des
    100 Bundesarbeitsgerichts nicht nur auf solche technischen
    101 Anwendungen bezieht, die explizit zur Kontrolle eingesetzt
    102 werden, sondern in einem umfassenderen Sinne auch auf
    103 diejenigen, die hierfür „nur“ grundsätzlich geeignet sind.
    104 Auf einen Überwachungswillen des Arbeitgebers kommt es dabei
    105 nicht an. [FN: Vgl. die grundlegende Entscheidung des
    106 Bundesarbeitsgerichts vom 6.12.1983 (1 ABR 43/81).] Dieses
    107 Mitbestimmungsrecht ist nicht nur im Blick auf die
    108 notwendige Begrenzung negativer Wirkungen des Einsatzes
    109 digitaler Techniken auf die Persönlichkeitsrechte von
    110 Beschäftigten und einen fairen Interessenausgleich in den
    111 Betrieben und Unternehmen von zentraler Bedeutung. Es kann
    112 auch zur Sicherung einer Vertrauenskultur im Arbeitsleben
    113 beitragen, ohne die sich die produktiven Potenziale der
    114 digitalen Techniken nicht nachhaltig ausschöpfen lassen.
    115 [FN: Das Mitbestimmungsrecht einschränkende Modifikationen
    116 von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG sind deshalb kritisch zu
    117 beurteilen. Solche haben auf Landesebene für den Bereich des
    118 Personalvertretungsrechts vereinzelt bereits stattgefunden.
    119 So lautet die § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG entsprechende
    120 Regelung in § 87 Abs. 1 Nr. 32 des Hamburgischen
    121 Personalvertretungsgesetzes (HmbPersVG) unter der
    122 Überschrift „Eingeschränkte Mitbestimmung und sonstige
    123 Beteiligung“ inzwischen: „Der Personalrat hat, außer bei
    124 einer Regelung durch Rechtsvorschriften oder einer
    125 allgemeinen Regelung der obersten Dienstbehörde, in
    126 folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen: […] 32. Einführung
    127 und Anwendung von technischen Einrichtungen, wenn sie das
    128 Verhalten oder die Leistung von Angehörigen des öffentlichen
    129 Dienstes überwachen sollen.“ Die Formulierung „überwachen
    130 sollen“ führt dazu, dass ein Mitbestimmungsrecht des
    131 Personalrats nur besteht, wenn der Dienstherr und
    132 Arbeitgeber eine Überwachungsabsicht hat und diese
    133 artikuliert. Es entfällt hingegen, wenn eine technische
    134 Einrichtung zwar zur Verhaltens- und Leistungskontrolle
    135 geeignet ist, ein Arbeitgeber eine entsprechende Absicht
    136 aber nicht artikuliert. Mitbestimmung wird damit weitgehend
    137 zur Disposition des Dienstherren und Arbeitgebers gestellt.]