1 | Teil 2 von -- 3.1. Einleitung -- |
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5 | Der digital beförderte Trend zur räumlichen und zeitlichen |
6 | Dekonzentration von Arbeit hat auch in |
7 | arbeitsrechtlich-regulatorischer Hinsicht Konsequenzen, |
8 | welche sich schon seit geraumer Zeit abzeichneten und heute |
9 | immer deutlicher erkennbar sind. So hat etwa die vom |
10 | Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission Zukunft |
11 | der Medien in Wirtschaft und Gesellschaft bereits Ende der |
12 | 1990er Jahre darauf hingewiesen, dass im Falle einer |
13 | Fortsetzung dieses Trends „der Betrieb als klassisches |
14 | Gravitationszentrum der Arbeitswelt erheblich an Bedeutung |
15 | und prägender Kraft einbüßen [wird]. Wenn sich betriebliche |
16 | Kooperations- und Kommunikationsprozesse zunehmend auf |
17 | Datennetze verlagern, technisch vermittelt und zu Teilen |
18 | asynchron stattfinden, dann droht mit einer solchen |
19 | tendenziellen ‚Auflösung des Betriebes‘ auch die |
20 | traditionelle Plattform für arbeitsrechtliche Regulierung, |
21 | soziale Erfahrung, Konfliktaustragung und -moderation in der |
22 | Arbeitswelt zu schwinden. Der Trend zur Dekonzentration von |
23 | Arbeit beeinträchtigt damit die Wirksamkeit derjenigen |
24 | arbeitsrechtlichen Schutz- und Gestaltungsmechanismen – zum |
25 | Beispiel der betrieblichen Mitbestimmung –, die sich am |
26 | Begriff und an der sozialen Realität des Betriebes |
27 | festmachen.“ [FN: Deutscher Bundestag: Schlussbericht der |
28 | Enquete-Kommission Zukunft der Medien in Wirtschaft und |
29 | Gesellschaft – Deutschlands Weg in die |
30 | Informationsgesellschaft. 1998. BT-Drs. 13/11004 vom 22. |
31 | Juni 1998, S.55. Abrufbar unter: |
32 | http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/110/1311004.pdf ] |
33 | Diese seinerzeit noch prognostische Einschätzung hat sich |
34 | mittlerweile als durchaus realitätsgerecht erwiesen, ohne |
35 | dass aus ihr bislang praktische Schlussfolgerungen zur |
36 | Anpassung des Arbeitsrechts an die veränderten Gegebenheiten |
37 | gezogen worden wären. |
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39 | Die Digitalisierung hat jedoch nicht nur Abläufe und |
40 | Organisationsformen im traditionellen Arbeitsleben stark |
41 | verändert, sondern auch im Zusammenwirken mit der |
42 | Intensivierung des Wettbewerbs und der Deregulierung von |
43 | Arbeitsmarktstrukturen maßgeblich dazu beigetragen, dass |
44 | sich die Erwerbssphäre insgesamt tiefgreifend verändert. Im |
45 | Zuge dieser Entwicklung büßt das klassische |
46 | Normalarbeitsverhältnis als traditionell normsetzender |
47 | Erwerbstypus an Bedeutung ein. Zwar waren nach den Daten des |
48 | Mikrozensus 2010 von 30,9 Millionen abhängig Beschäftigten |
49 | in Deutschland noch immer 23,1 Millionen |
50 | „normalerwerbstätig“ [FN: Statistisches Bundesamt: |
51 | Pressemitteilung Nr. 270 vom 19.07.2011. Abrufbar unter: |
52 | https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemittei |
53 | lungen/2011/07/PD11_270_132.html ] was noch immer einen |
54 | Anteil von knapp 75 Prozent ausmachte. Allerdings ist die |
55 | Zahl der Selbstständigen von 1991 bis 2010 kontinuierlich |
56 | angestiegen und lag 2010 über 1,2 Millionen höher als 1991 – |
57 | eine Zunahme von 40,2 Prozent. Der Anteil der |
58 | Selbstständigen an den Erwerbstätigen lag 2010 bei 10,9 |
59 | Prozent. [FN: Vgl. Institut für Mittelstandsforschung: |
60 | Erwerbstätige/Selbstständige im Jahr 2010. Abrufbar unter: |
61 | www.ifm-bonn.org/index.php?utid=107&id=101 Zahlen für 2011 |
62 | werden erst im September/Oktober 2012 vorliegen.] Sicher ist |
63 | dieser Anstieg nicht monokausal auf die Digitalisierung |
64 | zurückzuführen. Mit dieser sind jedoch die technischen |
65 | Grundlagen dafür geschaffen, arbeitsteilige |
66 | Produktionsprozesse auf hohem Niveau nicht länger nur in |
67 | hierarchisch zentralisierten, örtlich konzentrierten und auf |
68 | Dauer angelegten betrieblichen Strukturen, wie sie für das |
69 | Industriezeitalter typisch waren, zu gestalten, sondern im |
70 | Wege von Strategien der Modularisierung, Netzwerkbildung und |
71 | Virtualisierung standortverteilt, telekooperativ, variabel |
72 | und zeitlich begrenzt zu organisieren – und dies zu |
73 | vergleichsweise niedrigen Transaktionskosten. |
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75 | Neben den strukturellen Veränderungen der Rahmenbedingungen |
76 | ist die moderne Arbeitswelt auch durch den Wunsch vieler |
77 | Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen geprägt, ihr Arbeitsleben |
78 | flexibler zu gestalten. |
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80 | Im IT-Bereich zeigt sich insbesondere auch folgendes |
81 | Phänomen: In einigen Berufs- und Arbeitsfeldern haben sich |
82 | auf Seiten der Berufstätigen ein neues Selbstverständnis und |
83 | eine veränderte Anspruchshaltung an die Ausgestaltung des |
84 | Beschäftigungsverhältnisses entwickelt. Die Festanstellung |
85 | und der langjährige Verbleib bei einem Arbeitgeber sind |
86 | nicht immer das erklärte Ziel. Zum Beispiel nutzen |
87 | Softwareentwickler ganz bewusst die Selbstständigkeit und |
88 | freie berufliche Tätigkeit, um projektbezogen für einen |
89 | bestimmten Zeitraum für einen Auftraggeber zu arbeiten, ohne |
90 | die Festanstellung zum Ziel zu haben. |
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92 | Die ambivalenten Folgen der zuvor beschriebenen |
93 | Veränderungen der Erwerbssphäre sind heute überall auf dem |
94 | Arbeitsmarkt zu beobachten. Bestand die erste Welle der |
95 | Ich-AGs zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch vorwiegend aus |
96 | Solo-Selbstständigen [FN: Als Solo-Selbstständige gelten |
97 | Personen, die selbstständig, aber ohne weitere Beschäftigte |
98 | tätig sind – inhaltliche Prüfung folgt] die sich als |
99 | Einzelkämpfer durchschlugen, so arbeiten Freiberufler |
100 | heutzutage häufig projektbezogen in losen Netzwerken und |
101 | betreiben ihre Auftragsakquisition algorithmenbasiert auf |
102 | Online-Plattformen. Nicht zufällig ist der Abschied von |
103 | traditionellen Erwerbsformen im Bereich der IT-Wirtschaft |
104 | besonders deutlich zu beobachten. Der Branchenverband BITKOM |
105 | geht davon aus, dass etwa 18 Prozent der insgesamt 588.000 |
106 | Beschäftigten im Bereich Software und IT-Services |
107 | selbstständig Tätige sind (während deren Anteil in den |
108 | anderen Bereichen der Netzwirtschaft eher zu vernachlässigen |
109 | sei). [FN: Angaben des BITKOM per Mail vom 1. Dezember 2012 |
110 | – Prüfung folgt. Zahlen basierend auf BITKOM, Bundesbank, |
111 | Destatis, UN Comtrade.] Twago, eine |
112 | Online-Vermittlungsplattform für Projekte im IT- und |
113 | Designbereich, hat nach eigenen Angaben mittlerweile 120.000 |
114 | Teilnehmer. Der Anteil der Selbstständigen wachse dabei |
115 | überproportional, gibt Twago an, dies sei ein weltweit zu |
116 | beobachtender Trend. [FN: Vgl. Pressemitteilung von twago |
117 | vom 22. September 2011 auf openPR: IT-Arbeitsmarkt: |
118 | Selbstständige und Freiberufler auf dem Vormarsch. Abrufbar |
119 | unter: |
120 | http://www.openpr.de/news/572894/IT-Arbeitsmarkt-Selbststaen |
121 | dige-und-Freiberufler-auf-dem-Vormarsch-International-Freela |
122 | ncers-Day-am-23-09-.html] Auch Plattformen wie jovoto, die |
123 | Aufträge von Firmen entgegennehmen, um sie von einer |
124 | Online-Community freiberuflicher Kreativschaffender, |
125 | vorwiegend aus dem Design-Bereich, bearbeiten zu lassen, |
126 | erfreuen sich zunehmender Popularität. Zwischen Februar und |
127 | Mai 2011 ließ sich zudem nach Angaben von Deskmag bei |
128 | Coworking Spaces weltweit eine stabile Zuwachsrate von 17 |
129 | Prozent verzeichnen. [FN: Vgl. Foertsch, Carsten/deskmag: |
130 | Coworking wächst weiter. 2011. Abrufbar unter: |
131 | http://www.deskmag.com/de/820-coworking-spaces-weltweit-stat |
132 | istik ] |
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134 | All dies sind Anzeichen dafür, dass die Arbeitswelt der |
135 | Zukunft sich immer mehr in Richtung jener „Wikinomics“ |
136 | entwickeln könnte, die Don Tapscott und Anthony Williams |
137 | beschrieben haben. [FN: Vgl. Tapscott, Don/Williams, Anthony |
138 | D.: Wikinomics. 2006. ] Sie gehen davon aus, dass |
139 | kollaborative Zusammenarbeit, wie sie auf vernetzten |
140 | Plattformen in ungeahntem Ausmaß organisiert werden kann, |
141 | für die Ökonomien des 21. Jahrhunderts zu den wichtigsten |
142 | Produktionsfaktoren zählt. Zum Teil geht damit zweifellos |
143 | ein Gewinn an persönlicher Souveränität und Freiheit der |
144 | Arbeitenden einher. Die Auswirkungen neuer Formen der |
145 | Arbeitsorganisation und die Ausgestaltung von |
146 | Beschäftigungsverhältnissen beziehungsweise selbstständiger |
147 | Arbeit sind hinsichtlich sozialer Absicherung (inkl. |
148 | Alterssicherung) und Einkommensstrukturen höchst |
149 | unterschiedlich. Einzelne profitieren durch unabhängige und |
150 | freischaffende Tätigkeit als Freelancer oder |
151 | Selbstständigkeit insbesondere in der IT-Branche. Andere |
152 | berichten von zunehmender Verunsicherung hinsichtlich |
153 | sozialer Absicherung und Perspektiven einer Festanstellung. |
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155 | Zudem müssen Freiberufler sich neben den tätigkeitsbezogenen |
156 | Kompetenzen „verwaltende Fähigkeiten“ sowie solche des |
157 | Selbstmanagements aneignen und dafür entsprechend Zeit |
158 | einräumen, wie zum Beispiel für die Akquise von Aufträgen, |
159 | die Abrechnung etc. |
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161 | War selbstständiges Unternehmertum in der |
162 | Industriegesellschaft nur im Zusammenhang mit |
163 | wirtschaftlicher Autonomie denkbar, so hat sich dies stark |
164 | gewandelt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit hatten |
165 | im Februar 2011 118.000 Selbstständige Grundsicherung in |
166 | Anspruch genommen. 85.000 davon verfügten über ein Einkommen |
167 | von weniger als 400 Euro, 25.000 hatten bis zu 800 Euro |
168 | verdient. [FN: Welt Online vom 14. Juni 2011: Mehr als |
169 | 100.000 Selbstständige brauchen Hartz IV. Abrufbar unter: |
170 | http://www.welt.de/wirtschaft/article13428747/Mehr-als-100-0 |
171 | 00-Selbststaendige-brauchen-Hartz-IV.html ] |
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173 | Auch die Systeme der sozialen Absicherung vermögen mit der |
174 | Entwicklung der Arbeitswelt nicht Schritt zu halten. |
175 | Freiberufliche Wissensarbeiter haben beispielsweise, so sie |
176 | nicht als Kreativschaffende in der Künstlersozialkasse |
177 | Mitglied werden können, keine Möglichkeit einer günstigen |
178 | Krankenversicherung. Zudem stellen viele Selbstständige |
179 | heute fest, dass ihre zukünftigen Rentenansprüche weniger |
180 | stark steigen als die von Angestellten, auch wenn sie |
181 | regelmäßig in die Rentenversicherung einzahlen, weil ihr |
182 | Einkommen weniger stark wächst als das der |
183 | Durchschnittsbevölkerung. Dies gilt insbesondere dann, wenn |
184 | sie nicht den vergleichsweise hohen Pflichtbeitrag in die |
185 | Rentenversicherung einzahlen (können), sondern nur den |
186 | freiwilligen Mindestbeitrag. Die Möglichkeit, sich als |
187 | Selbstständiger freiwillig gegen Arbeitslosigkeit zu |
188 | versichern, besteht gleichfalls nur in sehr eingeschränktem |
189 | Maße. Zudem sind die Möglichkeiten der kollektiven |
190 | Interessenvertretung begrenzt, da Selbstständige häufig |
191 | entweder nicht gewerkschaftlich organisiert sind oder die |
192 | Gewerkschaften außerhalb tarifrechtlicher Strukturen kaum |
193 | Einfluss ausüben können. |
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195 | Die zentralen Fragen für die Zukunft lauten entsprechend: |
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197 | Welche Voraussetzung müssen erfüllt sein, damit |
198 | selbstständiges Arbeiten jenseits der Festanstellung für die |
199 | Betroffenen tatsächlich einen Mehrgewinn an Freiheit und |
200 | persönlicher Autonomie bedeutet? |
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202 | Wie müssen die sozialen Sicherungssysteme der Zukunft |
203 | jenseits gesicherter Arbeitsplätze aussehen? |
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205 | Welche Strukturen der Interessenvertretung können auch |
206 | Selbstständigen eine kollektive Vertretung gegenüber ihren |
207 | Auftraggebern ermöglichen? |
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3.1. Einleitung - Teil 2 (Originalversion)
von EnqueteSekretariat, angelegt