2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft

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  • 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft (Originalversion)

    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 Zum Gliederungspunkt 2.2.1 Auswirkungen der Digitalisierung
    2 auf die Wirtschaft: Dieser Gliederungspunkt umfasst im
    3 Arbeitsprogramm mehrere Spiegelstriche mit verschiedenen
    4 Aspekten. Zu den Punkten Digitalisierung als
    5 Produktionsfaktor, Rolle von Algorithmen etwa beim
    6 Börsenhandel, bei den Empfehlungen von Handelsportalen, in
    7 der Kreativwirtschaft (Contentfarmen) hat sich die
    8 Projektgruppe in ihrer Sitzung vom 21.11.2011 auf den
    9 folgenden Text verständigt:
    10
    11
    12 Recommendation Algorithmen, Contentfarmen, Börse
    13 Eine der wichtigsten Entwicklungen des digitalen Wandels
    14 besteht in dem Bedeutungszuwachs von Algorithmen. In immer
    15 mehr Lebensbereichen nehmen Computer Menschen
    16 Entscheidungen ab. Dies hat nicht nur die Konsequenz, dass
    17 immer mehr Menschen einen Kontrollverlust beklagen (oder
    18 begrüßen, jedenfalls aber empfinden), sondern auch die
    19 Folgen für die Wirtschaft sind beträchtlich. Es entstehen
    20 neue Märkte, die sich von jenen der analogen Welt deutlich
    21 unterscheiden. Wie werden diese Märkte reguliert? Sind
    22 traditionelle Mechanismen der Wettbewerbsregulierung auf
    23 die neuen information economies noch anwendbar? In welchem
    24 Verhältnis stehen sie zur aufs Internet nur schwer
    25 übertragbaren bisherigen Medienregulierung? Wenn das
    26 Funktionieren ganzer Märkte in immer größerem Maße von
    27 privatwirtschaftlich kontrollierten Algorithmen abhängig
    28 ist, wie kann eine sinnvolle Marktregulierung dann
    29 überhaupt aussehen?
    30
    31 Der Einfluss von Algorithmen auf das Marktgeschehen als
    32 Ganzes wird leider noch oft unterschätzt. In dem
    33 nachfolgenden Kapitel soll deshalb vertiefend auf drei
    34 Bereiche eingegangen werden, in denen dieser Einfluss
    35 besonders plastisch nachgewiesen werden kann. Es geht dabei
    36 um die Empfehlungen von Handels- und Contentportalen, die
    37 Inhalte sogenannter Contentfarmen sowie den automatisierten
    38 Hochgeschwindigkeitshandel der Aktienmärkte.
    39
    40
    41 1. Recommendation Algorithmen
    42
    43 Bekanntlich arbeiten Online-Shops wie Amazon oder
    44 Contentportale wie YouTube mit automatischen Empfehlungen.
    45 Kunden bzw. Nutzern sollen Produkte bzw. Inhalte empfohlen
    46 werden, für die sie sich mutmaßlich interessieren. So soll
    47 ihr Interesse angeregt werden, was zu weiteren Käufen oder
    48 zu einem längeren Verbleib auf der Angebotsseite führen
    49 kann.
    50 Solche Empfehlungen werden seit Mitte der 90er Jahre von
    51 Recommendation Algorithms erstellt, welche mittlerweile
    52 sehr komplex sind. Dennoch lassen sich zwei Grundfunktionen
    53 unterscheiden, nämlich collaborative filtering und content
    54 filtering. Beim collaborative filtering werden zur
    55 Erstellung der Empfehlungen user mit anderen usern
    56 verglichen: user, die Buch A kauften, kauften auch Buch B.
    57 Beim content filtering wird content mit anderem content
    58 verglichen: Sie haben Fußballvideo A gesehen, vielleicht
    59 interessiert Sie auch Fußballvideo B.
    60
    61 Collaborative filtering kann mit zunehmender Zahl der
    62 Nutzer sehr rechenaufwändig werden und somit zu einer nicht
    63 mehr akzeptablen Verlangsamung des Dienstes führen. Man
    64 kann dann zu komplexitätsreduzierenden Mitteln greifen und
    65 etwa die Kunden anhand von Cluster Models in verschiedene
    66 Segmente einteilen, was offline geschehen kann. Wie jede
    67 Komplexitätsreduktion bleibt allerdings auch diese nicht
    68 frei von Qualitätsverlusten, die Empfehlungen werden also
    69 schlechter.
    70
    71 Amazon hat darauf mit seinem Item-to-item-Algorithmus eine
    72 Antwort gefunden und sie sich bereits 2001 patentieren
    73 lassen [FN:
    74 http://www.google.com/patents/about/6266649_Collaborative_re
    75 commendations_us.html?id=NIAIAAAAEBAJ]: „The service
    76 generates the recommendations using a previously-generated
    77 table which maps items to lists of ‚similar‘ items. The
    78 similarities reflected by the table are based on the
    79 collective interests of the community of users.” Ein großer
    80 Vorteil des Systems besteht darin, dass die aufwändigste
    81 Rechenoperation, die Erstellung der Tabellen, offline
    82 vorgenommen werden kann. Sie setzt allerdings voraus, dass
    83 der zu vergleichende Content möglichst vollständig mit
    84 sauberen Metadaten versehen ist.
    85
    86 Dies ist beispielsweise bei YouTube oft nicht der Fall, da
    87 es sich hier zu großen Teilen um ugc handelt. YouTube
    88 setzte deshalb zunächst auf ein
    89 collaborative-filtering-System, das die Ingenieure 2008 in
    90 einem Whitepaper beschrieben haben. [FN:
    91 http://research.google.com/pubs/archive/34407.pdf ] Der als
    92 „adsorption algorithm“ beschriebene Mechanismus ist
    93 graphbasiert und bildet das Verhältnis von usern zu Videos
    94 etwa so ab wie ein U-Bahn-Plan. Die Haltestellen der
    95 Knotenpunkte, an denen sich verschiedene Linien treffen,
    96 wären in diesem Bild die Videos, während die Linien selbst
    97 das Kundenverhalten abbilden. So wie Haltestellen in der
    98 U-Bahn unterschiedlich weit voneinander entfernt liegen,
    99 liegen einige Videos dem jeweiligen user sehr nahe, andere
    100 weniger. „Empfohlen“ werden sowohl nahe als auch entfernte.
    101 Welche der weit entfernten und somit vom Standpunkt des
    102 Betrachter aus schlecht vernetzten Videos dem Nutzer
    103 vorgeschlagen werden, wird mit Hilfe einer Zufallsoperation
    104 errechnet, einem sogenannten Random Walk. Der Algorithmus
    105 wandert gewissermaßen das Liniennetz entlang und hält an
    106 einem zufälligen Knotenpunkt an. Schaut der user das
    107 empfohlene Video daraufhin tatsächlich an, entsteht eine
    108 direkte Beziehung, die es vorher nicht gab, und das
    109 entsprechende usergenerierte Signal kann wiederum für
    110 zukünftige Empfehlungen ausgewertet werden.
    111
    112 Man mag hier eine gewisse Verwandtschaft zum in der Google
    113 Suche verwendeten PageRank erkennen, welcher ebenfalls auf
    114 einem Netz von Verweisen basiert. In der Google-Suche
    115 erscheinen bekanntlich häufig verlinkte Seiten besonders
    116 weit oben in der Trefferliste. Allerdings ist YouTube keine
    117 Suchmaschine und wird auch ganz anders genutzt. Während
    118 eine Suchmaschine zum gezielten Auffinden von Informationen
    119 dient , besuchen Nutzer Videoportale häufig, um unterhalten
    120 zu werden. Dabei kann es eher schädlich sein, wenn das
    121 „Programm“ sich von einem Video zum nächsten immer ähnelt
    122 und nie etwas Überraschendes passiert. Tatsächlich suchen
    123 user bei YouTube unspezifisch nach „Lustigen Videos“ [FN:
    124 http://www.nytimes.com/2009/12/31/technology/internet/31tube
    125 .html ], und im Jahr 2010 basierten 60% aller von der
    126 Homepage aus getätigten Klicks auf automatischen
    127 Empfehlungen. [FN:
    128 http://dl.acm.org/citation.cfm?id=1864770]
    129
    130 Angesichts dieser Erkenntnisse hat YouTube versucht, besser
    131 auf einen „unarticulated want“ seiner Nutzer zu reagieren
    132 und „to keep users entertained and engaged“. Die Zitate
    133 entstammen einem Whitepaper von 2010, als die Entwickler
    134 auf einer Konferenz ihren neuen Algorithmus vorgestellt
    135 haben. [FN: http://dl.acm.org/citation.cfm?id=1864770] Das
    136 YouTube Recommendation System basiert demzufolge im
    137 Grundsatz nicht mehr auf collaborative filtering, sondern
    138 auf einer Kombination von content filtering mit direkten
    139 user-Signalen. Es handelt sich also um eine Kombination aus
    140 co-visitation counts (welche Videos werden häufig
    141 „zusammen“ angesehen, also nacheinander vom selben user
    142 angeklickt?) mit Input-Daten (user-Bewertungen, Likes,
    143 Kanal-Abonnements etc.) „Overall we find that
    144 co-visitation based recommendation performs at 207% of the
    145 baseline Most View page“, resümieren die Entwickler.
    146 Tatsächlich ist 2010 auch eine wissenschaftliche Arbeit zu
    147 dem Schluss gekommen, dass die Bereicherung des
    148 Adsorption-Algorithmus mit content-basierten Vergleichen zu
    149 einer höheren Qualität der automatischen Empfehlungen
    150 führen würde. Leider stand dem Autor jedoch der Datenpool
    151 von YouTube nicht zur Verfügung.[FN:
    152 http://www.springerlink.com/content/uj162u3549218753/]
    153
    154 Welche gesellschaftliche Relevanz haben
    155 Empfehlungsalgorithmen? Während Targeting bei Online-Shops
    156 schlimmstenfalls zu einer Belästigung der user führen kann,
    157 stellt sich die Sache bei Content-Portalen anders dar. Dass
    158 diese in der Regel nicht redaktionell betreut werden, wird
    159 bisweilen als Befreiung von der Bevormundung durch
    160 Redakteure und Content-Manager gesehen, als Ermächtigung
    161 der user/produser. Während die Welt der Massenmedien eine
    162 hierarchisch kontrollierte gewesen sei, habe online jeder
    163 die Möglichkeit, eigenen Content zu publizieren und dafür
    164 Aufmerksamkeit zu gewinnen. Im Bereich der Unterhaltung
    165 entspricht dem der Glaube, es könne heutzutage jeder ein
    166 Publikum finden. Obwohl indes der digitale Wandel in diesem
    167 Sinne unbestreitbar Chancen eröffnet hat, wäre es naiv, den
    168 Einfluss der Algorithmen auf die Auswahl des wahrgenommenen
    169 Contents zu unterschätzen.
    170
    171 Offenbar stellen sich Fragen der Chancengleichheit. Wie
    172 reagieren Empfehlungsalgorithmen, wenn ihnen nicht genügend
    173 Daten zur Verfügung stehen, beispielsweise weil es sich um
    174 einen neuen user handelt? Die Antwort verblüfft wenig: Sie
    175 empfehlen ein Potpourri aus besonders populärem Content.
    176 Populärer Content hat also durch diese Algorithmen die
    177 Chance, noch populärer zu werden, während unpopulärer
    178 Content es schwerer hat, sich durchzusetzen. Der Effekt
    179 kann zusätzlich verstärkt werden. So hat Steven Wittens mit
    180 empirischen Tests, rückgreifend auf das Application
    181 Programming Interface von YouTube, herausgefunden, dass das
    182 Portal zwar bisweilen unpopulären Content als „nächstes
    183 Video“ empfiehlt, wenn zuvor ein besonders populärer
    184 Content angeboten wurde, jedoch so gut wie nie umgekehrt.
    185 [FN:
    186 http://www.strutta.com/blog/blog/six-degrees-of-youtube]
    187 Folglich haben schon von vornherein nicht alle Videos
    188 dieselbe Chance gesehen zu werden, woraus folgt, dass auch
    189 nicht alle dieselbe Chance haben, bewertet oder empfohlen
    190 zu werden.
    191
    192 Offenbar verstärkt die Technik, die von solchen Portalen
    193 eingesetzt wird, im kulturellen Leben einen Stareffekt: Wer
    194 schon viel Aufmerksamkeit bekommt, bekommt durch die
    195 Portale zusätzliche Unterstützung. Wer wenig Publikum hat,
    196 wird zusätzlich ausgeblendet. Entsprechend ist es kein
    197 Zufall, dass die meisten der sogenannten „YouTube-Stars“,
    198 die in letzter Zeit im Musikbereich von sich reden gemacht
    199 haben, zunächst mit Coverversionen bekannter Hits
    200 Aufmerksamkeit erregten. Dass user aus Neugier eher auf
    201 eine Coverversion eines schon bekannten Musiktitels klicken
    202 als auf ein unbekanntes Original, spielt dabei sicher eine
    203 Rolle. Der eigentliche Grund ist jedoch, dass der
    204 Empfehlungsalgorithmus, der für einen hohen Anteil der
    205 Aufmerksamkeit verantwortlich ist, grundsätzlich solchen
    206 Content bevorzugt, der sich an bereits existierenden und
    207 möglichst populären Content anschließt. Umgekehrt
    208 ausgedrückt: Originalität, Neuigkeit wird von
    209 Empfehlungsalgorithmen abgestraft.
    210
    211 Was ein rein technischer Effekt ist, könnte, so man YouTube
    212 als marktbeherrschend ansieht, ein wettbewerbsrechtliches
    213 Problem darstellen. Im Hinblick auf die zunehmende
    214 Bedeutung entsprechender Portale für das kulturelle Leben
    215 und die öffentliche Meinungsbildung stellt es zudem ein
    216 Transparenzproblem dar. Für viele Nutzer geht von
    217 Contentportalen, die nicht redaktionell betreut werden,
    218 noch immer die Suggestion aus, es handele sich um einen
    219 ungefilterten Bereich der Öffentlichkeit. Dem ist nicht so.
    220 Welche Bewertungen oder Tags beispielsweise zu einem
    221 Herabsetzen des Contents im Ranking der Empfehlungen
    222 führen, wissen wir genauso wenig, wie wir die Kriterien
    223 kennen, nach denen Suchmaschinen ihre Ergebnislisten
    224 filtern.
    225
    226 Das Phänomen der YouTube-Stars mag man für genauso
    227 irrelevant halten wie die zielgerichtete Werbung der
    228 Online-Shops. Es ist jedoch ohne Weiteres denkbar,
    229 recommendation algorithms auch bei Nachrichtenseiten
    230 einzusetzen. Der user würde dann stets solche Nachrichten
    231 zu sehen bekommen, die jenen ähneln, für die er sich bei
    232 früheren Besuchen der entsprechenden Seite interessiert
    233 hat. Diese Perspektive hat Eli Pariser als Filter Bubble
    234 [http://www.thefilterbubble.com/] beschrieben. Dass sie
    235 eintreffen wird, ist nicht unwahrscheinlich: Während die
    236 Auflagen von Zeitungen zunehmend sinken, werden Portale wie
    237 YouTube oder Google News zunehmend zu den wichtigsten
    238 Informationsquellen. Anders als in der traditionellen
    239 Medienlandschaft gibt es jedoch keinen Presserat, der über
    240 sie wacht. Ihre Algorithmen bleiben geheim, genießen sogar
    241 patentrechtlichen Schutz.
    242
    243 Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob die
    244 klassischen Mechanismen wirtschaftlicher Regulierung noch
    245 ausreichen, inwiefern also die klassische
    246 wettbewerbsrechtliche Regulierung im Hinblick auf
    247 Content-Empfehlungen noch die Funktion erfüllt, eine
    248 gleichberechtigte Marktteilnahme aller Konkurrenten zu
    249 garantieren. Monopolistische Tendenzen oder unfaires,
    250 wettbewerbsfeindliches Marktverhalten werden in der Regel
    251 nur adressiert, wenn sie erkannt und nachgewiesen werden
    252 können. Bei Contentportalen, die mit Empfehlungsalgorithmen
    253 arbeiten, wird aber die Bevorzugung bestimmter
    254 Marktteilnehmer, die grundsätzlich mit einer
    255 Benachteiligung anderer einhergeht, schwer nachzuweisen
    256 sein, da die betreffenden Unternehmen die genaue
    257 Funktionsweise ihrer Algorithmen nicht offenlegen. Auch
    258 eine Auswirkung auf die Preise, die meist der Hauptgrund
    259 für ein wettbewerbssicherndes Eingreifen des Staates ist,
    260 wird in diesem Fall kaum je nachzuweisen sein. Wie aber
    261 soll eine Wettbewerbsregulierung aussehen, die den Markt,
    262 den sie regulieren soll, nicht kennt, weil er auf einer
    263 privaten Plattform stattfindet, deren Architektur nicht
    264 offengelegt wird, ja gar als Geschäftsgeheimnis des
    265 proprietären Anbieters gilt? Hier stellt sich ganz
    266 grundsätzlich die Frage, ob die Mechanismen der
    267 Wettbewerbsregulierung in der digitalen Welt noch so
    268 funktionieren können wie auf den alten Märkten.
    269
    270
    271
    272 Bitte beachten Sie auch
    273 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft -
    274 Teil 2 (Contentfarmen) und
    275 2.2.1 Auswirkung der Digitalisierung auf die Wirtschaft -
    276 Teil 3 (Börse)
    277
    278
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    von EnqueteBuero, angelegt
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